Wenn es um das «Yellow Submarine» geht, dann denken die Menschen in Liverpool normalerweise an ihre Beatles. Heute Mittwoch ist das für einmal anders. An der legendären Anfield Road ist für das Hinspiel des Champions-League-Halbfinals nämlich die spanische Version des gelben U-Boots zu Gast: die Fussballer aus Villarreal. So wird das Team aus der spanischen Kleinstadt knapp 60 Kilometer nördlich von Valencia liebevoll genannt.
Dieses Villarreal hat sich aufgemacht, mit seinen Erfolgen ganz Europa zu verblüffen. Juventus Turin im Achtelfinal? Souverän aus dem Weg geräumt. Bayern München im Viertelfinal? Eiskalt ausgeschaltet. Die spanischen Zeitungen gerieten ins Schwärmen. «Villarreal ist entschlossen, den europäischen Fussball auf den Kopf zu stellen», stellte «Sport» fest. Und die «Marca» schrieb nach dem Coup in München: «Was für ein Abend! Was für eine Begeisterung! Villarreal schreibt sich mit goldenen Lettern.»
Der Architekt dieses kleinen Meisterwerks heisst Unai Emery. Im Sommer 2020 begann er als Trainer in Villarreal. Mit im Gepäck viele Erfahrungen aus ganz Europa. Nicht nur positive, gewiss nicht, bei Paris St-Germain und Arsenal hielt sich die Begeisterung über seine Fähigkeiten in engen Grenzen. Doch eines muss man ihm lassen, und darauf weist jetzt auch Liverpool-Trainer Klopp wieder hin: «Emery ist der Meister der Pokal-Wettbewerbe.» Dreimal hintereinander gewann er mit Sevilla zwischen 2014 und 2016 die Europa League.
Und nun, im letzten Sommer, gelang es ihm tatsächlich, dieses Kunststück mit Villarreal zu wiederholen. Nach einem epischen Penaltyschiessen – 11:10 – stand der Triumph im Final gegen Manchester United fest, Torhüter Rulli kürte sich zum Helden, indem er zunächst selbst verwandelte und dann jenen Versuch von Uniteds Torhüter De Gea entschärfte. Es schien der Höhepunkt dieses gelben Märchens zu werden. Doch Villarreal will mehr. Zwar war der Verein bereits 2006 im Champions-League-Halbfinal (und scheiterte an Arsenal), doch das war, bevor sich die Geldflüsse im Fussball in immer schwindelerregendere Sphären bewegten.
Und nun also Liverpool. Dessen Trainer Klopp hat für Villarreals Weg zwei Worte übrig: «Beeindruckend! Wow!» In ihrem Song «Yellow Submarine» besingen die Beatles unter anderem die Leichtigkeit des Lebens auf hoher See. Genau dieser Leichtigkeit des Seins will Villarreal noch ein wenig frönen.
Noch im Frühherbst deutete wahrlich wenig auf so einen Weg hin. Damals, als in der Vorrunde ein Punktverlust beim Gastspiel in Bern wohl das vorzeitige Aus bedeutet hätte. Dass auch der damalige YB-Trainer David Wagner mit einer unverständlichen Taktik mithalf, darf man sich durchaus in Erinnerung rufen, jetzt, wo die grössten Spiele der Vereinshistorie Villarreals anstehen.
Doch wie ist ein solches Märchen möglich? Mit 50'000 Einwohnern findet Villarreal knapp Aufnahme in der Liste der 150 grössten Städten Spaniens. Etwas zugespitzt ist Villarreal also das Sarnen, Flawil, Suhr oder Birsfelden der Schweiz.
Eine Erklärung bietet vielleicht das Wesen und Wirken von Fernando Roig. 74-jährig ist der Präsident mittlerweile. 1997 übernahm er den Verein, etwas mehr als 400'000 Euro bezahlte er damals. Eine überschaubare Summe für Roig, der sein Vermögen in der Keramik-Branche gemacht hat.
In den 25 Jahren seither investierte Roig knapp 200 Millionen Euro. Das ist einiges an Geld, aber eben doch wenig im Vergleich zu den Grossen der Branche. Was Roig meisterhaft verstand, ist, eine nachhaltige Verbundenheit zwischen Verein und Bevölkerung zu schaffen. Ein Viertel der 50'000 Menschen in Villarreal ist im Besitz einer Dauerkarte. Fast die Hälfte ist Mitglied im Verein – beeindruckend. Roig sagte einmal in einem Interview: «Sie sind das Orchester, ich nur der Dirigent.»
Dazu legt der Patron grossen Wert auf die eigene Jugend, baute eine Akademie. Davon profitiert Villarreal seit Jahren, wird von einem grossen Stamm an Eigengewächsen getragen. Ob das nun reicht für den Final? Es ist dem Fussball-Kosmos irgendwie zu wünschen.