Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Zusammen mit drei meiner besten Kollegen sitze ich an diesem 11. Oktober 2011 im Zug Richtung Basel, um dort der Schweizer Nationalmannschaft das letzte Geleit zu erweisen. Die EM-Endrunde von 2012 ist bereits verspielt – zum ersten Mal seit 2002 verpasst die Nati ein grosses Turnier – , jetzt trifft das Team von Ottmar Hitzfeld zum Jahresabschluss noch auf Montenegro.
Trotz verpasster EM war die Stimmung – zumindest bei uns – ausgelassen. Was gibt es Schöneres, als mit guten Freunden ein Spiel unserer Nationalmannschaft live schauen zu dürfen? Tja, anscheinend so einiges.
Obwohl knapp 20'000 Zuschauer den Weg in den St.-Jakob-Park gefunden haben, herrscht abgesehen vom Montenegro-Block Totenstille im Stadion. Nur im oberen rechten Eck stehen vier Jungs, welche versuchen, für Stimmung zu sorgen. Beim Einmarsch der Nati fliegen Fetzen durch die Luft, es wird gesungen, es wird gefeiert – bis uns von hinten ein Zuschauer dumm anmacht und findet, wir sollen «endlich die Klappe halten» und uns setzen.
Es ist nicht so, dass wir kein Verständnis haben. Wir sehen ein, dass er nur will, dass auch sein Sohn etwas vom Match mitbekommt. Doch wohin sollen wir dann? Wo ist 90 Minuten Leidenschaft bei Spielen der Schweizer Nati noch angebracht?
Wir platzieren uns neben der Guggenmusik, welche wie fast immer im Stadion vertreten ist. Immerhin da finden wir mit unseren Fan-Gesängen etwas Anklang. Doch der Funken schwappt nie auf die restlichen Zuschauer über. Die Spieler können sich noch so Mühe geben, das letzte Spiel dieser EM-Quali wenigstens noch zu gewinnen, mehr als ein wenig Applaus bei den beiden Toren zum 2:0-Sieg gibt’s nicht. Aber wieso auch? Alles andere als ein Erfolg gegen dieses kleine Montenegro, gegen das man auswärts noch blamabel 0:1 verloren hat, ist sowieso nicht angebracht. Und überhaupt: Die Spieler würden doch eh alle lieber für Montenegro spielen, wenn sie könnten.
Wer die letzten beiden Sätze nickend zur Kenntnis genommen hat, ja der gehört genau zu dieser Problem-Sorte.
Egal wann, egal wo, egal gegen wen: Nie macht Fussball mehr Spass, als wenn die Zuschauer dich nach vorne pushen. Dies kann im EM-Spiel gegen Frankreich der Fall sein, muss es aber auch bei einem unbedeutenden Spiel gegen Montenegro. Denn wenn ich die Stimmungsbarometer an diesem Dienstagabend zwischen den beiden Fanlagern vergleiche, könnte ich es verstehen – um noch zum zweiten Punkt zu kommen – , wenn die Spieler tatsächlich lieber für Montenegro spielen würden. Denn was im Montenegro-Fanblock abgeht ... unbeschreiblich!
Klar: Montenegro erreichte die erste Play-off-Teilnahme für eine EM, das muss natürlich gefeiert werden. Und ebenfalls verständlich, hält sich die Euphorie nach der verpassten EM aus Schweizer Sicht in Grenzen. Aber trotzdem. Ob in guten wie in schlechten Zeiten – aber eigentlich vor allem in schlechten – braucht das Team den Rückhalt der Fans. Diese Floskel mit dem zwölften Mann auf dem Platz kommt nicht von irgendwo.
Jeder, der schon einmal für eine Fussball-Mannschaft aufgelaufen ist, weiss, wie es sich anfühlt, von Fans angefeuert zu werden. Nichts spornt einen mehr an sein Bestes zu geben als enthusiastische Zuschauer am Spielfeldrand. Egal ob in der 5. Liga, einem Testspiel oder an der EM: Je grösser die Aufmerksamkeit von aussen, desto grösser der Wille auf dem Feld. Man soll Spiele gewinnen wollen, und nicht müssen.
Denkt nur zurück an die WM 2006 in Deutschland. So einen Aufmarsch von Schweizer Fans habe ich selten erlebt. In Dortmund, beim Spiel gegen Togo glich der Signal Iduna Park einem roten Meer, welches nichts anderes gemacht hat, als endlos die Schweizer Hymne von sich zu geben. Ein Schweizer Fussballfest, das bis heute seinesgleichen sucht. Und siehe da: Die Schweiz qualifiziert sich als Gruppensieger für die Achtelfinals. Wer weiss, was noch drin gelegen wäre, hätte Marco Streller seine Zunge zügeln können.
Nur sollte diese Faszination für den Fussball auch abseits der grossen Turniere zelebriert werden. Denn wenn sich Shaqiri und Co. beispielsweise an das Testspiel gegen Bosnien-Herzegowina im März zurückerinnern, wird ihnen bestimmt nicht die Euphorie der Schweizer Fans in den Sinn kommen. Eher jene der bosnischen Anhänger. Dabei müssten es genau diese Erinnerungen sein, welche in den Köpfen der Spieler herumschwirren. Denn diese positiven Gedanken tragen zum Erfolg der Nati bei. Und da sind wir uns einig: Eine erfolgreiche Schweiz wollen wir alle sehen.
PS: Diese Abrechnung soll nicht bedeuten, dass ihr so sein sollt wie wir. Ihr sollt nicht betrunken wie wir an diesem besagten Tag in Basel auf der Tribüne stehen und Lieder der Schweizer Nati lallen. Wir alle sollten lediglich wieder mehr Leidenschaft an den Tag legen und stolz darauf sein, dass die Schweiz ein weiteres Mal für uns an einer EM vertreten ist. Wir sollten stolz darauf sein, dass diese Jungs mit dem Schweizerkreuz auf der Brust für unser Land spielen, egal welches Land unter dem Kreuz noch im Herzen schlägt. Und diesen Stolz müssen wir den Spielern zeigen. Immer und überall. Der zwölfte Mann müssen wir sein.