Granit Xhaka hat sich entschieden: Der 32-Jährige sieht seine Zukunft beim AFC Sunderland und damit in der Premier League, wo er von 2016 bis 2023 bereits sieben Jahre lang für Arsenal spielte. Xhaka verlässt Leverkusen nach zwei erfolgreichen Jahren und tauscht Champions League gegen Abstiegskampf. Auf den ersten Blick wirkt der Transfer des Nati-Captains wie ein Rückschritt. Aber was erwartet ihn im Nordosten Englands eigentlich?
Erst einmal gilt es, die Situation bei Xhakas Ex-Klub zu sehen: Leverkusen verlor im Sommer nicht nur Trainergenie Xabi Alonso, sondern auch mehrere Leistungsträger. Supertalent Florian Wirtz und Energiebündel Jeremie Frimpong wechselten zum FC Liverpool, Abwehrchef Jonathan Tah zu Bayern München und weitere Abgänge sind nicht auszuschliessen. Eine ähnlich erfolgreiche Saison wie mit dem Double und dem Erreichen des Europa-League-Finals 2023/24 erscheint in naher Zukunft deshalb sehr unwahrscheinlich.
Xhaka hatte zudem betont, in seinem Alter wenig Lust auf einen Umbruch zu verspüren. Scheinbar konnte ihn auch Trainer Erik ten Hag nicht umstimmen, Sportchef Simon Rolfes legte Xhaka nach dessen explizitem Wechselwunsch ebenfalls keine Steine in den Weg. Klar ist auch: Der Basler kam vor allem wegen Xabi Alonso nach Leverkusen – unter dem ehemaligen Weltklassespieler wollte er weiter dazulernen und tat dies auch auf beeindruckende Art und Weise. Da der Baske nun bei Real Madrid an der Seitenlinie steht, hatte der Bundesligist ein Argument weniger für einen Verbleib von Xhaka.
Die Transfer-Saga um Granit Xhaka wurde in diesem Sommer fast schon zur Posse. Mehrmals schien ein Wechsel kurz bevorzustehen, platzte dann aber doch noch. Der Schweizer Rekordnationalspieler war angeblich bereits mit der AC Milan einig, doch wollten die Rossoneri die Ablöseforderung Leverkusens nicht erfüllen. Dafür konzentriert sich Milan seither auf eine Verpflichtung von Xhakas designiertem Nati-Nachfolger Ardon Jashari.
Auch mit Saudi-Klub Neom SC habe Xhaka bereits eine persönliche Einigung erzielt, doch scheiterte der «reichste Klub der Welt» ebenfalls daran, mit Leverkusen übereinzukommen. Die kolportierte Ablösesumme von zehn Millionen Euro sei zu hoch gewesen, hiess es damals. Sunderland bezahle gemäss Medienberichten nun aber 20 Millionen Euro, was darauf hindeutet, dass Leverkusens Forderungen doch deutlich höher waren als vermutet.
Nach dem Platzen des Transfers nach Saudi-Arabien mangelte es Xhaka an Alternativen. Zwar berichteten italienische Medien, dass der Mittelfeldmotor bei Inter Mailand und Juventus auf der Liste stehe, doch gab es noch kein konkretes Interesse. Derweil drängte die Zeit, da Leverkusen Klarheit wollte, um auf einen möglichen Abgang zu reagieren. Warten, dass die Serie-A-Klubs doch noch ein Angebot abgeben würden, war also keine Option.
So war ein Transfer zu Sunderland am Ende die logische Wahl – da ein Verbleib bei Leverkusen für Xhaka anscheinend ausgeschlossen war. Dort verdiene er gemäss «Bild» zehn Millionen Euro jährlich statt zuvor sieben Millionen. Sportlich scheint dies trotzdem wenig Sinn zu ergeben. Schliesslich gelten die Black Cats in der Premier League als Abstiegskandidat Nummer 1. In den letzten beiden Jahren ereilte jeweils alle drei Aufsteiger in Englands Oberhaus dasselbe Schicksal: der direkte Wiederabstieg. In Leverkusen hätte der 32-Jährige hingegen weiterhin in der Champions League gespielt und womöglich immerhin im DFB-Pokal um den Titel spielen können.
Während Xhaka in der Bundesliga über die letzten beiden Saisons insgesamt die meisten Pässe spielte und mehr Ballkontakte hatte als jeder andere Spieler, dürfte er bei Sunderland deutlich weniger in der Offensive agieren. Das Team von Trainer Régis Le Bris hatte schon letzte Saison in der zweitklassigen Championship im Schnitt nur gut 49 Prozent Ballbesitz. In der Premier League dürfte dieser Wert noch einmal deutlich sinken.
So häufig gegen den Ball zu spielen, ist sich Xhaka gar nicht gewohnt. Alle seine bisherigen Klubs, sei es Basel, Mönchengladbach, Arsenal oder Leverkusen, hielten den Ball gerne in den eigenen Reihen. Selbiges gilt für einen Grossteil der Spiele mit der Schweizer Nati. Dabei konnte Xhaka als Mittelfeldmotor mit seiner Passstärke und Übersicht das Spiel ankurbeln sowie Konter lancieren. Dies kann er sicher auch bei Sunderland, jedoch deutlich seltener. Der Spieler, der bei schnellen Gegenangriffen mit nach vorne prescht, ist Xhaka auch nicht unbedingt.
Anstatt das Spiel nach vorne anzutreiben, wird Xhaka also vermehrt auch in der Defensive gefragt sein. Schon bei seinen vergangenen Stationen glänzte der zentrale Mittelfeldspieler in den letzten Jahren verstärkt auch mit seiner Abwehrarbeit. Dabei ging es jedoch vorrangig darum, Bälle abzufangen und so Konter zu unterbinden. Seine hohe Spielintelligenz half ihm in der Hinsicht extrem.
Bei Sunderland wird er hingegen Teil eines gegen überlegene Gegner voraussichtlich tief stehenden Abwehrblocks sein. Xhaka wird sich umstellen müssen. Viel laufen ist zwar kein Problem für den Leader, der in der letzten Saison die fünftgrösste Distanz aller Bundesliga-Profis zurückgelegt hat. Pro Spiel rannte er knapp 11,8 Kilometer – ein absoluter Top-Wert. Jedoch wird auch Zweikampfhärte gefragt sein. Ausserdem dürfte Xhaka in so viele Defensivzweikämpfe verwickelt sein wie lange nicht mehr.
Anders als bei seinen bisherigen Stationen wird sich Xhaka also stärker mit dem Verteidigen als mit dem Angreifen beschäftigen müssen. Ob ihm das liegt, muss sich erst noch zeigen.
Xhaka, für den Sunderland dem Vernehmen nach 20 Millionen Euro auf den Tisch legt, ist aber nicht der einzige teure Neuzugang im zentralen Mittelfeld. So sicherte sich der Klub aus Nordostengland auch Noah Sadiki für 17 Millionen Euro aus Belgien und Habib Diarra für gar 31,5 Millionen Euro von Strassburg. Demgegenüber steht lediglich der Abgang von Jobe Bellingham für 30 Millionen Euro nach Dortmund. Der kleine Bruder von Real-Madrid-Star Jude glänzte unter anderem durch seine Defensivarbeit, war aber weniger ins Passspiel involviert als beispielsweise Xhaka bei Leverkusen.
Da in Eigengewächs Dan Neil, der Captain, ebenfalls im Mittelfeldzentrum spielt, wird sich Xhaka mit mindestens drei Spielern um zwei Positionen streiten. Trainer Le Bris setzt entweder auf eine Doppelsechs in einer 4-2-3-1-Formation oder zwei zentrale Mittelfeldspieler in einer 4-4-2-Formation. Für Xhaka bedeutet dies in jedem Fall eine Umstellung: Bei Leverkusen sicherte hinter ihm nämlich jeweils eine Dreierkette ab, nun sind es nur noch zwei Innenverteidiger.
Dazu kommt, dass Xhaka bei Sunderland keinen echten Abräumer neben sich haben wird. Weder Neil noch die Neuzugänge Diarra oder Sadiki sind wirklich dafür prädestiniert. Bei Leverkusen füllten im Wechsel Robert Andrich und Exequiel Palacios diese Rolle aus, bei Arsenal hatte Thomas Partey den defensiven Part im aus drei Spielern bestehenden zentralen Mittelfeld inne.
Obwohl es von Xhaka einiges abverlangen wird, sich bei Sunderland einzuleben, bietet sich dem Schweizer Nati-Captain auch eine grosse Chance. Mit dem Wechsel zum Premier-League-Aufsteiger macht er sportlich gesehen zwar einen Rückschritt, doch könnte es genau die Herausforderung sein, die Xhaka als Motivation braucht. Davon spricht er auch bei seiner Vorstellung bei seinem neuen Klub: «Ich brauchte eine neue Herausforderung, eine grosse Herausforderung.»
Womöglich hat der 32-Jährige in seinen Augen in England auch noch eine Rechnung offen. Zwar gewann er mit Arsenal zweimal den FA Cup und stieg gegen Ende seiner Zeit in London vom Buhmann zum Publikumsliebling auf, doch blieb ihm der ganz grosse Wurf in der Premier League verwehrt. Vor seinem Wechsel nach Leverkusen verpassten die Gunners den Meistertitel knapp.
Mit Sunderland wird er diesen Meilenstein zwar nicht erreichen, doch wäre es ihm fast ebenso hoch anzurechnen, sollte er den Traditionsklub zum Klassenerhalt führen. Bei den grossartigen Fans, denen mit der Netflix-Serie «Sunderland 'Til I Die» ein Denkmal gesetzt wurde, wäre Granit Xhaka dann in jedem Fall ein Held. Und vielleicht klopft doch nochmal ein englischer Topklub an, nachdem es in diesem Sommer anscheinend kein Interesse gegeben hat.
Aber Xhaka geht zum Abstiegskanditaten Nr. 1! Klar er verdient mehr, aber es gibt fast kein sympathischeren Wechsel. Dort muss er um den Verbleib in der Liga kämpfen, es geht also um viel. Er hätte sich alles einfacher machen können, daher finde ich den Wechsel aus sportlicher Sicht top! (andere gehen schon mit 25 in die Wüste)
Ja er hätte bleiben können aber das will er wahrscheinlich wegen dem Personalien wechsel nicht.
Also well done!