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Wales, das ist in erster Linie Gareth Bale. Vielleicht nicht unbedingt im Viertelfinal gegen Belgien. Der 26-jährige Superstar war zwar immer noch stark, aber nicht mehr ganz so überragend wie noch in den Spielen davor. Mit seinen drei Toren in der Vorrunde schoss er die «Drachen» quasi im Alleingang zum Gruppensieg und damit in die K.o.-Runde.
Was Bale für Wales so wichtig macht, sind nicht nur seine perfekt getimten Freistösse, sein unglaubliches Tempo am Ball und seine grandiose Übersicht, sondern auch seine unaufgeregte Art. Bale ist ein Musterprofi ohne Allüren, der sich voll und ganz in den Dienst der Mannschaft stellt. Individuelle Klasse gepaart mit einem Sinn fürs Kollektiv.
Wales, das sind drei Stars und acht Nobodys. Neben Gareth Bale sorgen im Mittelfeld Aaron Ramsey von Arsenal und Joe Allen von Liverpool für die Musik. Allen ist der Abfangjäger vor der Dreierkette, Ramsey die erste Anspielstation auf dem Weg nach vorne. Wird das Duo aus dem Spiel genommen, tritt meist auch Bale kaum in Erscheinung.
In der K.o.-Runde gegen Nordirland und Belgien konzentrierten sich die gegnerischen Abwehrreihen vor allem auf Bale und wurden dafür bitter bestraft. Ramsey spielte zweimal überragend, war der Denker und Lenker im walisischen Spiel. Im Halbfinal gegen Portugal wird er allerdings wegen einer Gelb-Sperre fehlen.
Im Schatten des Dreizacks Bale/Ramsey/Allen bewegen sich die restlichen acht Wales-Spieler. Ihre Arbeitgeber heissen nicht Liverpool, Arsenal oder Real Madrid, sondern Leicester, Swansea oder Crystal Palace. Sie sind nicht für die spielentscheidenden Einzelaktionen zuständig, sondern ein Zahnrädchen im grossen System, wo jeder seine Aufgabe kennt und gewissenhaft ausführt.
Wenn jeder für den anderen fightet, das Kollektiv stimmt, dann kann ein Team über sich hinauswachsen. Und genau das ist die grosse Stärke der «Dragons». Ein Beispiel gefällig? Fast schon heroisch warfen sich die walisischen Spieler gegen Belgien in der Startphase – als sie vom belgischen Tempo völlig überrumpelt wurden – in die gegnerischen Schüsse.
«11 Freunde sollt ihr sein!» Ob das berühmte Fussball-Zitat wirklich vom deutschen Weltmeister-Trainer Sepp Herberger stammt, ist umstritten. Nicht so dessen Wahrheitsgehalt. Nur wer auch neben dem Platz zusammenhält, kann im Spiel als Team funktionieren.
11, ja sogar 23 Freunde sind die Waliser. Wird Gareth Bale auf den Teamgeist angesprochen, gerät er ins Schwärmen. Er fühle sich, als sei er mit seinen Kumpels im Urlaub: Rätseln, Golf- und Tischtennisspielen – die Waliser haben ihren Spass. «Wir machen alles zusammen und geniessen die gemeinsame Zeit.» «Zusammen sind wir stärker», lautet der Slogan, der im Teamhotel in der Bretagne an den Wänden prangt. Gemeinsam feierten sie am Montag dann auch das Ausscheiden von Erzrivale England überschwänglich.
Wales ist erst zum zweiten Mal an einem grossen Turnier dabei: 1958 scheiterte man an der WM in Schweden erst im Viertelfinal am späteren Weltmeister Brasilien, diesmal führt der Weg mindestens bis in den Halbfinal. Trotz der spärlichen Erfolge und der lediglich drei Millionen Einwohner sieht Wales sich nicht als Fussballzwerg, was vor allem an der langen Fussball-Tradition liegt.
Zusammen mit England, Schottland und Irland gehört Wales zu den Ur-Fussballverbänden, die 1882 das heute noch regelbestimmende International Football Association Board (IFAB) gründeten und mit Ryan Giggs, Marc Hughes oder Ian Rush hat man immer wieder grosse Spieler hervorgebracht. Deshalb würde im britischen Teilstaat niemand vom «kleinen» Wales sprechen, wie das wir Schweizer immer wieder gerne tun. Auch dank diesem Selbstverständnis wachsen die Underdogs von der Insel gerne mal über sich hinaus.
Für die Waliser war schon die Qualifikation für die EM ein Erfolg. Druck verspürten sie deshalb vor dem Turnier und während der Gruppenphase keinen. Jeder Sieg, jeder weitere Tag in Frankreich ist ein schöner Bonus, den sich die Spieler selbst erarbeiten können. So spielen sie – im Gegensatz zu den Favoriten – locker und völlig befreit auf. Wer nichts zu verlieren hat, kann fast nur gewinnen.
Macher des walisischen Erfolgs ist zweifellos Trainer Chris Coleman. Der 46-Jährige, in den 80er- und 90er-Jahren ein beinharter Premier-League-Verteidiger, trat 2012 ein schwieriges Amt an. Nach dem Selbstmord von Vorgänger und Freund Gary Speed passte bei den «Drachen» in den ersten Spielen unter Coleman überhaupt nichts zusammen. Erst ein 1:6 gegen Serbien und ein radikales Umdenken brachten dann die Wende.
Er forderte von seinen Spielern das totale Bekenntnis zum Nationalteam. Dank der gut eingespielten Truppe und einem sehr variablen 5-3-2-System stellten sich die Resultate danach bald ein. Unter Taktikfuchs Coleman spielt Wales einen modernen, stark vom Kollektiv geprägten Fussball, der sich dem gegnerischen System mühelos anpassen kann. Die Waliser kassieren kaum Gegentore und treffen trotz fehlendem Starstürmer dank dem Dreizack Bale/Ramsey/Allen beinahe nach Belieben. Bereits 10 Mal an dieser EM, ein absoluter Spitzenwert.