Schon 101 Mal standen sich England und Wales in Länderspielen gegenüber, aber so wichtig wie die Partie in Lens (Spielbeginn 15.00 Uhr) war in den letzten 137 Jahren noch keine. Erstmals treffen die beiden britischen Teilverbände an einem grossen Turnier aufeinander, was im Vorfeld zu teils bissigen Provokationen führte.
An vorderster Front goss der walisische Starstürmer Gareth Bale Öl ins Feuer. Auf die Frage, wie viele englische Spieler Platz in seinem Team hätten, antwortete er: «Keiner!» Die Aussage mag ziemlich vollmundig tönen, Englands Nationalcoach Roy Hodgson empfand sie gar als respektlos, aber die Waliser möchten endlich einmal aus dem Schatten ihres grossen Bruders treten. Da haben offensichtlich auch Sticheleien ihren Platz.
#GOAL! @GarethBale11 is limbering up for #ENGWAL tomorrow. #EURO2016 #TogetherStrongerhttps://t.co/UY8WAKpOjU
— Wales (@FAWales) 15. Juni 2016
Im Rugby, ihrem noch immer wahren Nationalsport, konnten die Waliser gegen England immer wieder empfindliche Nadelstiche setzen, doch im Fussball waren sie bis anhin der krasse Underdog. Allein die Bilanz der direkten Begegnungen spricht Bände. 14:66 lautet das Sieg-Verhältnis aus walisischer Sicht. Der letzte Erfolg liegt 32 Jahre zurück, und von den bisher 10 Qualifikationsspielen für Welt- und Europameisterschaften gewann Wales kein einziges, verlor aber neun Mal.
Was die Waliser gerne verschweigen: Nicht weniger als neun Spielers ihres Kaders sind in England geboren, die meisten von ihnen sprechen kein walisisch und wurden mittels Ahnenforschung rekrutiert. Grossväter in Wrexham oder sonstwo waren da hilfreich. Der frühere Trainer Gary Speed soll immerhin dafür gesorgt haben, dass die «Anglos» zumindest die Nationalhymne in der keltischen Landessprache Cymraeg mitsingen können.
Mit einem Freistosstor hatte Bale am letzten Samstag den 2:1-Sieg gegen die Slowakei eingeleitet, derweil die Engländer gegen Russland in der Nachspielzeit das 1:1 kassierten und sich nach guter Leistung ihrem eigentlich verdienten Lohn beraubt sahen. So geht Wales mit stolzer Brust und als Leader der Gruppe B ins britische Derby.
England bleibt aber der grosse Favorit. Vor allem der mit 30 Jahren älteste Mann im zweitjüngsten Team des Turniers überzeugte, in ungewohnter Rolle. Wayne Rooney lenkte auf halblinker Position im Mittelfeld das Spiel in grossartiger Manier.
Vor der EM war die Frage gestellt worden, ob Rooney seinen Platz überhaupt noch verdient. Nach dem Match gegen Russland musste sich Hodgson verteidigen, weil er den müde gewordenen Captain in der 77. Minute ausgewechselt hatte. (zap/sda)