«La Montanara». Der Hattrick. Zum dritten Mal hintereinander erklingt Ambris Siegeshymne in der Davoser Hockey-Kathedrale. Ambri besiegt den HC Davos «zu null» und steht zum ersten Mal in seiner 85-jährigen Geschichte im Final des Spengler Cups. An einem einzigen Abend hat uns Ambri seine ganze Geschichte erzählt. In einem einzigen Spiel haben wir gesehen, was Ambri seit Anbeginn der Zeiten ausmacht.
Natürlich ist es einfach, vom Ende her, mit dem Wissen, wie es ausgegangen ist, die Geschichte eines Spiels zu erzählen und so zu tun, als ob alles seine Logik gehabt hat. Immerhin ist die runde Form des Pucks auch beim Spengler Cup zu einem Symbol des unberechenbaren Zufalles geworden.
Aber bei Ambris Sieg gibt es mehr historische Wahrheit als Zufälligkeiten. Was macht Ambri aus? Die Leidenschaft, die ausländischen Titanen und drei Kategorien von Schweizern: Erstens die Söhne des Tales, zurückgekehrt aus der Fremde, wo sie nicht glücklich waren (wie Inti Pestoni oder Daniele Grassi). Zweitens die Söhne des Tales, die dem Klub für immer die Treue halten (wie die Gebrüder Zaccheo und Isacco Dotti) und drittens die von der Konkurrenz vergessenen oder falsch eingeschätzten jungen oder alternden helvetischen Leitwölfe, die in Ambri zum ersten Mal oder noch einmal ihr bestes Hockey spielen.
Die ausländischen Titanen: Janne Juvonen, der introvertierte Finne, der in diesem Halbfinal gegen den HCD mehr Pucks abgewehrt hat, als er während des ganzen Tages Worte gesprochen hat. Brandon McMillan, der Kanadier, der nach einer bewegten Karriere nun in Ambri am Ort seiner Bestimmung angelangt ist. Filip Chlapik und Michael Spacek, fast (aber nur fast) die tschechische Antwort auf Paul DiPietro und Oleg Petrow, Ambris offensive Schillerfalter der «Belle Epoque» mit dem Final von 1999.
Die Schweizer, die von der Konkurrenz falsch eingeschätzt worden oder verschmäht worden sind: Der alternde Leitwolf Dario Bürgler (35), den Luganos Macher als zu alt erachteten und nicht mehr wollten oder André Heim (24), den der SCB als so untauglich taxierte, dass er nicht einmal mehr eine Vertragsofferte bekommen hatte und sich nun zu einem offensiven Leitwolf entwickelt hat. Und für den Spengler Cup hat Ambri Rappis Powerstürmer Nando Eggenberger (23) als Verstärkung geholt. Nächste Saison wird er definitiv nach Ambri wechseln. Er hat das 4:0 erzielt. Ein gutes Omen.
Und nie ist die Hockey-Romantik grösser als in den Zeiten mit einheimischen Chefs, die Leidenschaft mit Beharrlichkeit und Bescheidenheit kombinieren: Trainer Luca Cereda, Sportdirektor Paolo Duca, Goalie-Guru Pauli Jaks. Die grossen Gesten überlassen sie gerne ihrem ein wenig eitlen Vorsitzenden Filippo Lombardi, dem Sonnenkönig der Leventina, der in der Stadtregierung von Lugano sitzt.
Das ist das grosse Ambri, das wir in diesem Halbfinal haben und uns in einem einzigen Spiel alles gezeigt hat, was seine Kultur, seine Geschichte ausmacht. Ein Ambri, das zu Land, zu Wasser und in der Luft, taktisch und spielerisch besser war als der HCD.
Kann Ambri auch zum ersten Mal in seiner Geschichte den Spengler Cup und den Grand Slam (viermal hintereinander «La Montanara» im gleichen Stadion) gewinnen? Ja, natürlich. Sparta Prag ist nicht unbesiegbar. Aber auch dramatisches Scheitern gehört zu Ambris Geschichte. Deshalb ist Ambri noch nie Meister geworden. Deshalb hat Ambri erst einmal den Playoff-Final erreicht – und 1999 ausgerechnet gegen Lugano verloren. Aber mit der Finalqualifikation hat Ambri immerhin sozusagen den «Hockey-Bergpreis» gewonnen. Auch bei der Tour de Suisse reicht der Bergpreis nicht immer zum Gesamtsieg.
Auch Davos hat uns im Halbfinal eine Geschichte erzählt. Es geht um die Fortsetzung der Trainerkarriere von Christian Wohlwend. Eigentlich passen seine bewegten Jahre in Davos (er steht in seiner vierten Saison) ein wenig zu Ambris Kultur: Auch sie sind geprägt von glanzvollen Tagen und dramatischem Scheitern.
Glanzvoll ist die HCD-Wiederauferstehung nach der «Ära Del Curto», nach dem 11. Platz im Frühjahr 2019. Christian Wohlwend fehlt zum 1. Platz in der Qualifikation 2020 nur ein Sieg und er hat das Team, um Meister zu werden. Aber wegen der Pandemie werden die Playoffs 2020 abgesagt. Letzte Saison die dramatische Wende im Viertelfinal gegen die Lakers (nach einem 0:3) – aber dann ist gegen Zug Sendeschluss. Und nun gelingt beim Spengler Cup nach einem 2:9 gegen Sparta Prag eine Wiederauferstehung im Viertelfinal gegen Helsinki (3:2). Aber ausgerechnet gegen Ambri wird der Final verpasst.
Oder wie es der kluge HCD-Präsident Gaudenz Domenig auf den Punkt gebracht hat: Man könne Christian Wohlwend rühmen, aber es gebe immer auch ein «Aber».
Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Halbfinal-Niederlage gegen Ambri das «Aber» zu viel für Christian Wohlwend war.