Da war er wieder, dieser Nick Woltemade. Das Zuspiel gab der Stürmer des VfB Stuttgart mit dem Aussenrist weiter, bewegte sich in den Raum, lief dann zum Ball und versenkte diesen sicher zum 2:0 im Netz. Auch beim dritten Tor seines Teams war er involviert und beim 3:1-Sieg gegen Leipzig im Halbfinal des DFB-Pokals so eine wichtige Figur. Dadurch zeigte der 23-jährige Angreifer erneut, weshalb in Deutschland derzeit wohl über keinen Fussballer so viel gesprochen wird wie über ihn.
@skysportde Woltemade ist weiterhin richtig gut drauf! Stuttgart zieht ins Pokalfinale ein! 💥 👏 #SkyPokal #DFBPokal #VfBRBL #Stuttgart #Leipzig ♬ Originalton - SkySportDE
Spätestens seit seinem Hattrick im Trikot der deutschen U21-Nationalmannschaft beim 3:1-Sieg gegen Spanien ist ein regelrechter Hype um Woltemade entstanden. Besonders das erste Tor sorgte für Begeisterung. Wie er den Ball erst am Verteidiger vorbeispitzelte und dann gefühlvoll über den Goalie lupfte, war schlicht Weltklasse. Der Torjäger selbst freute sich aber über die Tore zwei und drei noch mehr. «Es sind typische Stürmertore», so Woltemade, der anfügte: «Ich habe viel daran gearbeitet, dass ich in die Räume komme, in denen Tore passieren.»
Eigentlich ist Woltemade nämlich kein klassischer Mittelstürmer. Er selbst sagte zu seiner Position im Podcast «Copa TS»: «Ich kann dir die Acht (zentrales Mittelfeld) geben, die Zehn (offensives Mittelfeld), auch mal den Mittelstürmer. Mir ist es echt Latte. Hauptsache, ich stehe auf dem Platz und kann irgendwo in der Mitte rumturnen.» Woltemade verfügt über grosse Qualitäten im Dribbling und bei der Ballkontrolle. Für seine Körpergrösse ist er technisch unheimlich versiert. «Zwei-Meter-Messi», nannte ihn Teamkollege Atakan Karazor deshalb spasseshalber – wobei er damit etwas übertrieben hatte: Woltemade ist nämlich «nur» 1,98 Meter gross.
Der Shooting Star orientiert sich in seiner Spielweise auch an Vorbild Harry Kane. Zusätzlich zu seinen Qualitäten am Ball kommt das starke Passspiel. Immer wieder lässt er sich ins Mittelfeld fallen und treibt das Spiel auch von dort an, kann es mit seinem Tempo aber auch jederzeit mit dem Ball am Fuss selbst beschleunigen. Der Deutsche zeichnet sich auch durch seine Übersicht und sein Spielverständnis aus, das sich während dieser Saison deutlich verbessert hat, wie Fussball-Autor und -Journalist Christoph Ruf beim ZDF befindet.
Ungewöhnlich ist für einen Spieler dieser Grösse auch die grosse Schwäche Woltemades: das Kopfballspiel. Jedoch macht er in diesem Bereich ebenfalls Fortschritte. Ging er bei Eckbällen früher kaum je in den Strafraum, traf er gegen Spanien mit einem wuchtigen Kopfball an die Unterkante der Latte. Auch gegen Leipzig war er per Kopf bei einem Tor involviert.
Bei seiner Entwicklung spielt Stuttgarts Trainer Sebastian Hoeness eine grosse Rolle. Obwohl Woltemade im Gespräch mit ESPN nach dem Einzug in den Pokalfinal nicht genau benennen konnte, wie der 42-Jährige ihm half, sagte er: «Er hat eine Menge getan. Viel mit mir trainiert, viele gute Videoanalysen gemacht. Es war der richtige Entscheid, hierherzukommen.»
Seine fussballerische Laufbahn begann bei Werder Bremen. Bereits mit acht Jahren wechselte er 2010 in die Jugend des Bundesligisten und durchlief sämtliche Juniorenteams. Schon früh galt er als grosses Talent. Im Alter von 17 Jahren und 352 Tagen wurde er zum jüngsten Bundesliga-Debütanten in der Geschichte der Bremer. Aufgrund mangelnder Spielpraxis wechselte er für die Saison 2022/23 zum damaligen Drittligisten Elversberg, wo er in 31 Spielen zehn Tore und neun Assists erzielte.
Trainer Horst Steffen erinnert sich bei der «Bild» zurück: «Mich hat beeindruckt, wie stark er am Ball war, den konnte ihm kaum einer abluchsen.» Zu Beginn sass Woltemade bei Elversberg dennoch häufig auf der Bank. Wie er damit umging, hinterliess bei Steffen ebenfalls Eindruck: «Er hat sich extrem aufmerksam und geduldig angehört, wo genau ich mir eine Steigerung von ihm erwartete: eben nicht nur im Fussballerischen, sondern vor allem in Sachen Fokus und Fleiss in der Arbeit gegen den Ball. Seine Bereitschaft, zu lernen und zu arbeiten, war aussergewöhnlich.»
Dass sich dies nicht gross verändert hat, zeigten Aussagen von Hoeness und Woltemade rund um das Spiel gegen Eintracht Frankfurt am letzten Wochenende. Bei der 0:1-Niederlage sass der Stürmer eine gute Stunde auf der Bank. Hoeness sagte danach: «Da steckt kein Trick dahinter. Da steckt nur dahinter, dass wir auf den Jungen auch ein bisschen aufpassen müssen.» Woltemade ärgerte sich nicht über die Rolle als Joker. «Ich vertraue dem Trainer da, er ist schon ein bisschen älter, hat mehr Erfahrung im Profibereich», stellte er klar und gab mit Blick auf die beiden U21-Länderspiele in der Woche davor zu: «Ich war schon müde.»
Seit dem letzten Sommer ist Woltemade nun in Stuttgart. Es war ein Herzensentscheid, Bremen nach Ablauf seines Vertrags in Richtung Schwabenland zu verlassen. Schon als Jugendlicher hatte er eine enge Verbindung zum VfB: «Meine Tanten, Onkel und Cousins kommen aus Stuttgart, mein Opa und mein Vater waren schon immer grosse VfB-Fans.» Das Bremer Weserstadion besuchten sie nur, wenn Stuttgart zu Gast war. Oftmals sei Woltemade auch zu Heimspielen oder Trainingseinheiten nach Baden-Württemberg gereist.
Umso glücklicher dürften er und auch die Fans des Pokalfinalisten und Elften der Bundesliga sein, dass es Woltemade nach dem schwierigen Start – im Sturm spielte er neben den teuren Einkäufen Deniz Undav und Ermedin Demirovic nur eine untergeordnete Rolle – immer besser läuft. Seit Ende Oktober hat er in 21 Spielen wettbewerbsübergreifend 13 Tore erzielt. Mittlerweile sei er gar ein Thema bei Bayern München, Bundestrainer Julian Nagelsmann hat ihn ohnehin auf dem Zettel.
Abheben dürfte Woltemade anhand des grossen Rummels um ihn eher nicht. Elversberg-Trainer Steffen erzählt dazu eine passende Anekdote: «Er hat mal ein Tor seines Teamkollegen mit ihm gefeiert, indem beide so getan haben, als würden sie Schnee schippen.» Damit wollte er sich bei den Fans bedanken, die vor dem Spiel das Feld von Schnee befreit und den Anpfiff so ermöglicht hatten. «Er weiss einfach, dass es nicht immer nur um einen selbst geht», so Steffen.
Auch mit dem aktuellen Hype scheint Woltemade gut umgehen zu können. «Es ist schon recht viel», sagte die deutsche Sturmhoffnung gemäss «Kicker» und erklärte, die Schlagzeilen grösstenteils ausblenden zu wollen. «Ich versuche das schon alles für mich ein bisschen einzuordnen. Vor Monaten haben noch nicht so viele Leute über mich gesprochen. Es dreht sich immer schnell, es kann sich auch wieder in die andere Richtung drehen.» Deshalb lege er das Handy auch einfach mal weg, um sich nicht die ganze Zeit auf den Internet-Seiten zu sehen und sich nicht zu viel darauf einzubilden. Denn er weiss auch ganz genau: «Wenn ich dreimal das Tor nicht treffe, dann wird's wieder anders aussehen.»
Deshalb macht er sich auch nicht zu viel aus den Spitznamen, die derzeit zahlreich kursieren. Von «Wondermade» über «Woltemagic» bis zu «Schwaben-Ibra» ist alles dabei. Am verbreitesten ist aber wohl «Woltemessi», wie ihn sogar Frankfurt-Coach Dino Toppmöller nannte. Der Gepriesene selbst sagte bei Sport1 dazu: «Die Medien können mit meinem Namen machen, was sie wollen. Ich bleibe einfach Nick.»