Die Unternehmensgruppe SC Bern (Sport, Gastronomie) ist mit einem Gesamtumsatz von rund 60 Millionen nach wie vor die Nummer 1 im helvetischen, ja im europäischen Hockey-Business. Aber das SCB-Modell ist unter Druck geraten.
Nach einer Serie von personellen Fehlentscheiden mit umstrittenen Sportchefs und überforderten Trainern sowie Fehlbesetzungen der Ausländerpositionen ist der Meister von 2016, 2017 und 2019 ins Mittelmass abgerutscht und hat seit 2019 keine einzige Playoff-Serie gewonnen.
Inzwischen führt Obersportchef Martin Plüss mit Untersportchef Diego Pececi die Sportabteilung. Ein veraltetes Stadion mit einer überdimensionierten Stehrampe setzt den SCB auch einem wirtschaftlichen Stresstest aus. Seit zwei Jahren hat der SCB nicht mehr den höchsten Publikumsaufmarsch in Europa (Rückgang nach der Pandemie um rund 1000 Fans auf 15’821 pro Partie) und gut drei Wochen vor dem Saisonstart sind immer noch Sitzplatz-Abos zu haben.
Vor der Pandemie waren die Sitzplätze schon im Juli ausverkauft. Vor seiner 28. Saison beim SC Bern steht Manager Marc Lüthi vor immensen Herausforderungen.
Erinnern Sie sich noch, was vor 20 Jahren war?
Marc Lüthi: Wo?
Beim SC Bern.
Also 2005 ging es uns gut. Wir waren 2004 Meister geworden.
Es gab noch etwas anderes.
So?
Der Neubau des Fussballstadions auf der anderen Strassenseite war vollendet und eine Investorengruppe um Pedro Jauch präsentierte ein Neubauprojekt für ein zeitgemässes Hockeystadion. Der führende Klub Europas müsse auch eine entsprechende Arena haben.
Daran erinnere ich mich nicht mehr. Es gab über die Jahre so viele, die sich bei uns für ein Stadionprojekt interessiert haben.
Gibt es diese Interessenten immer noch?
Ja, natürlich. Wir stehen in unserer Planung mitten drin.
Für ein multifunktionelles Stadion?
Nein, für ein Hockeystadion. Aber ich darf, kann und will dazu nichts sagen.
Wann wird die Eröffnung sein?
Ich sagte doch, dass ich nichts sagen darf, kann und will.
Können Sie wenigstens den Zeithorizont verraten?
Um 30 herum.
Also im Herbst 2030?
2031, 2032 oder so.
Ist das realistisch?
Ja.
Wird es im neuen Stadion eine Stehrampe geben? Mit einer überdimensionierten Stehrampe ist eigentlich kein Geld mehr zu verdienen.
Aber wir holen mit der Stehrampe die Leute ins Stadion, die für Stimmung sorgen und auch neben dem Matchbesuch mit ihrem Engagement viel für den SCB tun. Aber unsere Stehrampe ist viel zu gross.
Wie gross wird sie im neuen Stadion sein?
Eine Stehrampe für 5000 Personen passt für uns.
Und Sitzplätze?
Um die 10’000.
Der SCB hat vor noch gar nicht allzu langer Zeit die Liga dominiert wie heute die ZSC Lions. Wann ist der SCB sportlich falsch abgebogen?
Wir haben nach dem letzten Meistertitel 2019 einen Fehler gemacht. Das ist uns bewusst. Wir hatten in der Vergangenheit immer die Möglichkeit, solche Fehler zu korrigieren. Aber durch die Pandemie ist unser Umsatz von 65 auf 27 Millionen zurückgegangen und wir hatten keinen Rappen mehr, um in den Sport zu investieren. Wir konnten wirtschaftlich nur überleben, weil wir einerseits keinen Rappen mehr investierten, andererseits viele Leute, wie Fans, Spieler und weitere Angestellte, auf Geld verzichtet haben und wir durch unsere Sponsoren zusätzlich unterstützt worden sind. Wir mussten wie 1998 neu aufbauen.
Was war 2019 der Fehler?
Falsche Personalentscheide.
Wer war dafür verantwortlich?
In letzter Instanz war ich es.
Sie hatten früher ein feines Gespür bei Personalentscheiden. Könnte es sein, dass Sie dieses Gespür ein wenig verloren haben?
Das müssen andere beurteilen. Wir haben in den letzten 28 Jahren gute Entscheide getroffen, aber auch Fehler gemacht, die wir wieder zu korrigieren vermochten.
Aber seit 2019 gibt es im Personalbereich eine Serie von Fehlentscheiden.
Ein Teil ist der Pandemie geschuldet.
Aber der SCB steht seither sportlich still. Sie haben seit 2019 keine einzige Playoff-Serie gewonnen.
Wir mussten bei null wieder anfangen, eine sportliche Korrektur geht nicht von einer Saison auf die andere, und in den letzten beiden Jahren sind wir Schritt für Schritt besser geworden. Aber wir haben noch nicht den Schritt gemacht, um ganz nach vorne zu kommen. Weil wir nicht so viel investieren konnten, wie wir eigentlich wollten. Wir können nur ausgeben, was wir einnehmen.
Der Vergleich mit dem Neubeginn nach der Nachlassstundung von 1998 ist Hockey-Romantik und Geschichtsverfälschung: Sie hatten 2019 ein Meisterteam und der SCB war wirtschaftlich kerngesund.
Aber unsere Mannschaft war überaltert, einige hatten ihren Zenit überschritten.
Kein Problem: Der SCB hatte wie heute eine der grössten Nachwuchsorganisationen im Land.
Wir sind kein Ausbildungsklub und unsere Liga ist keine Ausbildungs-, sondern eine Unterhaltungsliga. Ja, wir machten Fehler im Nachwuchsbereich. Wir haben während ein paar Jahren jungen Spielern keine Chance gegeben und das führte dazu, dass talentierte junge Spieler auch nicht mehr zu uns kommen wollten.
Ist dieser Fehler nun korrigiert?
Ja, aber wir sind noch nicht dort, wo wir sein wollen, und für meinen Geschmack dauert es zu lange. Aber ohne breite Basis lässt sich nichts erzwingen.
Früher hatten Sie ein feineres Gespür für falsche Entwicklungen im Personalbereich und hätten die Dinge nicht so lange treiben lassen.
Wir waren dreimal Meister und dreimal Qualifikationssieger in vier Jahren. In so einer Situation stellst du dir weniger Fragen und veränderst weniger, als man eigentlich müsste.
Der Erfolg ist also schwieriger zu managen als eine Krise?
Absolut. Obenbleiben ist bei weitem schwieriger als sich hinaufzuarbeiten. Im Erfolg Personalentscheide zu fällen, ist schwieriger als im Misserfolg.
Das ist allerdings eine Binsenwahrheit, die schon in Anfängerkursen für Sportmanager verkündet wird.
Im Sport ist es halt manchmal anders als in der übrigen Wirtschaft. Wenn man beispielsweise Schrauben verkauft und eine Schraube nicht mehr funktioniert, dann stellt man einfach eine andere Schraube her. Aber ich kann doch nicht nach drei Meistertiteln alles infrage stellen, alles umbauen und das Personal auswechseln!
Sie hatten also nicht den Mut zu den notwendigen Veränderungen?
Im Erfolg ist es einem halt zu wohl. Aber wir hatten zuvor dank unserer gesunden wirtschaftlichen Basis immer die Möglichkeit, Fehler zu korrigieren. Das ging nun aber während der Pandemie nicht mehr.
Sind die Fehler bei den Personalentscheiden nun korrigiert?
Ja, wir gehen mit mehreren jungen Talenten in die neue Saison.
Um wen handelt es sich?
Mats Alge, Thierry Schild, Alain Graf, Nils Rhyn und Louis Füllemann. Der Umbau im Team ist noch nicht abgeschlossen.
Weiss das Trainer Jussi Tapola?
Hallo! Wer hat denn einigen von diesen Talenten bereits letzte Saison eine Chance gegeben?
Jussi Tapola.
Na also. Der Umbau im Team ist noch nicht abgeschlossen. Einer unserer wichtigsten Spieler kommt ins sportliche Pensionsalter. Ihn zu ersetzen, ist fast nicht möglich.
Um wen handelt es sich?
Um wen wohl?
Um Simon Moser.
Richtig. Er ist für uns ein Glücksfall und hat unser Unternehmen ein Jahrzehnt lang geprägt.
Sozusagen der Marc Lüthi auf dem Eis.
Das ist Ihre Aussage. Simon Moser ist auf jeden Fall eine Persönlichkeit, die jeder Klub sucht. Nennen Sie mir eine Spielerpersönlichkeit, die Simon Moser ersetzen könnte.
Die gibt es. Aber die wechseln heute in die NHL.
So ist es.
Das Beispiel Simon Moser zeigt wieder einmal: Was wäre der SCB ohne seine Langnauer? Da war ja auch noch Beat Gerber.
Ja, ja, das musste kommen.
Es ist aber so.
Andere spielten auch eine Rolle. Beispielsweise Martin Plüss (Meister 2010, 2013, 2016, 2017, heute Obersportchef – die Red.).
Aber was wäre Martin Plüss beim SCB gewesen ohne die Langnauer?
Wäre, hätte, könnte.
Das Beispiel der ZSC Lions zeigt: Mit einem Farmteam gelingt ein Umbau einer erfolgreichen Mannschaft viel besser. Also müsste eine der Erkenntnisse aus der sportlichen Krise seit 2019 der Aufbau eines Farmteams sein.
Definitiv nein.
Warum?
Die Kosten für ein Farmteam können wir nicht stemmen. Die Zürcher haben gute junge Spieler. Aber wer prägt das Team? Christian Marti, Sven Andrighetto, Denis Malgin, Yannick Weber oder Dean Kukan.
Richtig: Und woher kommen Andrighetto, Malgin und Kukan? Aus dem ZSC-Nachwuchs und sie sind im Farmteam ans Erwachsenenhockey herangeführt worden. Gute Argumente für ein Farmteam.
Wie gesagt: Wir können uns ein Farmteam nicht leisten.
Wie hoch sind denn die Kosten?
Mindestens zwei Millionen.
Die SCB-Gruppe macht pro Saison 60 Millionen Umsatz und kann sich 2 Millionen nicht leisten?
Umsatz ist nicht gleich Gewinn. Am Ende einer Saison sind wir froh, wenn wir eine schwarze Null schreiben.
Zwei oder drei Ausländer-Fehltransfers weniger und die 2 Millionen sind gespart.
Wir hatten letzte Saison Superausländer!
Na ja, vielleicht vier von den zehn, die auf der SCB-Lohnliste standen. Wie kommt es eigentlich, dass mit Austin Czarnik der beste ausländische Stürmer und mit Patrik Nemeth der beste ausländische Verteidiger zur Liga-Konkurrenz wechseln?
Bei Patrik Nemeth haben wir nach reiflichen sportlichen Überlegungen entschieden, seinen Vertrag nicht zu verlängern. Austin Czarnik haben wir ganz einfach verschlafen. (aargauerzeitung.ch)
Seine Fehler sieht er vorallem bei den Personalentscheiden. Einverstanden, aber das kann jedem Club passieren. Die ZSC sind mittlerweile das Mass der Liga wegen Ihrer Struktur mit Juniorenabteilung und Farmteam und nicht weil sie die besseren Personalentscheide treffen. Das wäre die richtige Einsicht für Lüthi.
Diese Spieler wurden alle beim ZSC ausgebildet. Auch sonst bringen die Zürcher 2-3 vom eigenen Nachwuchs in die erste Mannschaft