Zwei Rennen vor Schluss liegt Max Verstappen von Red Bull Racing in Führung. Der Niederländer (351,5 Punkte) hat acht Zähler Vorsprung auf den Briten Lewis Hamilton im Mercedes (343,5 Punkte). Längst ist klar, dass nur dieses Duo sich Chancen ausrechnen kann, Formel-1-Weltmeister 2021 zu werden.
Noch zwei Rennen sind zu absolvieren. Im Grossen Preis von Saudi-Arabien und im Grossen Preis von Abu Dhabi sind dabei maximal 52 Punkte zu holen (inkl. Bonuspunkte für die schnellste Rennrunde). Der siebenfache Champion Hamilton hat die Möglichkeit, zum fünften Mal hintereinander den Titel zu holen, noch in den eigenen Händen: Sollte er beide Grands Prix gewinnen, reichen dem Kontrahenten Verstappen auch zwei zweite Plätze mit der jeweils schnellsten Rennrunde nicht.
Umgekehrt könnte der 24-jährige Niederländer schon am Sonntag erstmals Weltmeister werden. Dazu muss aber auch sein Widersacher mitspielen. Verstappen wird in Dschidda zum 34. Weltmeister der Formel-1-Geschichte, wenn …
Sollten nach Saudi-Arabien und Abu Dhabi beide Fahrer nach 22 Rennen genau gleich viele Punkte auf dem Konto haben, wäre Max Verstappen Weltmeister. Denn bei einem Unentschieden entscheidet die höhere Anzahl Siege und da liegt er momentan mit 9:7 Erfolgen vorne. Würde Hamilton in dieser Statistik ausgleichen können, wäre ein Punktegleichstand nicht mehr möglich, da der 36-jährige Engländer ja mit zwei Siegen fix Weltmeister wäre.
«Ich werde versuchen, in den letzten beiden Rennen weiterhin Spass zu haben», stapelte Verstappen tief. «Es spielt keine Rolle, wo wir am Ende stehen. Wir haben als Team eine sehr, sehr gute Saison hinter uns.»
Ein weiterer Titel von Lewis Hamilton wäre historisch: Mit acht Gesamtsiegen wäre er alleiniger Rekordweltmeister. Bisher teilt er sich diese Marke mit Michael Schumacher. «Ich bin so entspannt wie nie», verriet Hamilton, während ihm frühere Titelkämpfe schlaflose Nächte beschert hätten. «Nun bin ich viel selbstsicherer. Was geschehen ist, kann ich nicht mehr ändern. Alles, was ich kann, ist, zu hundert Prozent bereit zu sein und ich bin mir sicher, dass ich das bin.»
Gefahren wird auf dem Jeddah Corniche Circuit in der Hafenstadt Dschidda, unweit von Mekka am Roten Meer gelegen. Mit 6,174 Kilometern ist es ein langer Kurs, nur jener in Spa-Francorchamps war in diesem Jahr noch länger. Gestaltet haben ihn der bekannte Rennstreckenbauer Hermann Tilke und dessen Sohn Carsten Tilke. Die Arbeiten auf dem Stadtkurs dauern bis zur letzten Minute.
Unter Flutlicht wird den Fahrern kaum ein Moment gegönnt, um durchzuatmen: 27 Kurven stehen in jeder Runde auf dem Programm, an der schnellsten Stelle sollen gemäss Simulationen Geschwindigkeiten von bis zu 350 km/h möglich sein. Auch dank drei DRS-Zonen soll es in Dschidda zu zahlreichen Überholmanövern kommen.
Weil die Strecke als Hochgeschwindigkeitskurs gilt, liegen die Vorteile gemäss Beobachtern eher auf Seiten Hamiltons. Sein Mercedes hat mehr Power.
«Im Simulator ist es eine sehr schnelle Strecke», sagte Verstappen. «Ich freue mich darauf, sie in der Realität zu sehen. Wir sind sehr motiviert und hoffentlich konkurrenzfähig.»
Während die Formel 1 schon länger Rennen in Bahrain und in den Vereinigten Arabische Emiraten (Abu Dhabi) durchführt, kamen 2021 auch Grands Prix in Katar und nun in Saudi-Arabien hinzu. Ölreiche Länder auf der arabischen Halbinsel versuchen, dank dem Sport ein neues, besseres Image zu erhalten: «Sportswashing» nennt sich dies. Einerseits werden Anlässe mit hoher Beachtung durchgeführt, aktuell etwa auch die Schach-WM in Dubai, im nächsten Jahr die Fussball-WM in Katar. Zum anderen wird viel Geld in Fussballklubs gesteckt: Paris Saint-Germain (Katar), Manchester City (Abu Dhabi) und Newcastle United (Saudi-Arabien) sind die prominentesten Beispiele.
Regelmässig werden diese Investments kritisiert. Menschenrechtsorganisationen weisen etwa auf die rückständige Haltung in Gleichstellungsfragen hin, auf die Ausbeutung von Arbeitskräften oder auf die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul. Sportverbände schauen meist nur halbherzig auf diese Probleme, sie versuchen, sie auszublenden und fokussieren sich auf das Geld, das ihnen die nach Prestige strebenden Regierungen bieten. Das Königreich Saudi-Arabien bezahlt der Formel 1 angeblich 900 Millionen Dollar, um während zehn Jahren einen Grand Prix ausrichten zu können.
Das grosse Formel-1-Aushängeschild Lewis Hamilton trat zuletzt in Katar in einem Helm in den Farben des Regenbogens an. Mit diesem werde er auch in Saudi-Arabien und in Abu Dhabi fahren, kündigte der Brite an. Unter anderem setzt er sich damit für die freie sexuelle Orientierung ein. In Saudi-Arabien ist Homosexualität illegal, es drohen öffentliche Auspeitschungen, lebenslängliche Haft oder gar die Todesstrafe. Gestern Donnerstag kreuzte Hamilton zudem mit einem Shirt auf der Rennstrecke auf, das zahlreiche flehende Hände zeigte.
«Ob ich mich hier wohlfühle? Ich würde nicht sagen, dass ich das tue», antwortete Hamilton auf eine entsprechende Reporterfrage. «Aber es ist nicht meine Entscheidung, hier zu sein. Der Sport hat eine Entscheidung getroffen, hier zu sein. Und ob es nun richtig oder falsch ist: Solange wir hier sind, ist es wichtig, zu versuchen, das Bewusstsein zu schärfen.»