Eine kurze Unterhaltung eines langjährigen, hoch in Ehren stehenden Funktionärs und eines Gastes im Kabinengang nach dem Spiel sagt uns viel über dieses Drama.
Jedes Drama hat seine Helden. Pascal Berger ist wahrhaftig ein strahlender Held in einem veritablen Sport-Drama. Im letzten Sommer ist er nach fünf Jahren als Captain abgesetzt und in den vierten Sturm verbannt worden. Eine bittere Schmach für den einstigen Leitwolf. Aber der Leistungsabfall (von 24 auf 8 Punkte) war einfach zu gross.
Und so ist während der Qualifikation seine Eiszeit pro Partie von vorher regelmässig über 18 auf rund 13 Minuten reduziert worden. Nur der Vertrag bis 2024 hat ihn vor der Ausmusterung bewahrt. Der Mann, der in seinen besten Jahren mehr als 20 Tore und 40 Punkte pro Saison erzielte, hat in dieser Saison in 56 Partien einen einzigen Treffer beigesteuert.
Und nun beendet er nach 78 Minuten und 22 Sekunden die längste Partie der Klubgeschichte (seit 1946) mit dem Siegestreffer zum 3:2 gegen Ajoie. Die SCL Tigers sind nur noch einen einzigen Sieg vom Ligaerhalt entfernt.
Auf die Frage, ob das der wichtigste Treffer seit seinem Wechsel von Bern nach Langnau (2016) sei, hat er eine Antwort, die für seine leise, freundliche, sympathisch bescheidene Art so typisch ist. «Was heisst hier wichtig? Wichtig war auch Rossis Anschlusstreffer zum 1:2 und Samis Ausgleich.» Und ergänzt: «Der Pass war so genial, diesen Puck musste ich einfach versenken.»
Sami Lepistö hat in dieser Partie ein Tor und ein Assist produziert. Er ist Verteidigungsminister. Nicht Offensiv-Verteidiger (diese Saison bisher 5 Tore). Wenn nun Pascal Berger und Sämi Lepistö in der Verlängerung den Siegestreffer magistral herausspielen – Langnaus Tor der Saison – ja dann tanzt der Tiger auf Rämisgummen.
Sami Lepistö (38) wird die Tiger am Ende der Saison verlassen, nach Finnland zurückkehren und durch Juuso Riikola (29) ersetzt, der in Langnau einen Zweijahresvertrag unterschrieben hat. Gültig aber nur bei Ligaerhalt.
Pascal Berger steht für eine besondere Qualität der Tiger: Trainer Thierry Paterlini hat jedem eine klare Rolle zugewiesen. Und – das ist noch wichtiger – er hat diese Rollenzuteilung so klug und geduldig erklärt, dass jeder den ihm zugewiesenen Platz akzeptiert. Auch der Captain, den er abgesetzt hat, übernimmt klaglos eine Hinterbänklerrolle in der vierten Linie. Und erzielt das bisher wichtigste Tor der Saison.
Es ist das erste Mal seit Monaten, dass sich die Chronisten nach einem Spiel überhaupt für Pascal Berger interessieren. Der ehemalige Captain spricht von einer schwierigen Zeit. Er überblättere den Sportteil in den Tageszeitungen. «Wenn ich kritisiert werde, sorgen meine Kollegen sowieso dafür, dass ich es erfahre.» Wichtig sei für ihn die Akzeptanz der Teamkollegen. Nicht die öffentliche Kritik.
Das alles lässt erahnen: Ajoie war ganz, ganz nah dran am Sieg. Bis 244 Sekunden vor Schluss führt Ajoie 2:0. Der Ausgleich (2:2) fällt erst 176 Sekunden vor dem Ende der regulären Spielzeit. Präsident Patrick Hauert (66), der Ajoie 1999 in der 1. Liga übernommen hat, ist ein erfolgreicher Unternehmer der Uhrenbranche. Er weiss, was minimale Differenzen sind. Mechanisch und zeitlich. Er hat mit dem Klub (sein Sohn Jordane ist seit 2014 ununterbrochen Captain) schon zu viel erlebt.
Er personifiziert nach der Partie im Kabinengang nicht Niedergeschlagenheit oder Enttäuschung. Eher eine Mischung aus trotziger Schicksalsergebenheit und ungebrochener Zuversicht. Er zeigt mit Daumen und Zeigefinger, wie minim die Differenz in diesem Spiel war. Wie nahe sein Team am Sieg gestanden hat. Und blickt trotz allem nach vorne und sagt einem Chronisten: «Kommen Sie am Samstag nach Pruntrut. Sie werden auch bei uns etwas erleben und Sie sind herzlich willkommen.» Der Chronist wird wohl in die Ajoie fahren.
Bleibt noch die Frage, was denn eigentlich mit Langnau los ist? Wie kann es sein, dass die Emmentaler zwei Siege vorlegen, dann zwei Niederlagen hinnehmen müssen und allen Beistand der Hockeygötter brauchen, um dieses Verlängerungsdrama zu gewinnen?
Wäre der Tiger eine Kuh, würden die Emmentaler sagen: «Er muderet.» Es ist eines dieser wunderbaren alten berndeutschen Wörter, das die Bauern früher für ihr Vieh verwendeten. Wenn eine Kuh nicht so recht fressen wollte, ein wenig den Kopf hängen liess, mit traurigem Blick in den Futtertrog äugte und nicht mehr genug Milch geben wollte – dann sagten die Emmentaler: «Sie muderet.»
Der Ausdruck steht also nicht für hoffnungslos krank oder gar Krise. Sondern für nicht so recht «zwäg». Man weiss nicht recht, ob die Kuh schon am nächsten Tag wieder frisst oder ob sie doch krank wird. Hofft aber das Beste.
So ist es mit den Langnauer: Die Tiger «muderen». Sie bringen nicht die Höchstleistung, nicht einmal Olympiasieger und Weltmeister und Captain Harri Pesonen. Aber die Tiger sind auch nicht krank oder gar in einem besorgniserregenden Zustand. Sie sind einfach nicht so recht «zwäg», man hofft aber allenthalben das Beste.
Es ist wohl die Mischung aus verschiedenen Faktoren, die das «Muderen» verursacht: Die immense Nervenbelastung. Der grosse Energieverbrauch der Besten während der Qualifikation. Die bittere Enttäuschung, dass drei Runden vor Schluss der vorzeitige Ligaerhalt (Platz 12) doch noch verpasst worden ist, und verschiedene Blessuren, die diesen oder jenen Tiger plagen.
Die «mudrigen» Tiger haben Ajoie in der Verlängerung doch noch 3:2 gebodigt. Das ist ein gutes Zeichen. Aber wenn am Samstag in Pruntrut hinten der erlösende vierte Sieg (und damit der Klassenerhalt) gesichert werden soll, dann dürfen die Emmentaler nicht mehr so «muderen» wie am Donnerstagabend.
Es wäre vermessen, von Pascal Berger zu erwarten, dass er noch einmal eine Partie in diesem Playout-Final entscheidet. Aber wer weiss? Er ist einer der wenigen Tiger, die nicht «muderen».