Von den vielen inzwischen nicht mehr so bedeutungsvollen Vorrunden-Partien einer WM ist es die aufregendste: Am Sonntag tritt die Schweiz um 20.20 Uhr gegen Österreich an (SRF live). An und für sich kein Kracher. Die Schweiz ist fast (aber nur fast) so klar favorisiert wie unsere Fussball-Nationalmannschaft gegen Andorra, Lichtenstein oder San Marino.
Aber die Begleitumstände sind halt schon speziell. Die wichtigsten «Bandengeneräle» der Österreicher sind Schweizer: Teamchef Roger Bader (der Nationaltrainer heisst in Österreich Teamchef) und sein Freund Arno Del Curto.
Seit Arno Del Curto in Davos Kultstatus erreicht hatte (das war bald nach seiner Amtsübernahme im Sommer 1996 der Fall), war er immer und immer wieder als Nationaltrainer im Gespräch. Unsere Verbandspräsidenten reisten zu Bittgängen hinauf nach Davos. Andere trafen sich unten im Flachland auf Autobahnraststätten zu heimlichen Besprechungen. Nichts hat geholfen. Absage reihte sich an Absage.
Und nun steht er doch an einer nationalen Bande. Aber nicht mit, sondern am Sonntag erstmals gegen die Schweiz. Ausgerechnet gegen Nationaltrainer Patrick Fischer, der noch 2002 der Captain seines ersten HCD-Meisterteams war. Tja, wer hätte damals auch ahnen können, dass Patrick Fischer einmal helvetischer Nationaltrainer und Arno Del Curto Assistent bei den Österreichern sein wird.
Arno Del Curto hat zwar kürzlich gesagt, er werde in Prag wohl im Spiel gegen die Schweiz nicht einmal im Stadion sein. Aber jetzt hat er seine Meinung geändert. «Die Schweiz ist ja so stark und so klar favorisiert, dass ich es wohl wagen kann.» Was wohl heisst: Er schätzt offenbar die Gefahr nicht sooooo hoch ein, dass ausgerechnet er einer der Väter einer wahrlich sensationellen Niederlage der Schweizer werden könnte.
So viel mediale Aufmerksamkeit mag er ganz und gar nicht. «Ich will meine Ruhe haben. Ich bin doch Rentner! Ich werde ab sofort nichts mehr sagen. Ich bitte Sie, alle weiteren Fragen in Prag von nun an Roger Bader zu stellen. Er ist der Chef.»
Arno Del Curto, der in Davos mehr als 20 Jahre lang die erste Geige gespielt hat (und es auch den Präsidenten gegeigt hat), respektiert in Sachen Hockey zum ersten Mal überhaupt ganz offiziell einen Chef über ihm. Er weiss, was sich gehört: Es wäre ja in Davos oben undenkbar gewesen, wenn Chronistinnen oder Chronisten einen seiner Assistenten um die Meinung gefragt oder gar noch Assistenten-Storys gemacht hätten.
Roger Bader sagt über Arno Del Curto: «Wir sind im Hockey seelenverwandt.» Das bedeutet: Hockey als Spiel und vorwärts und keine defensiven Schablonen. Arno kümmert sich nicht um Taktik. Er ist so etwas wie ein mentaler Dynamo. Roger Bader erklärt die Rollenverteilung: «Arno ergreift in der Kabine spontan das Wort und wendet sich während des Spiels auf der Bank an einzelne Spieler. Es braucht zwischen uns keine Absprache. Er spürt, wann er sich einmischen darf und wann nicht, und überlässt mir die Chefrolle.» Teamchef ist Roger Bader. Punkt. Daran ändert auch sein prominenter Freund und Assistent nichts.
Eigentlich befindet sich Arno Del Curto seit seinem letzten Hockey-Abenteuer im Frühjahr 2019 bei den ZSC Lions in Lotzwil bei Langenthal im Hockey-Ruhestand. Und fühlt sich sehr wohl in der sanften Hügellandschaft des bernischen Oberaargaus, die ein wenig an das Auenland im Film-Epos «Herr der Ringe» mahnt.
Von Hockey will er eigentlich nichts mehr wissen. Aber er kann einfach nicht «Nein» sagen, wenn ihn sein Freund Roger Bader bittet, Österreich beizustehen. 2022 und 2023 haben die Österreicher mit Roger Bader und Arno Del Curto zweimal hintereinander den Klassenerhalt geschafft. Das ist fast (aber nur fast) so hoch zu bewerten, wie wenn die Schweizer zweimal hintereinander in den WM-Halbfinal kommen würden.
Ein reiner Freundschaftsdienst also. Der finanzielle Anreiz ist nämlich gering: Bezahlte Spesen für den Aufenthalt im schönen Prag und ein kleines Sackgeld. Roger Bader sagt: «Auch wenn wir den Klassenerhalt schaffen, gibt es für den Trainer und die Assistenten keine Prämie …»
Roger Bader arbeitet seit 2014 für den österreichischen Verband, seit 2017 ist er in der Doppelfunktion Sportdirektor/Teamchef für die Nationalmannschaft verantwortlich. Sein Vertrag läuft noch bis und mit der WM 2025. Mit einer Verlängerungsoption um ein weiteres Jahr. Er sagt, sein Ziel sei es, mit den Österreichern bei der WM 2026 in der Schweiz anzutreten. Wir können davon ausgehen, dass dann auch Arno Del Curto noch dabei sein wird. Ach, das wäre echte Hockey-Romantik: Arno Del Curto bei der WM ausgerechnet in Zürich an der österreichischen Bande.
Ähnlich wie Nationaltrainer Patrick Fischer kann auch Roger Bader fast (aber nur fast) das bestmögliche Team aufbieten. Die prominentesten Abwesenden: Verteidiger David Reinbacher (19) und Lausannes Vorkämpfer Michael Raffl (35). Reinbacher, einst in Kloten und diese Saison in Montréals Farmteam, fehlt wegen einer Verletzung. Raffl habe – so Roger Bader – abgesagt, weil er einfach erschöpft sei und ein paar kleinere Blessuren auskurieren müsse.
Am meisten Sorgen macht sich Roger Bader um seine Torhüter. «In der heimischen Liga sind zehn Ausländer erlaubt. Keiner unserer Goalies ist im Klub die Nummer 1.»
Da dürfen wir schon sagen: Wenn die Schweizer mit NHL-Titanen wie «Nationalmannschafts-Spielertrainer» Roman Josi, mit Nico Hischier und Nino Niederreiter gegen Österreich mit einem Nummer-2-Goalie aus der heimischen Operettenliga scheitern sollten, dann wird es wahrscheinlich an … Arno Del Curto liegen.
So oder so: Arno Del Curto wird wohl nicht darum herumkommen, bei einer Neuauflage seiner lesenswerten Biografie («Mit Köpfchen durch die Wand») noch ein Kapitel anzufügen. Oder doch mindestens den Refrain eines populären Schlagers von Udo Jürgens: