Würde wenigstens die 6. Ausländerlizenz für eine grosse Nummer eingelöst? Das war beim SCB die Frage der letzten Wochen. Nun wissen wir die Antwort: nein. Colton Sceviour ist ein rauer Rumpelstürmer, der in keinem anderen Team eine zentrale Rolle bekommen würde und bei keinem anderen Sportchef ein Thema war.
Mit Chris DiDomenico und Dominik Kahun hat der SCB zwei exzellente Stürmer, die jede Abwehr aus den Angeln heben können. Die vier anderen Ausländerlizenzen hat Sportchef Andrew Ebbett für Spieler eingelöst (Colton Sceviour, Oscar Lindberg, Cody Coloubef, Eric Gélinas), die unter der besonderen aktuellen Marktsituation keinen anderen Klub auch nur am Rande interessiert haben.
Es sind durchwegs ausländische Spieler, die auf den ersten Blick nicht das Profil haben, um in unserer Lauf- und Tempoliga, um in einer der schnellsten Ligen der Welt produktiv zu sein. Auf dem Papier hat der SCB die schwächsten Ausländer aller 14 Teams. Aber Achtung: Eishockey wird auf einer rutschigen Unterlage und nicht auf dem Papier gespielt.
Auf den zweiten Blick zeigt diese Auswahl nämlich eine interessante und durchaus vielversprechende Perspektive: Der SCB kehrt mit der Rekrutierung des ausländischen Personals in einer Zeit des schnellen Hockeys, in einer Saison, die von skandinavischen Weltklassespielern geprägt sein wird, zu den Ursprüngen seiner Kultur zurück: zum Konzept der «Big Bad Bears» als taktisch schlaues, raues Rumpelteam.
Die defensive Organisation, taktische Disziplin, richtig dosierte Härte sind stärkere Elemente als Tempo, Technik, spielerische Brillanz und offensive Produktion. Handwerk gegen Kunst. Erfahrung gegen die Dynamik der Jugend: Das Team wird getragen von einer ganzen Reihe von «Graubärten»: Beat Gerber (40), Simon Moser (33), Chris DiDomenico (33), Colton Sceviour (33), Ramon Untersander (31), Romain Loeffel (31), Eric Gélinas (31), Tristan Scherwey (31), Joël Vermin (30) oder Oscar Lindberg (30).
Das ist richtig und konsequent: Die taktische Ausrichtung verlangt nach erfahrenen Spielern. Ist die Dynamik zu gross, dann laufen die Spieler dem System davon. Alle SCB-Meisterteams hatten diese DNA. Erst recht die letzten zwei unter Kari Jalonen (2017, 2019). Das bedeutet aber auch: Der SCB hat eines der langsameren Teams der Liga. Was ja durchaus der bernischen Art entspricht.
Der SC Bern hat den Stürmer Colton Sceviour für eine Saison unter Vertrag genommen. Die ganze Newsmedlung gib's hier: https://t.co/EneJ6akoNt pic.twitter.com/HTdQGHzK51
— SC Bern (@scbern_news) August 15, 2022
Diese Rechnung kann eine meisterliche sein und aufgehen. Das Risiko ist allerdings erheblich. Die Torhüter sind so gut wie noch nie in der Geschichte unserer Liga. Die Torproduktion wird schwieriger. Eigentlich sind nur Sven Bärtschi und Thierry Bader von ihrer Art her «Sniper». Die Schweizer Spieler sind noch mehr gefordert als bei der Konkurrenz. Sie werden in Bern die Differenz machen. Sie müssen das Team tragen und die Ausländer besser machen. Die Konkurrenz setzt mehr darauf, dass die Ausländer die Schweizer besser machen.
Sportchef Andrew Ebbett verdient höchsten Respekt für seinen Mut, die Mannschaft weitgehend kompromisslos nach seinem Konzept zusammenzustellen. Er hatte freie Hand. Er konnte fünf der sechs Ausländerpositionen neu besetzen und auch beim einheimischen Personal hatte er viel Spielraum und hatte die Mittel für sieben wichtige Transfers (Romain Loeffel, Jesse Zgraggen, Sven Bärtschi, Benjamin Baumgartner, Marco Lehmann, Fabian Ritzmann, Joël Vermin). Es ist jetzt sein Team. Nicht mehr das seiner Vorgänger. Das bedeutet: keine Ausreden mehr.
Sceviour: 0,29
Winnik: 0,31
Ebbett: 0,32
Malgin: 0,31
Haas: 0,14
Wingels: 0,32
Aubin: 0,29
Ritchie, 0,18
Selbst wenn der "Neue" in Bern kaum als Scorer geholt worden ist, scheint er andere Qualitäten zu haben, sonst hätte er kaum so lange NHL-Hockey spielen können. Und ja, andere Klubs haben die insgesamt klingenderen (aber auch teureren...) Namen geholt. Für einen grossen Schritt aus der Krise wird's in Bern aber trotzdem reichen.