«Es war kalt, sehr kalt....» An die Witterungsverhältnisse am 6. Dezember 2001 im Berliner Olympiastadion mag sich Dortmund-Trainer Lucien Favre auch knapp zwei Jahrzehnte später noch bestens erinnern. Wohl auch aufgrund der Kälte verloren sich an jenem Samichlaus-Tag nur knapp 10'000 Zuschauer im weiten Rund im Westen der einst geteilten Stadt. Zudem versprach die Affiche der 3. Runde im UEFA-Cup aus Sicht der Anhänger des Bundesligisten offensichtlich wenig Spannung.
Die Hertha hatte einen Lauf, war seit zehn Pflichtspielen ungeschlagen und trat nach dem Heimsieg vier Tage zuvor gegen Bayern München mit Selbstvertrauen, aber wohl auch einer Prise Überheblichkeit an. Mit Ausnahme von Eintracht Frankfurt, das 1978 in den UEFA-Cup-Viertelfinals von den Grasshoppers eliminiert wurde, war noch nie ein Team aus der Bundesliga an einem Schweizer Vertreter gescheitert. Und das 0:0 im Hinspiel in Genf kam dem Wunschergebnis des Favoriten nahe.
Doch auch Favre wertete das torlose Remis in der Charmilles als «sehr gutes» Resultat. «Es liess uns alle Möglichkeiten offen.» Mit Real Saragossa hatte Servette in der Runde zuvor bereits einen Vertreter aus einer europäischen Topliga ausgeschaltet. Und auch in Berlin trat der Schweizer Cupsieger keck und selbstbewusst auf.
Den Grundstein zur Überraschung legten die Genfer nach gut einer Viertelstunde innerhalb von 50 Sekunden. In der 17. Minute köpfelte der Brasilianer Hilton eine Freistossflanke zur Führung für die Gäste ein, eine knappe Minute später konnte Herthas Verteidiger Dick van Burik Alex Frei nur mit einem Foul stoppen und sah die Rote Karte. «Der Ausschluss war gerechtfertigt. Ohne dieses Foul wäre ich allein auf den Torhüter gezogen», wertete Frei nach dem Spiel den umstrittenen Platzverweis.
Der heutige Schweizer Rekordtorschütze sorgte mit dem 2:0 kurz nach der Pause für die Vorentscheidung, Goran Obradovic staubte in der 70. Minute zum 3:0 ab, nachdem ein Freistoss von Sébastien Fournier von der Latte zurückgeprallt war. Das Verdikt hätte aber auch weniger deutlich ausfallen können. In der ersten Halbzeit war Hertha Berlin dem Ausgleich mehrmals nahe gekommen. Der starke Servette-Torhüter Eric Pédat und etwas Glück verhinderten, dass der Bundesligist einen Weg zurück in die Partie fand.
«Die erste Halbzeit war bei weitem nicht das Beste, was wir in dieser Saison im UEFA-Cup abgeliefert haben», sagte Captain Pédat selbstkritisch nach der Partie. Favre freute sich zwar über den Erfolg, liess sich davon in der von ihm gewohnten Art aber nicht blenden: «Ein Trainer darf nicht bei Momentaufnahmen verweilen. Er hat die Aufgabe, weiter zu arbeiten, nach vorn zu blicken und sein Team weiter zu verbessern. Ich habe auch bei diesem 3:0 einiges erkannt, das verbessert werden muss.»
In der deutschen Hauptstadt sorgte das Ergebnis für Aufsehen. «Ihr seid die Euro-Deppen. Europa lacht über Hertha», titelte die «Bild»-Zeitung am Tag danach. Und der Reporter der ARD hatte während der Live-Übertragung schon festgestellt: «Das ist eine Nikolaus-Bescherung der besonderen Art. Und eine Deklassierung. Die Schweizer spielen beeindruckend.»
Auch bei den Verantwortlichen von Hertha Berlin hinterliess der Auftritt von Servette an diesem bitterkalten Abend Spuren. Alex Frei weckte das Interesse der Berliner und anderer Bundesligisten, der damals 22-jährige Stürmer verliess Servette Anfang 2003 aber Richtung Stade Rennes. Trainer Favre erlag Herthas Werben im Frühjahr 2007 und wechselte an die Spree, nachdem er auch beim FC Zürich bewiesen hatte, dass er Titel gewinnen kann.
Servettes Abenteuer im UEFA-Cup endete nach dem Coup in Berlin eine Runde später. Die Genfer blieben in den Achtelfinals gegen den FC Valencia ohne Chance und schieden mit dem Gesamtskore von 2:5 aus. (pre/sda)