Romantiker sehen den Sport weitgehend «unbefleckt» von der Politik. Realisten weisen zu Recht darauf hin, dass Sport zu oft als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln missbraucht wird.
Die internationale Eishockey-Familie sorgt aktuell für eines der verlogensten und heuchlerischsten Kapitel der Sportpolitik. Am 28. Februar 2022 hat der Internationale Eishockey-Verband (IIHF) Russland und Weissrussland von allen Weltmeisterschaften der Männer, Frauen und Junioren und Juniorinnen ausgeschlossen. Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Bei diesem Ausschluss ist es bis heute geblieben.
So weit, so klar. Die Russen sind in der weltumspannenden Eishockey-Familie nicht mehr willkommen. Auch nicht bei der «Euro Hockey Tour». Bei diesem europäischen Wettbewerb ersetzen die Schweizer die ausgeschlossenen Russen.
Diese klare politische Botschaft der Eishockey-Weltfamilie gegen den Ukrainekrieg hat eine hohe Akzeptanz. Dagegen ist wahrlich nichts einzuwenden. Aber leider ist diese Haltung eben nicht so klar und wahr. Sie ist verlogen und heuchlerisch.
Die Russen und Weissrussen sind nämlich keineswegs aus dem Welteishockey verbannt und aus der grossen Eishockey-Familie ausgestossen worden. Ganz im Gegenteil. Wo es richtig ums Geld geht, sind sie nach wie vor hoch willkommen: Nicht weniger als 61 Russen (und vier Weissrussen) verdienen ihr Geld in der nordamerikanischen National Hockey League (NHL).
Nur die Kanadier (380 Spieler), die Amerikaner (262) und die Schweden (88) sind in der wichtigsten Liga der Welt noch zahlreicher vertreten. Und Alex Owetschkin ist mit seiner Jagd nach Wayne Gretzkys vermeintlich «ewigen» Torrekorden ein Superstar im Scheinwerferlicht der Medien. Er hat in der Vergangenheit seine Nähe zu Putin zelebriert. Er gilt als Freund des russischen Machthabers.
Wegen Alex Owetschkin hat es zwar aus der internationalen Eishockey-Familie ein bisschen Proteste gegeben. Die NHL-Legende Dominik Hasek kritisierte die NHL wegen Alex Owetschkin kurz nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine.
Nachdem der russische Stürmer gesagt hatte, er sei kein Politiker und «Putin ist mein Präsident», hatte der Tscheche gefordert, die NHL sollte die Verträge aller russischen Spieler sofort aussetzen. Jeder Athlet repräsentierte auch sein Land und dessen Werte. Die NHL trage also eine indirekte Mitverantwortung für das, was in der Ukraine passiere. Und die «New York Times» kritisierte später: «Owetschkin ist kein Held. Er verdient es nicht, gefeiert zu werden.» Aber Alex Owetschkin wird gefeiert. Nicht gefeuert.
"Ovechkin. Ovechkin's pretty good, right?"
— Howard Mortman (@HowardMortman) January 20, 2025
-- Trump pic.twitter.com/fJ8gDmMJ7X
Umgekehrt spielen weiterhin gänzlich unbeeindruckt von der Weltpolitik 68 Kanadier und 34 Amerikaner plus etwas mehr als 20 Westeuropäer in der russischen KHL und verdienen viel, viel Geld. Beim NHL-Draft im Sommer 2024 haben sich die 32 NHL-Organisationen die Rechte an 26 Russen (und 3 Weissrussen) gesichert. Nur aus Kanada (87) und den USA (39) kommen noch mehr künftige NHL-Stars.
Ausschluss der Russen und Weissrussen aus dem NHL-Draft oder gar die Auflösung ihrer NHL-Verträge? Come on. Doch nicht, wenn es ums Sechs-Milliarden-Dollar-Geschäft NHL geht! Money talks.
Zulässig ist auch die Frage, ob es wirklich Sinn macht, etwas mehr als 80'000 russische und rund 8000 weissrussische Junioren von allen Nachwuchs-Weltmeisterschaften und internationalen Turnieren auszuschliessen, wenn die Besten dann trotzdem völlig ungehindert ihren Weg in die NHL und zu den Dollarmillionen machen, als sei alles in bester Ordnung. Die Frage ist auch, warum Jugendliche bestraft werden, die wohl doch nichts mit diesem unseligen Krieg zu tun haben und nur ihren Sport ausüben möchten.
Die interessante Frage ist nun, wie lange der Weltverband IIHF die Verbannung der Russen und Weissrussen noch durchzuziehen vermag. Im Februar steht der Ausschluss erneut auf der Traktandenliste der Sitzung des IIHF-Councils, also der IIHF-Regierung, zu der auch der Schweizer Raeto Raffainer gehört. Die ganze Geschichte hat inzwischen Einfluss auf die wirtschaftliche Basis des Weltverbandes.
Das weitgehend von chinesischen Investoren kontrollierte internationale Sportmarketing-Unternehmen Infront Sports & Media mit Sitz in Zug alimentiert die in Zürich domizilierte IIHF mit jährlich rund 30 Millionen Franken. Für die Werbe- und Medienrechte an den WM-Turnieren. Es ist mit Abstand die wichtigste, ja die existenzielle Einnahmequelle für die IIHF. Offizielle Zahlen werden nicht genannt. Kenner schätzen, dass rund 30 Prozent der Werbe- und TV-Einnahmen für die WM-Turniere im Eishockey aus Russland und Weissrussland kommen. Für Infront also ein Verlustgeschäft.
Gewährsleute sagen, die IIHF-Juristen hätten sich bisher erfolgreich auf «höhere Macht» berufen: Das Problem sei, dass man aufgrund der weltpolitischen Lage die Sicherheit der Russen und Weissrussen bei internationalen Turnieren nicht gewährleisten könne und diese beiden Länder deshalb nicht zu den Weltmeisterschaften zugelassen werden.
Höhere Macht also. Wie glaubhaft ist das, wenn beispielsweise selbst ein russischer Superstar, der als Putin-Freund gilt, in der NHL nicht um seine Sicherheit fürchten muss?
Die Zeit drängt und der Druck steigt. Die WM-Turniere gehen diese Saison noch ohne die Russen und Weissrussen über die Bühne. Es geht inzwischen nicht nur um die übernächste WM in der Schweiz (2026), den nächstmöglichen Termin für eine WM-Rückkehr der Russen und Weissrussen. Bereits vorher wird im Februar 2026 in Italien um Olympisches Gold gespielt. Die NHL-Profis sind grundsätzlich spielberechtigt. Was ist nun mit den NHL-Russen und -Weissrussen? Schlauerweise hat IOC-Boss Thomas Bach den Entscheid der IIHF zugeschoben.
Die IIHF als Zusammenschluss der nationalen Hockey-Verbände setzt ein Zeichen gegen den russischen Angriffskrieg. Die NHL, die mit grossem Abstand mächtigste und wichtigste Liga der Welt ignoriert die Politik hingegen vollkommen und geschäftet im Hockey mit Russland und Weissrussland wie eh und je. Die globale Hockey-Familie muss sich den Vorwurf der Verlogenheit und Heuchelei gefallen lassen.
Die IIHF hat eine lange und widersprüchliche Geschichte der WM-Boykotte. Die WM 1957 in Moskau boykottierten die Amerikaner und die Kanadier wegen der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes im Oktober 1956. Nicht aber Finnland, Schweden und die Tschechoslowakei.
1962 verweigerten die Amerikaner der DDR (die USA anerkannten die DDR nicht als Staat) die Einreise zur WM. Aus Solidarität blieben die Ostblockteams (UdSSR, CSSR) dem Turnier fern.
Erstaunlicherweise hatte die gewaltsame Beendigung des «Prager Frühlings» durch den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes im August 1968 keinerlei Auswirkungen auf die WM, auch die Tschechoslowaken waren 1969 dabei. Weil die Kanadier bei diesem Turnier schmähliche Kanterniederlagen einfuhren (1:7 gegen die UdSSR, 1:6 CSSR, 1:5 Schweden) zogen sie sich von der WM zurück und nahmen erst ab 1977 wieder teil, als endlich NHL-Profis mitspielen durften.
Eine WM-Verbannung einzelner Länder aus politischen Gründen durch die IIHF hat es vor dem 22. Februar 2022 (Ausschluss von Russland und Weissrussland wegen des Ukraine-Krieges) erst einmal gegeben: Deutschland durfte nach dem 2. Weltkrieg erst 1952 wieder an einer WM teilnehmen.
Man vergleicht Äpfel mit Birnen.
Aber trotzdem können Sportler in der Regel nichts für die Politik des eigenen Landes, weshalb ein Ausschluss aus politischen Gründen eher Lachhaft ist.
Nichts hinzuzufügen habe ich dem Verweis auf die NHL als reine Geldmaschine und die IIHF als hochkorrupter Haufen.