Wie viel Platz für Freundschaften bietet der Fussball?
Yann Sommer: Viel! Innerhalb einer Mannschaft bin ich meistens mit allen sehr gut befreundet. Aber dass man auch privat, über den Fussball hinaus, ein super Verhältnis hat, ist eher selten. Weil jeder sein eigenes Leben hat mit der Familie. Oder man kommt aus einem anderen Land, hat dort seine Freunde. Klar gibt es mal einen Spieler, mit dem du mehr Kontakt hast. Aber es sind am Ende einer Karriere wenige, mit denen man dieses gute Verhältnis behalten kann. Das Fussballbusiness ist eben geprägt von vielen Wechseln und verschiedenen Ländern.
Wo haben Sie die meisten Freunde?
In Basel.
Vermissen Sie die Stadt manchmal?
Klar. Meine Familie wohnt in Basel. Viele meiner Freunde wohnen in Basel. Ich kenne die Stadt in- und auswendig. Natürlich vermisse ich dieses Umfeld ab und zu. Aber ich freue mich darum umso mehr, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Und die gibt es ja zum Glück relativ oft.
Neben dem Fussball haben Sie zwei Leidenschaften: Gitarre spielen und kochen. Geben Sie es zu: Das ist nur, damit die Herzen schmelzen!
Klar, Gitarrist und Koch – das bin ich nur wegen den Frauen (lacht herzhaft). Nein, im Ernst, das sind zwei Hobbys, die mir sehr viel Spass machen und mich etwas ablenken vom Fussball. Und das tut gut.
Was bedeutet Ihnen Schönheit?
Das Wichtigste ist, dass man sich wohl fühlt in der eigenen Haut. Ändern lässt es sich sowieso nicht. Und Schönheit ist immer relativ. Der Charakter macht viel von der Schönheit eines Menschen aus.
Sie haben einen eigenen Koch-Blog. Wie läuft er?
Gut, das Feedback der Leute ist sehr positiv. Es macht mir sehr viel Spass. Der Blog ist für mich wie ein Buch im Internet. Ich lerne dadurch auch immer wieder neue Leute kennen; Fotografen, Texter oder Köche. Und mache viele spannende Erfahrungen. Ich freue mich über jeden, der sich interessiert und auf www.sommerkocht.ch vorbeischaut.
Wie viel Zeit pro Woche investieren Sie dafür?
Das ist unterschiedlich. Es gibt Tage, an denen ich verschiedene Dinge koche und so ein paar Einträge vorbereite. So komme ich selten in einen Stress. Ich befasse mich schon jeden Tag ein wenig mit dem Blog. Wenn ich etwas Tolles sehe, dann fotografiere ich es gleich. Und sammle die Eindrücke.
Zum Fussball. Sie waren früher ein Penaltykiller. Beim FCB hielten Sie viele Elfmeter. In Mönchengladbach weniger …
… viel weniger.
Warum?
Keine Ahnung. Immer wieder höre ich den Begriff «Penaltykiller» – aber gibt es den wirklich? Ich denke nicht. Die Schützen schiessen zum Teil sehr gut. Dazu ist ein gehaltener Penalty mit viel Glück verbunden. Aber mich stört das nicht. Es geht darum, die richtige Entscheidung zu fällen. Und das ist mir bei Mönchengladbach bis anhin selten gelungen.
Sie sind vor Penaltys in letzter Zeit ruhiger geworden in der nonverbalen Kommunikation mit dem Schützen.
Ja, das hat sich entwickelt. Ich kann etwas selbstbewusster sein, wenn ich einmal zwei oder drei gehalten habe. Aber wenn ich keinen halte, aber dann auf der Linie den Clown mache und der Schuss geht trotzdem rein, dann heisst es in Deutschland schnell einmal: Halte lieber einmal einen Penalty, anstatt dich so zu verhalten. Ich habe einige Erfahrungen gemacht. Gewisse Aktionen haben mich in der Vergangenheit nicht sympathischer gemacht. Ich habe die Lehren daraus gezogen.
Marwin Hitz hat in dieser Saison in Köln einmal den Penaltypunkt malträtiert mit den Schuhen – und danach den Penalty gehalten. Würden Sie so etwas auch tun gegen Albanien an der EM?
Ich hoffe einfach, dass Albanien keinen Penalty erhält gegen uns.
Ist dieses erste Schweizer EM-Spiel gegen Albanien schon ein Final?
Nein, auf keinen Fall. Aber das erste Spiel ist richtungsweisend. Es zeigt, wohin der Weg führt. Und gegen Albanien ist auch viel Prestige im Spiel, weil wir einander alle kennen. Viele haben in der Schweiz gespielt oder spielen immer noch da.
Wann wäre es eine erfolgreiche EM?
Wenn wir die Gruppe überstehen, wäre das als erster Schritt schon einmal sehr wichtig. Auch für das Land. Die ganze Skepsis, die aufgekommen ist, wollen wir überwinden. Und danach? Ich bin überzeugt, wenn wir den Fussball spielen, mit dem Selbstvertrauen, wie wir das auch schon taten, können wir eine gute Rolle spielen an dieser EM.
Vor der WM 2014, als die Schweiz auf Platz 6 der Weltrangliste stand, sagte Torhüter Diego Benaglio: «Im Moment gibt es mehr Schulterklopfer als Leute, die uns mit der Bratpfanne eins auswischen.» Zwei Jahre später ist die Lage anders. Die Skepsis hat zugenommen. Warum?
Es ist für mich erst einmal schwer nachzuvollziehen. Die bedingungslose Unterstützung für die Nationalmannschaft darf nicht von ein, zwei schwächeren Spielen abhängig sein. Aber, ehrlich gesagt, spielt teilweise auch die mediale Beeinflussung eine Rolle. Das finde ich schade in der Schweiz. Man soll schreiben dürfen, dass es schlecht war, wenn wir schlecht spielten. Man darf auch schreiben, dass es eine Katastrophe war. Aber ich finde, man sucht in der Schweiz zu viele Probleme. Das ist in anderen Ländern nicht so.
Ist Ihnen die Stimmung zu negativ?
Momentan noch ja. Wenn wir in Frankreich Erfolg haben wollen, brauchen wir Unterstützung. Natürlich gibt es immer wieder mal kleine Probleme in einer Mannschaft. Aber ich finde, in der Schweiz werden diese immer ausgebreitet. Die Leute lesen Zeitung und lassen sich davon beeinflussen. Wir merken das. Wenn wir gegen Bosnien spielen und kein Schweizer zuschauen kommt. Das hat auch mit der Beeinflussung zu tun.
Wie viel Selbstvertrauen schöpft das Team aus Erlebnissen wie den Wenden in der EM-Qualifikation gegen Litauen vom 0:1 zum 2:1 oder gegen Slowenien vom 0:2 zum 3:2?
Das sind so Spiele, die geben viel Moral. Das zeigt, diese Mannschaft lebt. Wenn ein Team nicht lebt und keine Qualität hat, dann wäre eine Wende in solchen Spielen unmöglich. Wir müssen es aber hinbekommen, konstanter zu sein. Wir müssen einmal von Anfang an gut sein. Und nicht immer einem Rückstand nachrennen. Ich bin sicher: Es wird uns gelingen an der EM.
Haben Sie manchmal Angst, dass bei einigen Spielern das Selbstvertrauen in Überheblichkeit kippt?
Nein, dieses Gefühl habe ich nicht. Jeder nimmt seine persönliche Situation aus dem Klub mit in die Nationalmannschaft. Das hat man auch ein bisschen gemerkt in den letzten Testspielen. Aber man darf diese nicht überbewerten. Das sind Spiele mitten in der Saison. Einige spielen im Abstiegskampf. Einige um Champions-League-Plätze wie wir bei Mönchengladbach. Da ist es ganz normal, dass es schwierig ist vom Kopf her, umzuschalten. Trotzdem waren die Leistungen unbefriedigend.
Breel Embolo und Granit Xhaka sagten: «Der EM-Titel, warum nicht?» Was geht Ihnen bei solchen Worten durch den Kopf?
Ich finde das nicht schlecht. Das ist nicht überheblich gemeint. Sondern ein Traum, ein Ziel. Jeder, der an die EM geht, sollte das tun mit dem Ziel, so weit wie möglich zu kommen. Wir dürfen so denken. Klar heisst das erste Ziel: Die Gruppe überstehen. Aber auch die Schweiz darf träumen.
Was ist übrig geblieben vom Geist der U21, der das Team bis in den EM-Final gebracht hat?
Das kann man überhaupt nicht vergleichen. Es waren zwar einige Spieler dabei. Aber eben auch viele nicht. Es war eine andere Mannschaft. Eine Junioren-Nationalmannschaft. Und doch: Dort haben wir uns selbst gezeigt, was für die Schweiz mit einem tollen Spirit zu erreichen ist. Es war eine wichtige Erfahrung. Dieses Denken, an eine EM zu gehen und sich nicht zu verstecken, müssen wir mitnehmen. Wir wissen: Wir können einen mutigen und guten Fussball spielen – dann wird die Schweiz auch erfolgreich sein.
Mit Mönchengladbach haben Sie nach einem Horror-Start mit fünf Niederlagen noch den vierten Rang und die Champions-League-Qualifikation erreicht. Hätten Sie das noch erwartet?
Nein, natürlich nicht! Nach fünf Niederlagen zum Start macht man sich nur Gedanken darüber, wie man da unten wieder rauskommt und die dafür notwendigen Punkte holt. Hut ab vor dem ganzen Verein!
Sie selbst erlebten erstmals in Ihrer Karriere eine Krise.
Es war ein typisches Beispiel dafür, wie sehr Fussball manchmal Kopfsache ist. Es wurde so viel erwartet von uns. Es hat's zwar niemand gesagt, aber doch hat jeder gedacht, es gehe nach der sensationellen Saison 2014/15 einfach so nahtlos weiter. Und dann kommen zwei, drei Spiele, in denen es nicht so läuft. Plötzlich beginnt die Mannschaft zu überlegen. Plötzlich wird das Spiel verkrampft. Plötzlich sind wir nicht mehr so mutig wie gewohnt. Das hat auch nichts mit dem Trainer zu tun. Das ganze nimmt eine Dynamik an, die unglaublich schwierig zu stoppen ist.
Gleichzeitig bestritt Mönchengladbach die Champions League. Wie war es?
Wunderschön. Ich kannte dieses Gefühl ja schon aus meiner Zeit beim FC Basel. Aber hier ist es nochmal etwas anderes. Weil der Verein die Champions League zuvor noch nie erlebte. In Basel merkte man, dass man in den letzten Jahren einige Champions-League-Erfahrungen gemacht hat. In Mönchengladbach war alles neu. Für fast alle. Für die Fans, für die Spieler, für die Vereinsführung.