Im Prinzip hätte sie dieser Tage an der Fussball-EM in England gespielt. Doch Alisha Lehmann sagte der Schweizer Nationalmannschaft vor dem Turnier überraschend ab. Die 23-Jährige verzichtete aus persönlichen Gründen darauf und liess ausrichten, «mental nicht bereit» zu sein.
Gut vorstellbar, dass dieser Entscheid nicht von allen ihren 7,8 Millionen Followern goutiert wurde. Dass sie Lehmann beschimpften, weil sie anstatt an der EM für ihr Heimatland aufzulaufen lieber in Brasilien Ferien mit ihrem Freund Douglas Luiz machte.
Beleidigungen sind für Lehmann, die ihr Geld in England bei Aston Villa verdient, trauriger Alltag. Allzu oft wird die Fussballerin zur Zielscheibe. «Das Problem der Beleidigungen ist auf Social Media viel schlimmer als im echten Leben», sagt sie in einem am Mittwoch veröffentlichten Kampagnenfilm der UEFA. «Online sind es zehn Mal mehr oder hundert Mal mehr Leute, die sich äussern.»
Schlimm war der Hass, als Alisha Lehmann in einer Beziehung mit Nati-Mitspielerin Ramona Bachmann lebte. Das hätten viele Leute nicht akzeptieren können, erinnert sich Lehmann. «Sie schrieben Dinge wie ‹Du hast dich so verändert› oder ‹Du bist keine mehr von uns›. Das tut weh, denn für mich ist jeder gleich.»
Der Stürmerin ist bewusst, wer ihr solche beleidigenden Botschaften zukommen lässt. «Das sind Leute hinter einem Computer oder einem Smartphone, die sich das im echten Leben niemals getrauen würden. Da würden sie mich wahrscheinlich um ein Trikot beten oder um ein Autogramm.» Doch weil es sich um Social Media handle, würden diese Leute denken: «Hier kann ich sagen, was ich will.»
Alisha Lehmann, die hinter Roger Federer (9,6 Millionen) im Schweizer Sport die meisten Instagram-Follower besitzt, investiert einiges in ihr virtuelles Ich. Sie verbringe viel Zeit auf Instagram und TikTok, sagt sie. «Ich bin gerne Influencerin und zeige jungen Mädchen, dass sie alles im Leben erreichen können.»
Neben Lehmann kommen im Film auch Italiens Europameister Jorginho, Frankreich-Legende Patrick Vieira oder Chelsea-Star Kai Havertz vor. Der europäische Fussballverband UEFA produzierte eine fünfteilige Serie, die sich Themen wie Diskriminierung, Rassismus, Sexismus, Hass und Cybermobbing annimmt.
Wenn eine junge Frau das beherzigt und merkt, dass sie doch nicht alles erreichen kann fühlt sie sich noch schlechter.
Wer weiss, vielleicht sind diejenigen, die sich hinter ihren Hass-Kommentaren verstecken, sogar authentischer als Alisha.
Wobei dies dann ein noch traurigerer Umstand wäre, als wir ihn bereits jetzt vermuten.