Welch bitterer Moment für Österreich! Nach dem Skandal um das «Ibiza-Video» von dem ehemaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache nun auch noch die Schmach auf dem Eisfeld.
In Zahlen: Mit 41:23 Torschüssen dominiert ein Italien, das zuvor während des ganzen Turniers in sechs Spielen nur ein einziges Tor erzielt hatte. Und nun macht es aus fünf Schüssen im Mitteldrittel zwei Treffer und zum ersten Mal seit 12 Jahren erzielt es auf höchstem WM-Niveau drei Tore in einem Spiel.
Im Penaltyschiessen prallt der Abschluss von Dominique Heinrich von der Torumrandung zurück – es wäre die Entscheidung und die Rettung gewesen. Auch Michael Raffl, der NHL-Haudegen (Philadelphia) mit 1.6 Millionen Dollar Salär scheitert. Ambris Dominic Zwerger darf nicht mal zum Penalty antreten. «Wir haben ihn bewusst draussen gelassen», wird Nationaltrainer Roger Bader hinterher sagen. «Er ist einfach kein Penalty-Spezialist.» Auch Peter Schneider, Biels neuer ausländischer Stürmerstar, versagt beim zweitletzten Versuch. Antti Törmänen sollte ihn nächste Saison besser nicht zu Penaltys antreten lassen.
Schliessllich trifft der Italo-Kanadier Sean McMonagles und setzt dem Trauerspiel ein Ende. Italien bleibt oben, Österreich, das uns im nächsten Frühjahr bei der WM in Zürich Zuschauer ins Hallenstadion gebracht hätte, steigt ab.
Es ist nicht Schadenfreude, die für unsere Seele ist wie «Gelee Royal», jener Spezialhonig, der ausschliesslich der Bienenkönigin vorbehalten ist. Es ist das ungläubige Staunen, wie gut wir geworden sind.
Frankreich und Österreich, aber auch Italien haben uns so manche schmähliche Niederlage an WM-Turnieren beschert. 1993 und 1995 führten sie sogar zum Abstieg der Schweiz. Und mehrmals standen diese drei Nationen den Schweizern vor der Rückkehr in die höchste WM-Klasse.
Gut, das war im letzten Jahrtausend, das ja mit den Kreuzzügen erst richtig lanciert worden ist. Und doch: der Blick zurück ist in diesem Augenblick einfach überwältigend.
Diese Partie zwischen Österreich und Italien war ein Drama sondergleichen. Wegen solchen Spielen lieben wir das Eishockey auch. Es war für Nationaltrainer Roger Bader eines dieser verrückten Spiele, die an eine Schachpartie mahnen: bei der Eröffnung war er noch frei und der Herr seiner Figuren auf dem rutschigen Spielbrett. Aber dann bekommt das Spiel eine eigene, auch von ihm nicht mehr kontrollierbare Logik. Kein Wunder wird er hinterher sagen: «Wir waren die bessere Mannschaft. Aber nicht immer gewinnt die bessere Mannschaft.»
Eigentlich hätte der Chronist Ambris Dominic Zwerger nach dem Spiel befragen wollen. Er ist ja in unserer Liga einer der besten, dominantesten Stürmer. Aber der freundliche Titan kann nicht sprechen. Tränen ersticken seine Stimme. Der Abstieg geht ihm zu Herzen. Und es soll niemand den Spielern den Vorwurf machen, sie hätten nicht gekämpft. Sie haben alles versucht. Vergeblich.
Was uns ehrfurchtsvoll sagen lässt, wie gut wir geworden sind, ist das Eishockey, das Österreich und Italien in diesem Drama zelebriert haben. Das Spiel ist auf eine seltsame, melancholische Art und Weise langsam. Bluesig. Fast wie auf den alten TV-Bildern der Spitzenkämpfen unserer Liga aus den 1970er Jahren.
Langsam die Angriffsauslösung, manchmal fast schleichend die Spielzüge, nullkommanull Intensität, stolpernde Scheibenverluste, kuriose Wendungen und Szenen.
Ja, auf diesem Niveau waren wir auch einmal. Gegen solche Gegner haben wir einst regelmässig verloren. Es ist also noch gar nicht so lange her. Ergraute Chronisten erinnern sich noch mit leisem Grauen an diese Zeiten.
Erst solche Partien wie dieses Abstiegsdrama sind es, die einem die Fortschritte unseres Eishockeys vor Augen führen. Nicht einmal mit blühendster Fantasie hätten wir uns damals, als wir uns bei der WM noch auf Augenhöhe mit Italien, Österreich und Frankreich abmühten, vorstellen können, dass wir so gut werden, wie wir heute sind.
Gut, gut, das war jetzt alles ein wenig übertrieben. Man möge uns verzeihen. Und doch soll es auch einmal gesagt sein: Keine andere Hockeynation hat in den letzten 40 Jahren eine so stürmische Entwicklung durchlaufen wie die Schweiz.
Und ein Schweizer ist der unglückliche Held dieses unglücklichen Österreich. Nationaltrainer Roger Bader. Sein Vertrag läuft weiter. Verbandspräsident Gernot Mittendorfer hat sofort nach dem Spiel, als noch die Klänge der wunderbaren italienischen Hymne die Arena füllen («Fratelli d’Italia, l’Italia s’è desta» - «Brüder Italiens, Italien hat sich erhoben!») im Bauch des Stadions bestätigt: «Roger Bader wird nicht entlassen. Wir haben vor drei Jahren ein neues Programm gestartet und das war halt der erste kleine Rückschritt.»
Wahre Grösse zeigt sich eben in der Niederlage. Roger Bader stellt sich den österreichischen Journalisten und gibt ruhig, sachlich und freundlich Antwort. Man werde jetzt die Situation analysieren. «Aber das hätten wir auch getan, wenn der entscheidende Penalty nicht an die Latte, sondern ins Tor gegangen wäre.»
Dem ehemaligen österreichischen Sportminister Heinz-Christian Strache blieb nach seinem Video-Skandal wenigstens diese Schmach erspart: Eigentlich hätte er samt Entourage von Wien nach Pressburg reisen und mit seiner Präsenz den rauen Kerlen auf dem Eis das Selbstvertrauen stärken wollen.
Armes Österreich. Du hast keinen Sportminister und auch keine Mannschaft mehr auf höchstem WM-Niveau. Gegen diese sportlichen Schmerzen gibt es nur ein Heilmittel: Hoffnung auf den Wiederaufstieg mit Roger Bader und Geduld.
Früher, in den sagenumwobenen alten Zeiten, als sich das Habsburgerreich noch von der Adria bis in die kargen Ebenen Galiziens erstreckt, sagte die Welt bewundernd auf lateinisch: «Bella gerant alii, tu felix Austria nube. Nam quae Mars aliis, dat tibi diva Venus.» – «Kriege lass andere führen, du, glückliches Österreich, heirate! Denn was den anderen Mars, Venus, die Göttin, gibt’s dir.»
Gemeint war damit die kluge Heiratspolitik, die den Habsburgern mehr Landgewinn, Reichtum und Prestige einbrachte als alle Kriege, die andere Länder führten.
Das österreichische Eishockey befindet sich in diesen Tagen in einem so desolaten Zustand, dass nicht einmal mehr eine noch so kluge Heiratspolitik weiterhilft.
Finnland? Die waren doch vor 40 Jahren auch noch kein Grosser.