Beim Fussball braucht es primär einmal, nun ja, die Füsse. Ist ja klar. Aber dann kommt ziemlich bald einmal der Kopf. Auch ohne ihn geht nichts, das gilt hinten und vorne, in der Verteidigung, im Sturm. Und im Mittelfeld gleich noch dazu. Überall wird wie wild geköpfelt.
Die Frage ist nur: wie lange noch? Denn der Kopfball steht auf dem Prüfstand. Und wenn sich fortsetzt, was gerade seinen Anfang nimmt, dann verschwindet er dereinst vielleicht ganz von den Fussballplätzen. Weil die Verbände zum Schluss kommen, dass Kopfbälle zu gefährlich sind für die Gesundheit der Spieler. Nicht gleich heute und nicht morgen. Aber irgendwann.
Am meisten im Gegenwind steht der Kopfball dort, wo er das Spiel lange geprägt hat. In England und Schottland flogen die Bälle lange vornehmlich in hohen Bögen durch die Luft. Wenn sie sich dann wieder dem Boden näherte, war im Vorteil, wer die Lufthoheit besass. «Kick and rush» nannte sich das Ganze. Jetzt wird der Kopfball auf der Insel Schritt für Schritt aus den Stadien verbannt.
Am weitesten gehen sie dabei in Schottland. Dort hat der Fussballverband kürzlich neue Richtlinien erlassen, die es in sich haben. So darf im schottischen Erwachsenenfussball – Profibetrieb inklusive – nur noch einmal wöchentlich so trainiert werden, dass repetitive Kopfbälle notwendig sind. Am Tag vor und am Tag nach den Spielen soll gar nicht mehr geköpfelt und deshalb auf Flanken- Standard- oder Abschlusstraining verzichtet werden, wie der schottische Verband explizit festhält.
Dass die Schotten derart vorpreschen, liegt an der so genannten Field-Studie, die vor allem in Grossbritannien viel Aufsehen erregt hat. Für die Studie haben Wissenschafter der Universität Glasgow das Demenzrisiko von 7676 ehemaligen Profifussballern mit dem einer Kontrollgruppe verglichen – und sind zum Schluss gekommen, dass die Fussballer ein 3,5-mal höheres Risiko haben, an Demenz zu erkranken. Weil Feldspieler ein viermal höheres und Verteidiger sogar ein fünfmal höheres Risiko aufwiesen, sehen die Forscher als Ursache auch die Folgen des Kopfballspiels. Studienleiter Willie Stewart sagte nach der Präsentation der Ergebnisse, dass sich der Fussball nun schwierige Fragen stellen müsse. Zum Beispiel: sind Kopfbälle absolut notwendig?
John MacLean, der medizinische Chefberater des schottischen Fussballverbands, begründete die neuen Richtlinien auch mit den Erkenntnissen der Field-Studie. Er verwies auf Gedächtnisstörungen, die bei Fussballern nach einer Reihe von Kopfbällen gemessen wurden, und von Hirnscan-Veränderungen, die mit Kopfbällen zusammenhängen könnten. «Das Ziel ist es, die kumulativen Effekte durch das Kopfballspiel zu reduzieren, indem im Training weniger geköpfelt wird», sagte MacLean.
Im Juniorenbereich gelten in Schottland schon länger strenge Regeln. Für Fussballerinnen und Fussballer unter 12 Jahren sind Kopfbälle im Training verboten. Auch später soll nur wenig Kopfballspiel geübt werden. Erst ab 16, so besagen es die Richtlinien, die seit 2020 in Kraft sind, ist einmal wöchentlich entsprechendes Training vorgesehen. Auch in Irland und England gelten diese Richtlinien. Der englische Verband testet seit dem Sommer im U12-Bereich schon die nächste Massnahmenstufe: ein Kopfballverbot in Spielen.
Dass es ausgerechnet in Grossbritannien, im Mutterland des Fussballs, dem Kopfball an den Kragen geht, liegt auch am Schicksal von Fussball-Legenden wie Jack Charlton, Sir Bobby Charlton oder Nobby Stiles. Alle drei waren Teil des legendären englischen Teams, das 1966 den einzigen Weltmeistertitel in der Geschichte des Landes gewonnen hat. Wie zwei weitere Weltmeister sind sie an Demenz erkrankt. Nur Sir Bobby Charlton lebt noch.
Auch andere ehemalige Fussballer litten oder leiden an Demenz. Natürlich weiss niemand, ob der Fussball die Ursache war – doch laut der Field-Studie gibt es ein erhöhtes Risiko. Sie hat die Debatte über die Gefährlichkeit von Kopfbällen und Hirnerschütterungen im Fussball befeuert.
Es gibt in England eine Organisation mit dem Namen «Head for Change», die sich dafür einsetzt, dass die Hirngesundheit von Fussballern mehr Beachtung findet. Judith Gates hat «Head for Change» gegründet. Sie war mit einem ehemaligen Fussballer verheiratet, der an Demenz gestorben ist. «Ich will den jungen Spielern eine Warnung zuschreien, ihnen sagen, dass sie nicht unzerstörbar sind», umschreibt Gates ihre Mission.
Während die Verbände in Grossbritannien vorpreschen, geht man auf dem europäischen Festland zurückhaltender mit dem Thema Kopfbälle um. Das gilt auch für die Schweiz. Richtlinien für den Breiten- oder Profifussball gibt es hierzulande keine, Verbote im Juniorenfussball auch nicht.
Patrick Bruggmann ist Direktor Fussballentwicklung beim Schweizerischen Fussballverband SFV. Er betont, man habe das Thema Kopfbälle seit einiger Zeit auf dem Radar und finde auch, dass es vorbeugende Massnahmen brauche. Es sei derzeit aber nicht angedacht, «das technische Element ‹Kopfbälle› aus dem Fussball zu verbannen».
Der SFV setzt im Kinder- und Jugendbereich lieber auf Sensibilisierung in der Trainerausbildung und darauf, dass das Kopfballspiel schon früh richtig erlernt wird. Im Kinderfussball wird zudem derzeit ein Spielformat eingeführt, bei dem auf kleineren Feldern und mit Mini-Toren gespielt wird. Das soll die Häufigkeit der Kopfbälle reduzieren.
Verbote für Kinder und Richtlinien auch für den Erwachsenenfussball, den britischen Weg, wenn man so will, beurteilen die Entscheidungsträger beim SFV kritisch. Patrick Bruggmann sagt, sobald etwas verboten werde, müsse das auch kontrolliert werden – «sonst kann es zu einer Farce verkommen». Auch deshalb hält er ein Verbot für «wenig sinnvoll».
Richtlinien für den Erwachsenenfussball sind beim SFV derzeit ebenfalls kein Thema. Das hat viel damit zu tun, dass man die Studienlage anders beurteilt als die Kollegen in Schottland. Diese sei «zum Teil sehr widersprüchlich», sagt Bruggmann.