Mit dieser Nachricht von Berater José Noguera kommt der Ball ins Rollen. Granit Xhaka schaut auf sein Smartphone und freut sich riesig. Doch im Eifer des Gefechts und voller Vorfreude, dass er Leverkusen endlich den Rücken kehren kann, liest er die Nachricht falsch.
«Schatz, wir gehen ins Wunderland!», ruft er Ehefrau Leonita zu. Und während sein Agent einen Privatjet kapert, beginnt Granit Xhaka schon von der neuen Karrierestation zu träumen. Wunderland – was dieser Name für einen Klang hat!
Xhaka ist aufgeregt wie ein kleines Kind am Geburtstag. Er versucht, sich ein wenig abzulenken. Doch mit Zerstreuung ist nicht viel. Er ist dermassen in Gedanken versunken, dass er ein Loch im Boden nicht bemerkt. Er stolpert hinein und fällt einen tiefen Schacht hinab.
Plötzlich steht ein weisses Kaninchen vor ihm. Es hält eine Stoppuhr in der Hand und ist so nervös wie ein Trainer, dessen Team in der Nachspielzeit nur noch Sekunden von der grossen Sensation trennen. «Muss Transfers machen. Deadline Day!», ruft das Kaninchen hektisch. «Medizintest! Pressekonferenz! Deadline! Deadline!»
Xhaka schüttelt ihn ab wie einen lästigen Manndecker und irrt weiter durch das Wunderland. Schon spricht ihn eine seltsame Grinsekatze an, die es sich auf dem Ast einer alten Eiche bequem gemacht hat. «Manchmal musst du runter, um aufzusteigen. Und manchmal steigst du auf, ohne je oben zu sein», philosophiert der Vierbeiner und es scheint, als hätte er ein Kafirahm-Deckeli nicht nur abgeschleckt, sondern auch den aufgedruckten Spruch gelesen. Ehe der verwirrte Fussballer nachhaken kann, ist die Grinsekatze verschwunden.
Granit Xhaka hat keine Zeit, über den Sinn der Aussage zu brüten. Denn nun schüttelt ihm einer die Hand, der sich schlicht als «der Hutmacher» vorstellt. Wird ein skurriler Fan sein, denkt sich Xhaka, und stellt sich neben den Hutmacher, damit er ein Selfie schiessen kann. Stets höflich sein, wie es ihm sein Bruder einst eingebläut hatte.
Mit einem gemeinsamen Bild ist es nicht getan. Der Hutmacher schleppt Xhaka gleich mit an eine Tee-Party bei Humpty Dumpty, einem sprechenden Ei, wo er ihn mit wilden Taktik-Fragen löchert. «Trink nicht aus der 3-4-3-Tasse, da steckt ein Konter drin!», weist er Xhaka an, während dieser gerade die schwierige Frage beantworten will, ob er mehr Pass oder mehr Ball sei. Zu Wort kommt er nicht, schon fabuliert der Hutmacher von abkippenden Sechsern, invertierten Siebnern und raumorientierten Achtern.
Endlich kriegt er diesen Verrückten vom Hals. Und da hinten ist erst noch ein Fussballplatz – nichts wie hin! Schon wieder wundert sich Xhaka über das Wunderland, in dem er gelandet ist. Hier verspricht ihm ein sprechender Ball den Meistertitel, wenn er ihn kicke. Dort drüben diskutiert der linke mit dem rechten Schuh über den VAR, und eine Wasserflasche streitet mit dem Pfosten, an dem sie lässig lehnt, leidenschaftlich über das Verhältnis des Ersatzgoalies zur Querlatte.
So faszinierend das alles auf seine eigene Art auch ist: Xhaka will jetzt nur noch weg. «Deadline! Deadline!», hört er neben sich wieder das Kaninchen rufen, während über ihm die Grinsekatze auftaucht und ihm verspricht: «Ein Eigentor zur Unzeit kann Türen öffnen, die dir sonst verborgen bleiben.» Am Horizont erspäht er schon den Zylinder des durchgeknallten Hutmachers, der mit ihm die nächste, komplett unsinnige System-Diskussion besprechen möchte.
Ein «Pling!» ertönt. Xhaka blinzelt, öffnet die Augen, das Anschnallzeichen leuchtet. Sie sind im Landeanflug. Hat er das alles nur geträumt? Vielleicht. Aber etwas sagt ihm, dass dieses Wunderland ein Ort ist, an dem er gebraucht wird – um den Abstiegskampf in ein Märchen mit Happy End zu verwandeln.
Als das Flugzeug nach der Landung zum Stillstand kommt, blickt Granit Xhaka aus dem Fenster. Grau in grau hebt sich das Terminal kaum vom Himmel ab. Durch den Nieselregen liest er: Welcome to Sunderland.