Kloten ist sportlich viel besser dran als Ajoie. Punktgleich mit den Lakers besteht auf dem vorletzten Platz nach wie vor die realistische Hoffnung, wenigstens vorzeitig den Ligaerhalt (12. Rang) zu sichern. Ajoie hingegen wird nach dem Wiederaufstieg zum dritten Mal hintereinander die Qualifikation auf dem letzten Platz beenden.
Letzte und vorletzte Saison hat Ajoie die Trainer gefeuert (Gary Sheehan, Filip Pesan) und Sportdirektor Julien Vauclair hat die Mannschaft bis Saisonende gecoacht. Gary Sheehan, immerhin Cup- und Aufstiegsheld, ist am 7. Februar 2022 gefeuert worden. Filip Pesan, immerhin tschechischer Nationaltrainer, bereits am 13. Dezember 2022.
Aber nun hält Ajoie an Trainer Christian Wohlwend fest. Ja, er wird nicht einmal in Frage gestellt. Die neue Weisheit der notorischen Verlierer. Und trotzdem ist es schwieriger, in Ajoie im Amt zu bleiben, als in Zürich, Zug, Genf oder Bern Meister zu werden. Christian Wohlwend müsste eigentlich ein Kandidat für die Auszeichnung «Trainer des Jahres» sein.
Auf den ersten Blick gibt es statistisch keinen Grund, der für Christian Wohlwend spricht: Nach 39 Runden hat Ajoie 31 Punkte. Letzte Saison waren es zum gleichen Zeitpunkt sogar 36 und vorletzte Saison ebenfalls 31 Punkte. Wer die Statistik zu boshaften Zwecken nutzt, darf sagen: Treten an Ort. Es hat sich nichts geändert. Den Trainer feuern.
Wer hingegen der Boshaftigkeit entsagt, findet eine interessante Statistik, die uns erklärt, warum Christian Wohlwend erfolgreicher ist als seine beiden Vorgänger. In der ersten Saison nach dem Wiederaufstieg (2021/22) hat Ajoie 12 Partien knapp verloren. Letzte Saison (2022/23) waren es 15. Und nun sind es diese Saison bereits 22. Es handelt sich also nicht um eine Zufallsdifferenz, sondern um einen klaren Fortschritt.
Der Begriff «knapp» steht für eine Niederlage mit zwei Toren (oft mit einem Treffer ins leere Netz) oder einem Tor Differenz in der Verlängerung oder nach Penaltys. Es sind also Niederlagen in Partien, die Ajoie auf Augenhöhe mit dem Gegner gespielt hat. Christian Wohlwend sagt: «Wir werden in kleinen Schritten besser, und in den meisten Spielen sind wir dem Gegner ebenbürtig.» Eine Aussage, die durch die vorher erwähnte Statistik untermauert wird.
Grosse Schritte wären nur mit Verstärkungen (guten Transfers) möglich. Aber inzwischen zeigt sich, dass diese nicht möglich sind. Ajoie hat von der Aufstockung von 12 auf 14 Teams profitiert. Ohne diese Erweiterung wäre der Aufstieg nicht möglich gewesen: Ajoie musste sich im Frühjahr 2021 den Platz in der höchsten Liga nicht in der Liga-Qualifikation gegen den NL-Playoutverlierer erkämpfen. 2021 (Ajoie) und 2022 (Kloten) gab es aufgrund der Aufstockung bzw. des Verzichtes auf den Abstieg zwei «Gratis-Aufstiege»: Der NLB-Meister stieg direkt auf.
Aber nun ist Ajoie ein Opfer der neuen Ordnung: Es gab vorletzte und letzte Saison keinen Absteiger. Und vieles spricht dafür, dass es auch diesmal keine Relegation geben wird. Christian Wohlwend sagt dazu: «Ajoie konnte sich nach dem Aufstieg nicht beim Absteiger bedienen. Es ist für einen Aufsteiger fast unmöglich, sich auf dem Transfermarkt zu verstärken.» Das gilt erst recht für einen Klub wie Ajoie, der am Saum der Schweiz hinter den sieben Jurabergen beheimatet ist und keinen Geldspeicher, höchstens ein Sparschwein hat. Einkäufe sind bloss auf dem Wühltisch der Transfer-Brockenstube möglich: Bei Ajoie spielt nur, wer in der obersten Liga keine andere Option mehr hat. Das gilt weitgehend auch für die Ausländer: Daniel Audette wollte Lausanne nicht mehr. Eric Gélinas ist beim SCB ausgemustert worden. T. J. Brennan hatte zuvor in der Schweiz bei Thurgau verteidigt. Guillaume Asselin ist von Sierre gekommen. Philip-Michaël Devos und Jonathan Hazen sind mit Ajoie aufgestiegen. Ajoie ist der letzte Zufluchtsort für Desperados und Romantiker.
Darüber hinaus ist es – anders als bei allen anderen NL-Klubs – nahezu unmöglich, die Mannschaft mit eigenen Nachwuchsspielern zu ergänzen: Ajoie ist als einziger Klub der National League in den höchsten Junioren-Ligen (U17 und U20) nicht vertreten. Diese zwei nationalen Nachwuchsspielklassen bestehen deshalb nur aus 13 Teams.
Wo andere mit Transfers oder guten eigenen Junioren Fortschritte machen, kommt Ajoie nur im Schneckentempo voran. Eine Trainerentlassung macht keinen Sinn. Diese Einsicht hat sich inzwischen durchgesetzt. Es gibt nicht viele Trainer, die unter diesen sportlich nahezu hoffnungslosen Voraussetzungen Tag für Tag mit Leidenschaft, Beharrlichkeit und Akribie arbeiten wollen und können. In Ajoie werden die Fortschritte nicht in Siegen und Punkten gemessen. Bereits eine knappe Niederlage ist ein Erfolgserlebnis. Nach dem Motto: Niederlagen, die uns weiterbringen.
Wir haben keine Chance – also packen wir sie: Nur ein Trainer mit dieser Einstellung kann Ajoie weiterbringen. Ein Trainer wie Christian Wohlwend, der schon in Davos als Nachfolger von Kulttrainer Arno Del Curto eigentlich keine Chance hatte und sich doch fast vier Jahre lang bis im Januar 2023 zu behaupten vermochte. Ajoie vom letzten Platz zu erlösen und eine ganze Saison im Amt zu bleiben ist eine mindestens so grosse Herausforderung wie den SCB, Davos oder die ZSC Lions zum Meister zu machen. Nun wird Christian Wohlwend sogar eine zweite Saison in Angriff nehmen.
Ein gewöhnlicher Trainer scheitert in Ajoie. Es braucht für dieses «Desperado-Team» einen Chef, der durch Erfahrung klug und demütig geworden ist. Nicht nur die meisten Spieler sind in Ajoie, weil sie nur noch hier auf der grossen Bühne auftreten können. Auch Christian Wohlwend hatte keine Chance auf einen Job bei einem anderen NL-Team.
Nach jedem Spiel hätte Ajoies Trainer Grund zu toben. Aber er tut es nicht. Nicht mehr. «Ich musste mich ändern. In Davos konnte ich mit Niederlagen nicht umgehen. Hier in Ajoie habe ich es gelernt.» Er sucht nicht (mehr) nach Ausreden, kritisiert die Schiedsrichter nicht (mehr), verzichtet auf öffentliche Einzelkritik, nimmt seine Spieler in Schutz. Der geläuterte Christian Wohlwend.
Eigentlich ist Ajoie – ohne erstklassige Juniorenteams, ohne die Möglichkeit, grosse Transfers zu tätigen und ohne realistische Chance, mittelfristig vom letzten Platz wegzukommen – das stärkste Argument gegen die 14er-Liga. Aber Ajoie steht als letzter Zufluchtsort für Desperados und Romantiker auch für ein Stück archaischer Hockeykultur, das unserer durchstrukturierten und durchprofessionalisierten Liga guttut. Sogar sehr guttut. Ja, von Ajoies Weisheit des Verlierens und der Geduld können alle etwas lernen. Allen voran die Klotener.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
5,2
09.22
5,2
09.23
5,2
01.24
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte