Bevor Giorgio Contini am Mittwochmorgen mit seiner Mannschaft nach Luzern fährt, um dort in einem Testspiel den Super-League-Klub 5:0 abzufertigen, nimmt er sich Zeit für ein Gespräch über den FC Lausanne-Sport und dessen aufregende Entwicklung.
Seit der vielfache englische Milliardär Jim Ratcliffe vor zweieinhalb Jahren über seinen Petrochemiekonzern Ineos den Verein gekauft hat, nimmt dieser zusehends Fahrt in Richtung eines neuen Hotspots im Schweizer Fussball auf. Zwar spielen die Waadtländer noch in der Challenge League, doch bei 15 Punkten Vorsprung ist der Aufstieg in die Super League Formsache.
Trainer Contini sitzt in der alten Pontaise auf einem Sofa und sagt: «Weil wir wegen Corona befürchten mussten, die Saison werde abgebrochen und der Aufstiegstraum platzen, sind wir nun umso mehr auf unser Ziel fokussiert.» Den Re-Start am Sonntag mit dem Cup-Viertelfinal gegen den FC Basel bezeichnet er als «Goodie». Viel wichtiger sei die Meisterschaft. Steigt Lausanne auf, kassiert er eine schöne Prämie und darf Trainer bleiben, ansonsten ist nach zwei Jahren Schluss.
Nachdem der 46-jährige Winterthurer wegen des Coronavirus acht Wochen zu Hause in der Ostschweiz bei seiner Familie verbracht hat, ist in Lausanne seit seiner Rückkehr einiges los. Aus dem Nichts hat Präsident Bob Ratcliffe, der Bruder von Besitzer Jim, den von Contini geschätzten Sportchef Pablo Iglesias sowie Scout Léonard Thurre entlassen. «Da wurde mir richtig bewusst, dass ich Teil eines Grosskonzerns bin, der gerade dabei ist, sich neue Strukturen zu geben», sagt Contini.
Dass seine Arbeit als Trainer derzeit alles andere als «Business as usual» ist, wird klar, wenn er vom regelmässigen Austausch mit Nizzas Trainer Patrick Vieira berichtet und davon, gestern am Genfer Flughafen den Sportchef der Südfranzosen getroffen zu haben. Und vor Corona sei er zusammen mit Iglesias zu einem Meeting an die Côte d’Azur gereist, wo im Beisein der Brüder Ratcliffe diskutiert worden sei, wie Synergien mit anderen Ineos gehörenden Teams aus dem Rad- und Segelsport genützt werden könnten. Bevor er sich verabschiedet, sagt Contini: «Hier dabei zu sein und bald ins neue Stadion einzuziehen, ist schon speziell.»
Dort, nur 1,5 Kilometer von der Pontaise entfernt, stellt Vincent Steinmann mit glänzenden Augen den neuen Lausanner Stolz vor. Er ist der Kommerz- und Marketingchef des Klubs und sagt: «Wäre Corona nicht gewesen, würde hier auf dem Kunstrasen schon bald der Ball rollen.» Weil in der Westschweiz aber alle Baustellen geschlossen wurden, kann nun erst Mitte Oktober gespielt werden. 12'000 Zuschauer werden Platz finden in diesem 85 Millionen Franken teuren Bijou namens Stade de la Tuilière. Finanziert durch die Stadt Lausanne und Ineos.
Ginge es nach Stefan Nellen, würde es erst Ende Jahr eingeweiht. Vielleicht mit einem Spiel am 26. Dezember. Die Swiss Football League hat angesichts der Terminknappheit angedacht, zwischen Weihnachten und Neujahr zwei Runden auszutragen. «Ich möchte, dass das Stadion wirklich bereit ist, wenn wir einziehen», sagt Nellen.
Der gebürtige Briger ist seit 2018 Vizepräsident von Lausanne-Sport und zum Interview in ein Restaurant in der Nähe des Bahnhofs gekommen. Er zeigt hinauf zur Metallverschalung an der Decke: «Unsere Arbeit!» Nellen ist Inhaber und Chef der Firma Plafonmetal mit 28 Angestellten. Weil sein Sohn ihn mittlerweile entlastet, hat Nellen mehr Zeit, sich um Lausanne-Sport zu kümmern. Ohne Vertrag und unentgeltlich. Dabei beträgt das Budget des Clubs gegen 20 Millionen Franken.
Bekannt geworden in der Deutschschweiz ist Nellen erst in den letzten Monaten, als er sich vehement für eine Zwölferliga einsetzte - und damit abblitzte. Das Thema sei vom Tisch und das Abstimmungsresultat akzeptiert, sagt Nellen. Selber sei er nie ein guter Fussballer gewesen und nicht über die 2. Liga hinausgekommen.
Als Präsident des Teams Vaud, dem Aushängeschild des regionalen Nachwuchses, war er in Kontakt mit Ineos gekommen und hatte danach den Deal zwischen den Engländern und Alain Joseph, dem verkaufswilligen Lausanne-Sport-Besitzer, eingefädelt. Und er übernahm beim Club die Rolle des lokal verankerten Statthalters von Präsident Ratcliffe, der nur alle zwei Wochen vorbeischaut. «Ich kenne nicht alle Pläne», sagt Nellen, «ich weiss aber, dass Ineos ein Projekt vorantreibt, das jenem von Red Bull ähnelt.»
1,2 Milliarden Euro habe Jim Ratcliffe dem FC Chelsea für einen Kauf geboten, aber Besitzer Roman Abramowitsch hat abgelehnt. Mit 110 Millionen Franken war Nizza dann etwas günstiger zu haben. «Es werden noch zwei Klubs dazukommen», sagt Nellen. «Aber ich befürchte nicht, dass Lausanne dann nur noch das dritte oder vierte Rad am Wagen sein wird. Ineos investiert nicht in den Club und in ein neues Stadion, um sportlich keine Ziele zu haben.»
Ineos habe grosse Pläne und werde diese bald präsentieren, sagt Nellen. Es sei gut möglich, dass wie Red Bull mit Ralf Rangnick auch Ineos einen Generaldirektor für alle Klubs installiere. Einer vom Kaliber eines Arsène Wenger.
Kein Zweifel: Der 7-fache Meister Lausanne hat das Potenzial, an frühere Glanzzeiten anzuknüpfen und eine neue Kraft im Schweizer Fussball zu werden. Nellen hat den Auftrag erhalten, Land für einen viele Millionen Franken teuren Trainingscampus zu suchen.
Wenn ineos aber die identität der Vereine nicht zerstört wie RedBull und dabei aber ein ähnlich nachhaltiges Ziel verfolgt, dann bringt das guten Fussball mit sich und das wäre dann echt gut. Könnte auch für den schweizer Fussball und unsere Nati positive Auswirkungen haben....