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«Unheimlich stark», «heisser Titelanwärter» oder «die muss man erst schlagen» – wenn Fussball-Experten vor der EM 2016 in Frankreich über Belgien sprechen sollen, geraten sie ganz schnell ins Schwärmen. Kein Wunder, Trainer Marc Wilmots hat mit Thibaut Courtois, Eden Hazard, Kevin De Bruyne oder Romelu Lukaku einige der heissesten Youngster der Welt in seinem Kader. Ganz Belgien spricht mittlerweile bereits von der goldenen Generation.
Aber Geheimfavorit auf den EM-Titel? Das «Geheim-» kann man eigentlich streichen. Die Belgier – bis vor kurzem noch die Nummer 1 der FIFA-Weltrangliste – gehören bereits seit zwei, drei Jahren zur Crème de la Crème des Weltfussballs.
Es ist mittlerweile etwas in Vergessenheit geraten: Schon in den 80er-Jahren war die belgische Fussball-Nationalmannschaft absolute Spitze – dank Spielern wie Torhüter Jean-Marie Pfaff, Verteidiger-Haudegen Eric Gerets, Regisseur Enzo Scifo oder Torjäger Jan Ceulemans. Bei der EM 1980 in Italien verloren die «Rode Duivels» erst im Final gegen Deutschland, 1986 scheiterten sie im WM-Halbfinal am späteren Weltmeister Argentinien. Und auch sonst waren sie regelmässiger Endrunden-Gast – zumindest bei Weltmeisterschaften.
Um die Jahrtausendwende folgte dann aber der grosse, jähe Absturz. Bei der sehnlichst erwarteten Heim-EM im Jahr 2000 folgte das peinliche Aus bereits in der Vorrunde. Zwei Jahre später schaffte man es an der WM in Südkorea und Japan zwar noch in den Achtelfinal, die uninspirierten Auftritte vermochten in der Heimat aber längst niemanden mehr zu begeistern. Die Mannschaft war chronisch überaltert. Das Durchschnittsalter betrug fast 30 Jahre und mit Danny Boffin stand damals sogar ein 37-Jähriger im Aufgebot.
Es war augenscheinlich: Belgien hatte taktisch und technisch längst den Anschluss an die Weltspitze verloren. Die sportliche Bankrotterklärung, die sich seit der WM 1990 immer mehr manifestierte, hatte aber auch ihr Gutes. Die Verantwortlichen im belgischen Fussball rund um Michel Sablon – bei der WM 1986 noch Mitglied des Trainerstabes – erkannten die Zeichen der Zeit und handelten.
Der damalige technische Direktor des belgischen Verbandes initiierte einen kompletten Neuanfang. In Frankreich, Holland und Deutschland studierten drei Arbeitsgruppen die dortigen Projekte zur Talentsichtung und Jugendförderung und erarbeiteten unter seiner Führung einen Massnahmenkatalog für Klub-, Nationalteam- und Schulfussball. Einen Masterplan, der den belgischen Fussball wieder konkurrenzfähig machen sollte.
Die Umsetzung des ambitionierten Programms klappte dank der Mithilfe des Bildungsministeriums zunächst ganz gut. Überall in Belgien wurden professionelle Leistungszentren für Junioren gebaut, in denen zum Teil erstklassig ausgebildete Trainer die jungen Talente des Landes ausbildeten. Eine Lehrplanänderung ermöglichte es den Stars von morgen ausserdem, auch an öffentlichen Schulen professionell zu trainieren. Die unmittelbare Folge: kürzere Wege von der Schule ins Training, mehr Zeit auf dem Platz.
Die Verhandlungen mit den Klubs erwiesen sich allerdings als deutlich zäher, da sie sich zunächst nicht in ihre Angelegenheiten reinreden lassen wollten. Doch Sablon und sein Team blieben hartnäckig: Sie gingen zu den Vereinen und baten sie, in all ihren Jugendteams unterhalb der U18 ein flexibles 4-3-3-System einzuführen. Jeder Spieler sollte so schon früh seine Position im Team, seine feste Aufgabe kennen und verinnerlichen.
Rund fünf Jahre dauerte es, bis sich die belgischen Top-Vereine wie der RSC Anderlecht, KRC Genk oder Standard Lüttich komplett auf die Ideen des belgischen Verbands einliessen. Schnell profitierten auch sie. Die vielen aufstrebenden Talente drängten immer früher in Belgiens höchste Spielklasse und konnten im «Planschbecken» Pro League wegen der vielen Abgänge ins Ausland schnell erste Spielpraxis sammeln, sich ans Profi-Niveau gewöhnen.
Entstanden ist so seit der Professionalisierung der Strukturen ein schier unerschöpflicher Fundus an gut ausgebildeten Spielern, die immer mehr zum grossen Export-Schlager des Landes werden. In der Premier League, der finanzstärksten Liga der Welt, spielten in der Saison 2015/16 18 Belgier mit einem Gesamtmarktwert von 403,5 Millionen Euro.
Trotz des Massen-Exodus aus der Pro League haben sich in den letzten sieben Jahren vier verschiedene Teams für die Champions League qualifiziert. Auch dank der ausgeglicheneren Liga liegt Belgien in der UEFA-Fünfjahreswertung drei Ränge vor der Schweiz.
Eingestellt haben sich die Erfolge seit etwas mehr als zwei Jahren auch in der Nationalmannschaft. Spielend und jeweils als Gruppensieger qualifizierte sich die Truppe von Marc Wilmots nach fünf verpassten Endrunden in Serie für die WM 2014 in Brasilien, wo man im Viertelfinal an Argentinien scheiterte, und die EM 2016. Im letzten Jahr sorgte die U17 als WM-Dritter für das erste halbwegs zählbare Resultat, jetzt soll in Frankreich endlich der erste Titel seit dem Olympiasieg vor 96 Jahren her. Überraschen würde das längst niemanden mehr.