Viele Dinge hat man in Vladimir Petkovic gesehen, bloss das nicht: Als Nachfolger von Ottmar Hitzfeld der richtige Trainer für die Schweizer Nationalmannschaft zu sein. Er war hinter Marcel Koller ja nur die zweite Wahl. Gewiss attestierte man dem Neuen als Coach Fähigkeiten, sie rückten aber viel zu oft in den Hintergrund. Stattdessen gab es Schelte ob seiner Deutschkenntnisse und immer gleichen Parolen, oder wenn er sich wieder einmal dünnhäutig und wenig nahbar zeigte.
Die mutigen Ideen für den Fussball der Schweizer, die taxierten manche ohnehin als utopisch. Die Nationalmannschaft wurde eher mit nüchternem, dafür kämpferischem Fussball assoziiert.
In Petkovic sah man niemals einen Gemütsmenschen, wie Köbi Kuhn es war. Oder einen Welttrainer vom Format Hitzfelds. Ganz zu schweigen von Uli Stielike, der dank seiner Erfolge als Aktiver (Meister mit Real, Europameister mit Deutschland) eine Aura besass. Nicht zu vergessen Roy Hodgson, den Gentleman. Oder der populäre Paul Wolfisberg, der mit seinem unkonventionellen Wesen charmierte. Petkovic war gar nichts von dem und hatte schon gar nichts von denen.
Er war vielmehr für viele der «Jugo», der bosnische Kroate, der in Sarajevo aufwuchs, den Bürgerkrieg erlebte und auf den in der Schweiz niemand gewartet hatte. 2014 nicht, als er Nationaltrainer wurde. 1987 schon gar nicht, als er als 24-jähriger Fussballer ohne Deutschkenntnisse in Zürich-Kloten landete und sich nach einem mythenbehafteten Missverständnis dem FC Chur anschloss. Ehe er den Rundgang als Fussballer und später als Trainer durch die Schweiz startete, der ihn bis zu Lazio Rom und in die Türkei führte.
Petkovic hielt allen Unkenrufen zum Trotz seit dem Amtsantritt immer an seinem Plan fest, die Nationalmannschaft fussballerisch auf eine neue, höhere und für sie unbekannte Ebene zu hieven. Es sah in ihr bedeutend mehr als die Schweiz in sich selbst. Mit Ausnahme der Spieler.
Dabei blendete man allzu gerne aus: Kraft der Herkunft steht keiner mehr für diese multikulturelle Schweizer Mannschaft als Petkovic, er sollte sozusagen ein Integrationstreiber sein in einem im Idealfall integrationstreibenden Konstrukt «Nationalmannschaft». Was den Gedankenträgern rechter Couleur noch mehr missfiel. Dabei liegt es auf der Hand, dass der in Minusio wohnhafte Mann aus dem Balkan die Wesen, Antriebe und Haltungen von Xhaka, Seferovic und Co. besonders gut versteht. Auch wenn er nicht immer alles gutheissen mag. Und es beispielsweise mit Shaqiri beinahe zu einem Zerwürfnis kam.
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— 🇨🇭 Nati (@nati_sfv_asf) June 29, 2021
Natürlich ist Petkovic nicht gefeit von Fehlern, und noch nach der Klatsche gegen Italien im zweiten Gruppenspiel lud er Teile der Schuld auf sich, gelobte Besserung. Sie kam im Spiel gegen die Türken, Petkovic ging ruhig voran. Und selbst gegen Frankreich in der wichtigsten Begegnung seiner Karriere wirkte er ausgeglichen wie klar in seinen Entscheiden, passte seine offensiv ausgerichtete Taktik an und liess das Mittelfeld sichern.
Noch vor geraumer Zeit wäre ihm diese Justierung zuwider gewesen. Der 57-Jährige scheute sich bei seinen forschen Wechseln auch nicht vor grossen Namen, nahm die ermüdeten Shaqiri, Embolo oder Seferovic raus. Und brachte unter anderen Vargas, Fassnacht oder Gavranovic.
Nach all der Kritik an Team und Trainer müsste der Viertelfinaleinzug besondere genugtuend sein, weil er alles Dagewesene in den Schatten stellt. Petkovic will davon nicht viel wissen, sagt schlicht:
Weil er mit dem Auftritt gegen Spanien am Freitag Karl Rappan als Rekordtrainer ablösen und zum 78. Mal an der Schweizer Seitenlinie stehen wird, kommt man schnell zum Urteil: Petkovic sitzt auf dem Fussballolymp aus Schweizer Sicht.
Doch darum geht es ihm nicht. Es geht ihm um den guten, erfolgreichen Fussball. Und selbst wenn im Team und drumherum vielleicht nicht immer alles wohlig ist. In einem Satz von Granit Xhaka liegt das Bedeutungsschwere, das kaum in Worte zu fassen ist, weil es in die Tiefe geht: «Endlich konnten wir unserem Coach etwas zurückgeben.» Dankbarkeit, Vertrauen. Das Schweizer Volk sollte das auch so handhaben.
Gilt wohl nur für die Deutschschweiz. Da rühmen wir uns gern der mehrsprachigen Schweiz und wie super wir doch alle zusammenhalten. Aber wehe jemand will national eine Führungsposition (Funktionär, Politiker, usw.) und erdreistet sich nicht perfekt Deutsch zu sprechen ...