Es hat eine Woche gedauert, bis die Muttenzerkurve zu einer gemeinsamen Stimme gefunden hat, um Stellung zu nehmen zu dem, was den St.-Jakob-Park, den Verein und Basel erschüttert: die brutalen Ausschreitungen von FCB-Fans beim Cupspiel gegen die Young Boys am 4. April.
Die drei Personen aus dem Sicherheitspersonal, die bei dem Überfall nach Spielende schwere Verletzungen davontrugen, konnten dem Vernehmen nach das Spital wieder verlassen, zwei von ihnen zwei Tage nach den Vorfällen. Es war von Schädel-Hirn-Traumata die Rede, die diese Personen erlitten haben.
Das Ausmass der Gewalt, die von mehreren Dutzend vermummten FCB-Fans gezielt ausserhalb des Stadions, aber noch innerhalb des sogenannten Sicherheits-Perimeters gegen Personal der Firma Protectas ausging, «schockiert uns selbst». So formuliert es die Muttenzerkurve in einem auf ihrer Website veröffentlichten Statement.
Sie spricht davon, «unsere eigenen Grenzen massiv überschritten zu haben» und benennt diese Grenze auch: «Der Respekt vor dem Leben beziehungsweise der Menschlichkeit des Gegenübers ging vorübergehend verloren.» Neben Genesungswünschen an die Verletzten entschuldigt sich Kurve «bei der gesamten FCB-Familie», und zwar «für unser Versagen».
Damit spricht die Muttenzerkurve den Auslöser der Ausschreitungen an. Eine riesige bunte Choreografie vor Spielbeginn, die sich nicht wie sonst auf den Sektor D beschränkte, dort also, wo die Kurvenfans zu Hause sind, sondern sich über weite Teile des Stadions erstreckte, wurde mit dem vereinzelten Entzünden von Pyrotechnik begleitet. Darauf schritt das Sicherheitspersonal ein und schnappte sich, offenbar ohne zimperlich zu sein, eine verdächtigte Person. Diese Verhaftung nennt die Kurve im Statement «unverhältnismässig».
Die besonnenen Basler Fans, also jene, die ein solches Statement verfassen, fügen ihrer Relativierung auch ein klares Bekenntnis an und grenzen sich mit dem Wort «uns» nicht von jenen ab, die für den Akt der Gewalt verantwortlich sind: «Das Ausmass unserer Reaktion steht in keiner Relation dazu» – also zur Festsetzung des Fans durch das Sicherheitspersonal.
Und weiter heisst es: «Dass diese Reaktion dann noch dermassen ausartete und wir erst sehr spät – kurz vor Erscheinen der Polizei – in der Lage waren, das Ganze zu stoppen, war nicht vorhersehbar und lässt uns konsterniert zurück.»
Diese Einordnung der Eskalation verweist auch auf eine zentrale Absicht des Statements: Die Selbstregulierung in der Kurve, die in diesem Fall kollabiert ist. Diese, so heisst es in dem Papier, «meist unauffällig wirkende, aber sehr bewährte Selbstregulierung» – in diesem Zusammenhang also die Wechselwirkung zwischen den achtsamen, den gemässigten und den gewaltbereiten Kräften einer Fangruppe – wollen die Köpfe der Muttenzerkurve «wieder stärken».
Als zentraler Punkt wird dabei auch das «über die Zeit gewachsene Feindbild Sicherheitskräfte» klar benannt, ein Konfliktfeld, dem «aktiv entgegengewirkt» werden soll.
All das gehört zu dem, was bereits am Tag nach den Ausschreitungen an einem Tisch mit Politik, Behörden, Polizei, Verein und Liga besprochen und in Gang gesetzt wurde. Eine Antwort des FC Basel zur Stellungnahme seiner Fans gibt es auch: «Der FCB begrüsst das gute, selbstkritische Statement der Muttenzerkurve sehr und sieht es als wichtige Basis für den weiteren Dialog.»
Die Sperrung beider Fan-Sektoren für das nächste Heimspiel in der Super League am nächsten Sonntag, just das erneute Aufeinandertreffen von FCB und YB, goutiert die Muttenzerkurve nicht, «weil wir Kollektivstrafen per se und auch in diesem Fall verurteilen».
Akzeptiert wird sie dennoch, und es wird nicht wie in vergleichbaren Fällen für eine Umgehung geworben. Stattdessen öffnen die Fans ihre Bar auf der Plattform hinter der Muttenzerkurve, wo die Partie via Bildschirm verfolgt werden kann.
Dort soll es – nebst der internen Reflexion – zum Austausch über die Aufarbeitung einer Ausschreitung kommen, wie sie der Schweizer Fussball zwar schon erlebt hat, die ihn aber noch eine Weile beschäftigen wird. Zum Beispiel, wenn es um die Verschärfung von Massnahmen zur Eindämmung von Gewalt im Sport geht.
Die Basler Staatsanwaltschaft hat auf Anfrage bestätigt, dass das Zwangsmassnahmengericht gegen zwei Festgenommene – zwei Schweizer im Alter von 32 und 35 Jahren – Untersuchungshaft angeordnet hat. Ihnen wird Landfriedensbruch, Angriff und Körperverletzung zur Last gelegt. (aargauerzeitung.ch)
"[...] die von mehreren Dutzend vermummten FCB-Fans [...]"
vs.
"[...] gegen zwei Festgenommene [...] Untersuchungshaft angeordnet hat."
Ich bin mir recht sicher, dass man in der Szene weiss, wer die Schuldigen sind. Aber um diese bei der Polizei zu verpfeiffen ist wohl die Solidarität mit den Tätern doch zu gross und diejenige mit den Opfern zu klein.