Man reibt sich beim Blick auf die Tabelle der Super League die Augen. Der grosse FC Basel startete in die Saison, um sich mit den Topteams zu messen. Nun steht der langjährige Schweizer Fussball-Krösus trotz nominell konkurrenzfähigem Team abgeschlagen am Ende der Rangliste.
Gleichzeitig müht sich der ehemalige Basler Meistertrainer Urs Fischer beim Berliner Kultverein Union von Niederlage zu Niederlage. Inzwischen ist die Negativserie bereits zweistellig. Hätte sich der Schweizer in den vergangenen Jahren nicht einen derart erhabenen Status erarbeitet, er wäre schon lange weg. So wie beim FCB in der aktuellen Spielzeit bereits die Übungsleiter Timo Schultz und Heiko Vogel.
Neu ruhen die Hoffnungen am Rheinknie also bei Fabio Celestini. Er soll es an der Seitenlinie richten. Doch gespielt wird auf dem Feld. Dies betont auch Sportpsychologin Cristina Baldasarre. Sie hat die speziellen Mechanismen im Mannschaftssport als Sportpsychologin in verschiedenen Sportarten hautnah miterlebt – bei den Schweizer Wasserballern und zuletzt bei der Herren Unihockey-Nati.
Wie erklärt sie sich die fundamentale Krise beim FCB? Baldasarre sagt, es gebe jeweils Vorboten vor einer Krise. Die enorme Erwartungshaltung auf allen Ebenen des Klubs kann ein solcher sein oder das Verlieren mehrere wichtiger Spieler in kurzer Zeit.
Angekurbelt wird eine Negativspirale oft von einigen kritischen Ereignissen. «Diese sind einzeln betrachtet gar nicht so schlimm, führen aber als Anhäufung von nicht positiven Zufälligkeiten schnell einmal in die Krise». Baldasarre nennt als Beispiele die Verletzung von Leistungsträgern, wegtransferierterte Schlüsselspieler, mehrere Patzer auf dem Spielfeld, unglückliche Niederlagen gegen ein vermeintlich schwächeres Team oder eine Benachteiligung durch den Schiedsrichter.
Befindet man sich einmal in der Abwärtstendenz, nimmt die Leistung ab. Die Medien fokussieren auf die vermeintliche Krise. «Aus einem kleinen Elefanten wird ein grosser Elefant. Man behält die Negativspirale am Kochen. Den Spielern wird signalisiert, etwas läuft völlig falsch. Dabei ist die Situation zu diesem Zeitpunkt objektiv gesehen gar noch nicht so schlimm», erklärt die Sportpsychologin.
Die tödliche Mischung brodelt in drei Bereichen: Die Gedanken der Spieler werden emotional, Angst vor Misserfolg macht sich breit, der Ärger über die Situation ist spürbar. Man fühlt sich schuldig oder schämt sich sogar. «Negative Emotionen wirken leistungshemmend, es kommt zum emotionalen Teameinbruch», sagt die Expertin.
Auf der kognitiven Ebene spürt man den Druck und nimmt den gestressten Trainer wahr. «Im Kopf der Spieler beginnt es zu rattern. Ich überlege mir die Ursachen, wieso es so schlecht läuft. Der Fokus liegt beim Schlechten». Das hat auch Auswirkungen auf das Verhalten. «Wer negativ denkt, dessen Leistung wird schlechter. Weil jeder vermehrt mit sich selbst beschäftigt ist, nimmt auch die Kommunikation ab. Man spielt ohne Risiko, fürchtet sich vor Fehlern», sagt Baldasarre. Oft stünden auch unausgesprochene Schuldzuweisungen im Raum.
Doch wie kann ein neuer Trainer oder das Team das Ruder wieder herumreissen? Wie kommen leistungssteigernde Gedanken wie Freude, Stolz, Dankbarkeit und Selbstvertrauen zurück in die Köpfe der Spieler?
Cristina Baldasarre sagt, dass der Trainer oft nicht mehr als ein Bauernopfer sei, ein neues Gesicht an der Seitenlinie nicht per se Besserung verspricht. «Es muss sich durch einen Trainerwechsel nicht zwingend etwas an den Emotionen ändern, denn niemand kann sich so schnell etablieren, um innert kürzester Zeit alle Spieler zu erreichen.» Ein Trainerwechsel sei zwar eine Situationsveränderung, aber das gehe nicht unbedingt mit der gleichzeitigen Verarbeitung der schlechten Emotionen einher.
Den Karren herumreisen, müssen letztlich die Spieler – einzeln und auf Teamebene. «Und das ist pickelharte Arbeit», sagt die Expertin für psychologische Prozesse im Spitzensport. Jene, die hadern, müssten zuerst die negativen Gedanken aufarbeiten, damit sie durch diese nicht mehr blockiert werden und ihr Selbstvertrauen wieder finden. «Es gilt, eine emotionale Blockade zu lösen und dafür braucht es meistens einen Spezialisten oder zumindest einen sehr gut geschulten Trainer, der die richtigen Hilfestellungen geben kann.»
Der Weg aus einer derart fundamentalen Krise sei kein Sprint, viel mehr ein mittelfristiger Prozess. Man müsse lernen, anders mit Fehlern umzugehen, sie zu akzeptieren und gleichzeitig weniger darauf zu fokussieren. Vorwärtsschauen, anstatt zu verharren. Aber auch Emotionen zu zügeln oder sie so zu leiten, dass sie nicht hinderlich sind. «Jeder Spieler muss seine Verantwortung übernehmen, muss an sich arbeiten. Doch gerade dies passiert in solchen Situationen oft viel zu wenig», sagt Baldasarre.
Auch ein Trainer benötige dafür viel Energie. Er erzielt in einer Krise Wirkung, wenn er Hilfestellungen anbietet. Man definiert ganz bewusst die Rollen im Team: Wer treibt an? Wer sorgt für die gute Stimmung? Wer holt die Mitspieler bei einem Rückschlag zurück?
Der Coach soll den Fokus auf positive Dinge lenken, die Spieler gute Emotionen spüren lassen, den Druck von ihren Schultern nehmen. «Dafür braucht es Kreativität und ab und zu die eine oder andere unorthodoxe Methode. Durch gemeinsame Erlebnisse auf emotionaler Ebene kann ein Team aus dem Strudel herausgeholt werden», sagt Cristina Baldasarre. Vielleicht braucht es also beim FC Basel nicht nur nach einem Titelgewinn, sondern gerade jetzt in der Krise einen Überraschungsbesuch von Roger Federer in der Garderobe. (aargauerzeitung.ch)