Lian Bichsel – nur Verlierer in einem absurden Hockey-Theater
Ja, die Verbannung aus dem Nationalteam bis und mit der WM 2026 und damit auch für das olympische Turnier wirkt zunächst einmal wie eine Kalberei. Aber Lian Bichsel hat sich diese Geschichte und die neuste Fortsetzung weitgehend selbst eingebrockt. Mit kluger Beratung wäre es nicht so weit gekommen.
Keiner ist wichtiger als die Mannschaft. Schon gar nicht ein 21-jähriger Verteidiger, der zwar über das Potenzial für eine grosse NHL-Karriere verfügt. Aber so gut ist er nicht, dass er beim olympischen Turnier oder bei der Heim-WM 2026 die Differenz machen könnte. Lian Bichsel wird bei diesen Grossereignissen nicht dabei sein. Aus sportlicher Sicht: Na und? Ob er beim olympischen Turnier teilnimmt, interessiert im NHL-Kosmos etwa so stark wie ein Hockeystock, der in Montréal im Kabinengang umfällt.
Dass sich die Nationalmannschaft den Verzicht auf einen NHL-Verteidiger leisten kann, ist ein gutes Zeichen für die Breite und Qualität unseres Hockeys. Dass es nicht gelingt, diese lächerliche Affäre gütlich zu lösen oder wenigstens zu verhindern, dass daraus ein absurdes Theater wird, hingegen nicht.
Die Ausgangslage ist simpel: Erfolg ist im Teamsport nur möglich, wenn für alle die gleichen Regeln gelten. Diese Regeln hat Nationaltrainer Patrick Fischer zusammen mit seinem Captains-Team – also Roman Josi, Nico Hischier, Andrea Glauser, Nino Niederreiter und Leonardo Genoni – erarbeitet. Sie gelten auch für die Programme der Nachwuchs-Nationalteams.
Ein Neuling, der diese Regeln missachtet (Aufgeboten nicht Folge leistet) und dann davon ausgeht, dass für ihn eine Ausnahme gemacht wird, weil er ein ach so grosses Talent ist, überschätzt sich – und ist schlecht beraten.
Ein Aufstand gegen den Entscheid eines erfolglosen und unpopulären Nationaltrainers mag eine minimale Aussicht auf Erfolg haben. Aber nicht gegen den Entscheid des erfolgreichsten Nationaltrainers der Geschichte, dessen Haltung von sämtlichen Leitwölfen im Team mitgetragen wird.
Ein Grund, warum Patrick Fischer das Nationalteam bereits dreimal in den WM-Final geführt hat: Für alle gelten die gleichen Regeln. Diese konsequent gelebte Gleichbehandlung ist ein wesentlicher Teil des Erfolges.
Bei guter Beratung hätte Lian Bichsel diese konsequente Haltung und die Mechanismen des Teamsportes verstanden und den Fall auf sich ruhen lassen. Nach der WM 2026 werden die Karten neu gemischt, für ihn sind dann alle Türen wieder offen. Er ist erst 21 und hat noch 15 Jahre im Nationalteam vor sich.
Im Wissen um diese Ausgangslage ist es von Lian Bichsel ganz einfach unsinnig (der Respekt verbietet es, den Ausdruck «dumm» zu verwenden), die ganze Geschichte in einem NHL-Podcast wieder aufzuwärmen. Mit Aussagen wie: «Momentan ist es sehr schwierig, über dieses Thema etwas zu sagen. Wir befinden uns in einer hektischen Phase, ich mit dem Verband und meinem Management … Für mich persönlich ist es aber sehr wichtig, dass die Wahrheit rauskommt.» Zuvor hatte es bereits einen missglückten Versuch gegeben, die ganze Geschichte über den «Blick» wieder zu thematisieren. Und das ging ja sicherlich nicht ohne Einverständnis mit dem Spieler und seinen Beratern über die Bühne.
Allerdings könnte auch der Verbandsführung ein wenig gute Beratung nicht schaden. Die einfache, logische und kluge Reaktion auf Bichsels Aussagen im NHL-Podcast wäre gewesen: keine. Ignorieren, zur Tagesordnung übergehen.
Aber der Verband hat sich zu einer höchst ungeschickten (der Respekt verbietet es auch hier, den Ausdruck «dumm» zu verwenden) Stellungnahme verleiten lassen. Erst sie gibt dem in einer breiteren Öffentlichkeit vergessenen «Fall Bichsel» auf einmal einen offiziellen Charakter. Sogar der neue Verbandspräsident hat sich dazu verleiten lassen, offiziell eine Angelegenheit zu kommentieren, zu der es gar nichts mehr zu sagen gibt. Weil alles schon gesagt und entschieden ist und es keine neuen Wahrheiten gibt.
Lian Bichsels Aufwärmen der ganzen Geschichte zeigt seine Uneinsichtigkeit in einer Auseinandersetzung, in der jeder Nationaltrainer gegen einen Spieler seines Formates am längeren Hebel sitzt. Er ist – noch – nicht Roman Josi, Nico Hischier oder Nino Niederreiter.
Dass sich nun auch noch der neue Verbandsvorsitzende Urs Kessler ohne jede Not mit einer völlig unnötigen offiziellen Stellungnahme in diese Sache hat hineinziehen lassen, für die er keinerlei Verantwortung trägt, ist kein gutes Zeichen. Welcher Teufel hat ihn da bloss geritten? Auch in den Verbandsbüros könnte eine Prise Demut helfen.
Der ganze «Fall Bichsel» ist ein Lehrstück über schlechte Beratung eines potenziellen NHL-Stars und Selbstüberschätzung. Aber ebenso über Verbandsfunktionäre, die sich nach mehreren WM-Finals zu wichtig nehmen und sich in eine Angelegenheit einmischen, die der Nationaltrainer und seine sportlichen Leitwölfe längst definitiv geklärt und entschieden haben und über die es nichts mehr zu sagen gibt. Auch das ist eine Form von Selbstüberschätzung.
Um es auf den Punkt zu bringen: Der Mensch redet mit Katzen, Vögeln, Pferden, Eseln, Kälbern und Hunden. Da müsste es doch auch möglich sein, dass Spieler, Trainer, Verbandsfunktionäre und Berater miteinander reden, bevor ein Theater aufgeführt wird, bei dem es am Ende des Tages nur einen Verlierer gibt: unser Eishockey.
