Die kroatische Nationalmannschaft am 26. März 2016 im Testspiel gegen Ungarn: (hinten von links:) Domagoj Vida, Mario Mandzukic, Vedran Corluka, Gordon Schildenfeld, Lovre Kalinic, Ivan Perisic, (vorne von links:) Mateo Kovacic, Domagoj Antolic, Marcelo Brozovic, Luka Modric, Sime Vrsaljko. Bild: Igor Kralj/freshfocus
Als Top-Favoriten an der EM werden am häufigsten Frankreich, Deutschland und Spanien genannt. England, Belgien, Italien und Portugal werden Aussenseiterchancen eingeräumt. Komplett vergessen geht dabei Kroatien. Dank dem besten zentralen Mittelfeld aller Teams, werden «die Karierten» für eine grosse Überraschung sorgen.
Es ist der 4. Juli 1998, als sich Kroatien im Stade Gerland in Lyon definitiv im Weltfussball etabliert. Sechs Jahre nach der Wiederaufnahme durch die FIFA (nach dem Erlangen der Souveränität Kroatiens) schlagen die «Kockasti», «die Karierten», Deutschland im WM-Viertelfinal gleich mit 3:0.
Das Telegramm vom WM-Viertelfinal 1998.
Nach einer knappen Halbfinal-Niederlage gegen den späteren Weltmeister Frankreich, holen sich die Kroaten gegen Holland noch den dritten Rang – der überragende Stürmer Davor Suker wird zudem Torschützenkönig des Turniers.
Nun, 18 Jahre später, geht es wieder für ein grosses Turnier nach Frankreich. Und Kroatien hat wieder eine Mannschaft, die das Potential hat, den Favoriten weh zu tun. Mehr noch, Kroatien ist bereit für einen Titel. Die Mannschaft verfügt nicht bloss über grossartige Einzelspieler, die Kroaten haben auch genügend Breite, um für mehr als vereinzelte Spiele zu überraschen. Wir analysieren das Kader.
Trainer Ante Cacic vertraute in der Qualifikation auf das 4-2-3-1, welches es ihm ermöglicht, drei Spieler aus seinem überragenden zentralen Mittelfeld gleichzeitig einzusetzen. In den letzen Testspielen versuchte sich Cacic mit einem 3-1-4-2 (2:0 gegen Israel) und einem 4-3-2-1 (1:1 gegen Ungarn). Auf die EM hin dürfte Kroatien höchstwahrscheinlich aber wieder im gewohnten 4-2-3-1 auflaufen.
Ante Cacic hat im September 2015 die kroatische Nationalmannschaft übernommen.
Bild: Marko Lukunic/freshfocus
Ante Cacic verfügt bisher über wenig internationale Erfahrung. 2012 führte er Dinamo Zagreb zum Double-Gewinn und in die Champions League. Bisher war er ausserhalb Kroatiens lediglich für NK Maribor tätig. Im September 2015 hat der 62-jährige Cacic Niko Kovac als Nationaltrainer beerbt. Assistiert wird Cacic vom ehemaligen Bundesliga- und Nationalspieler Josip Simunic.
Danijel Subasic: Ist Stammtorwart bei der AS Monaco. Nach dem Rücktritt von Stipe Pletikosa ist Subasic nun auch in der Nationalmannschaft die Nummer 1. Der bereits 31-jährige Torhüter hat bisher 19 Länderspiele auf dem Konto, kommt nun sein grosser Auftritt an der EM?
Die Teamkollegen feiern Subasic nach einem gehaltenen Penalty.
Bild: ANTONIO BRONIC/REUTERS
Darijo Srna: Er ist Rekordnationalspieler (bisher 127 Spiele) von Kroatien. Der 34-jährige Captain ist als rechter Verteidiger eine Bank. Bei Schachtar Donezk hat er in dieser Saison zudem in 40 Partien starke 19 Skorerpunkte gebucht (6 Tore, 13 Assists). Eine grossartige Quote für einen Aussenverteidiger.
Vedran Corluka: In der Innenverteidigung ist Vedran Corluka gesetzt. Der 1,92-Meter-Hüne von Lokomotive Moskau ist ein Abräumer. Mit seinen 30 Jahren und 87 Länderspielen bringt er wie Srna viel Erfahrung mit.
Vedran Corluka im Testspiel gegen Ungarn.
Bild: EPA/MTI
Domagoj Vida: Neben Corluka war Domagoj Vida während der EM-Qualifikation in der Innenverteidigung ebenfalls unbestrittener Stammspieler. Die letzten neun der insgesamt zehn Quali-Partien spielte Vida im Abwehrzentrum über 90 Minuten durch. Der 27-Jährige steht bei Dynamo Kiew unter Vertrag.
Sime Vrsaljko: Die grosse Frage bei den Kroaten ist, wer die Position des Linksverteidigers einnimmt. Denn Danijel Pranjic und Josip Pivaric die in der Qualifikation mehrheitlich eingesetzt wurden, stehen beide nicht im EM-Aufgebot. Eine mögliche Lösung wäre Sime Vrsaljko, der ist zwar gelernter Rechtsverteidiger, ist aber zu stark für die Bank und könnte deshalb auf Links eingesetzt werden.
Luka Modric: Er ist einer, wenn nicht der unterschätzteste Mittelfeldspieler der Welt. Seine stupende Technik und seine Kreativität gepaart mit viel Übersicht machen ihn zum kompletten Spieler im Zentrum. Er kann Spiele nicht nur diktieren, sondern auch entscheiden. Er weiss zudem, wie man Titel holt: Mit Real Madrid hat er in den letzen drei Jahren zwei Mal die Champions League gewonnen.
Kostproben von Luka Modric gefällig?
YouTube/rom7ooo
Mateo Kovacic: Wer auf der Doppelsechs neben Modric aufläuft, ist noch offen. Coach Cacic hat die Wahl zwischen Marcelo Brozovic (23, Inter Mailand, Marktwert: 15 Mio.) und Mateo Kovacic (22, Real Madrid, MW: 20 Mio.) Während sich Brozovic bei Inter als unbestrittener Stammspieler und Leistungsträger durchsetzte, gilt für Kovacic bei Real Madrid fast dasselbe. Auf satte 34 Einsätze kam der Mittelfeldspieler bei den «Königlichen», zudem spricht für ihn, dass er schon im Klub neben Modric agiert.
Ivan Perisic: Der Flügelspieler kommt vorzugsweise als Linksaussen zum Einsatz. Hat einen Stammplatz bei Inter Mailand und ist auch bei Kroatien unverzichtbar. Neun Quali-Partien, sechs Tore und drei Assists, lautet seine starke Quote! Wenn er in Form ist, kann er jede Abwehr in Verlegenheit bringen.
Marko Pjaca: Der 21-jährige Marko Pjaca spielt noch in der Heimat bei Dinamo Zagreb, das ist auch der Grund, weshalb sein Name (noch) nicht weitläufiger bekannt ist. Der Rechtsaussen kam in den letzten Quali-Spielen regelmässig zum Einsatz, schenkt ihm Trainer Cacic auch an der EM das Vertrauen? Er hätte das Potential, zu einem der Youngsters der EM zu avancieren.
Ivan Rakitic: Der wohl beste Schweizer Fussballer aller Zeiten spielt für Kroatien. Das ist schade für die Schweiz, aber umso besser für Kroatien. 2014 führte Rakitic Sevilla zum Triumph in der Europa League. Mit Barcelona holt er 2015 in seiner ersten Saison das Triple aus Pokal, Meisterschaft und Champions League. Er ist vom grossen Talent zum Winner-Typen geworden. Der 28-Jährige ist das entscheidende Puzzleteil zu Kroatiens Erfolg.
Ein Best-Of zu Ivan Rakitic. YouTube/Asem Pep
Mario Mandzukic: Ein Kämpfer vor dem Herrn: Mario Mandzukic ist die wohl perfekte alleinige Sturmspitze. Physisch stark, ein Kopfballmonster und zudem ein unermüdlicher Läufer. Er rackert 90 Minuten für sein Team und ist dann doch zur Stelle um das Leder über die Linie zu drücken. Ein Spieler den du definitiv lieber in deinem Team als im Team des Gegners siehst.
Mario Mandzukic: Mangelnden Einsatz kann man ihm nie vorwerfen.
Bild: Darko Bandic/AP/KEYSTONE
Vor allem im Mittelfeld und in der Offensive verfügt Kroatien über grosse Qualitäten auf der Bank. Wohl dem Trainer, der solche Auswechselspieler zur Verfügung hat:
Tin Jedvaj: Der Leverkusener gilt als grosses Defensiv-Talent, kann in der Abwehr praktisch überall eingesetzt werden. Machte mit seinen zarten 20 Jahren schon 47 Bundesliga-Spiele.
Milan Badelj: Der Fiorentina-Söldner wäre in vielen Nationalmannschaften wohl gesetzt. Bei Kroatien ist er lediglich Edel-Backup für die Doppelsechs.
Milan Badelj bringt Basels Marc Janko zu Fall.
Bild: ARND WIEGMANN/REUTERS
Marcelo Brozovic: Kann im defensiven oder offensiven Mittelfeld, aber auch auf dem Flügel eingesetzt werden. Der perfekte Joker für alle Fälle. Könnte aber auch Pjaca als Rechtsaussen in der Stammformation verdrängen.
Nikola Kalinic: Der Stürmer der Fiorentina ist der Ersatz für Mandzukic in der Spitze. Körperlich stark und immer für ein Tor gut. Hat in 36 Serie-A-Spielen 18 Skorerpunkte gesammelt, das ist fast schon zu gut für einen Ersatzspieler.
Damit sich Kroatien tatsächlich durchsetzt und den Titel holt, muss natürlich vieles zusammenstimmen wie etwa die Tagesform oder in gewissen Momenten sicher auch eine Portion Glück. Aber das brauchen alle Teams, die den Titel wollen. Und auf Deutschland, Frankreich oder Spanien wetten, das kann ja jeder.