Eigentlich hätte Nadine Angerer endlich eine Pause machen wollen. Nach zehn Jahren in Portland, wo sie zunächst ihre Karriere als Spielerin beendete und danach als Torhütertrainerin arbeitete, packte sie ihre Sachen. Sie zügelte nach Fuerteventura, dort besitzt sie mit ihrer Frau ein Haus. Doch mitten in der Ferienidylle ploppte eine Nachricht von Pia Sundhage auf dem Bildschirm auf. Die Schwedin ist seit Anfang Jahr für das Schweizer Nationalteam zuständig.
Zunächst schreibt Sundhage eine Nachricht, später klingelt das Telefon. Angerer und Sundhage, die sich vor allem vom Fussballplatz kennen, werden sich einig. Angerer unterschreibt beim Schweizerischen Fussballverband als neue Torhütertrainerin. Die Heim-EM im nächsten Jahr und «dass ich in den Schweizer Torhüterinnen viel Potenzial sehe», gibt den Ausschlag.
Nadine Angerers Verpflichtung ist ein Coup. Die 45-Jährige war Weltmeisterin und Europameisterin mit Deutschland. 2013 hext sie im EM-Final gegen Norwegen so gut, dass sie als erste Torhüterin überhaupt Weltfussballerin wird. Das hat selbst bei den Männern noch kein Goalie geschafft. Zwei Jahre später tritt sie in Portland zurück, wird Torhütertrainerin.
Mit Pia Sundhage hat der Schweizerische Fussballverband im Hinblick auf die Heim-Europameisterschaft bereits eine Welttrainerin verpflichtet, nun kommt mit Angerer die ehemalige Weltfussballerin dazu. Angerer erzählt davon, wie sie den Weg in die Schweiz gefunden habe. Grosse Verbindungen zum Land habe sie noch nicht. «Aber die Leute sind alle superfreundlich», sagt sie. Auf dem Trainingsanzug stehen die falschen Initialen, es musste schnell gehen. Erst in der Woche vor dem Zusammenzug wurde die Verpflichtung fix.
Für Angerer ist der Wechsel zum Schweizer Nationalteam auch ein Wiedersehen: Mit Ana-Maria Crnogorcevic spielte sie in Frankfurt und Portland zusammen, Assistenztrainer Anders Johansson trainierte sie einst beim schwedischen Klub Djurgarden, als dieser dort Cheftrainer war.
Angerers Aufgabe ist klar: mindestens einen Top-Goalie bis zur Heim-EM 2025 formen. Während bei den Männern die Schweiz seit Jahren eine Torhüter-Nation ist, ist sie das bei den Frauen noch nicht. Spätestens seit dem Rücktritt von Gaëlle Thalmann fehlt der Schweiz eine Torhüterin mit internationaler Ausstrahlung. Die beiden besten Kandidatinnen heissen Elvira Herzog, 24, und Livia Peng, 22. Herzog in Leipzig und Peng in Bremen sind beide Stammtorhüterin in der deutschen Bundesliga. Aussenseiterinnen im Kampf sind die Super-League-Goalies Nadine Böhi (St. Gallen), Noemi Benz (Zürich) und Laura Schneider (Luzern).
Zuletzt, in den Testspielen gegen Polen, wechselten sich Herzog und Peng ab. Beide kassierten je einen Gegentreffer. «Sie verfügen über gute Grundvoraussetzungen», sagt Angerer, die sich zwar die Spiele ihrer neuen Schützlinge angeschaut hat, aber «möglichst unvoreingenommen bleiben möchte».
Gemeinsam mit den Torhüterinnentrainer in den Klubs wird Angerer versuchen, das Potenzial der jungen Goalies zu entfalten. Sie will damit eine Baustelle schliessen, die im Männer-Nationalteam seit Jahren keine ist. Patrick Foletti, Goalietrainer des Männer-Nationalteams hat durchaus grossen Anteil daran, dass die Schweiz gleich über mehrere Topgoalies verfügt.
Von Ähnlichem träumt auch Angerer, die schon weiss, wo sie die Schwerpunkte ansetzen möchte. «Bei Flanken und hohen Bälle sehe ich nach wie vor Schwächen im Frauenfussball.» Des Weiteren möchte sie die jungen Schweizer Goalies in der Ausstrahlung stärken. «Ich bin ein Freund von schwierigeren Charakteren, von einer Persönlichkeit, die nachfragt.»
Livia Peng erzählt, dass sie als Kind ein grosser Fan war von Nadine Angerer. Sie habe sogar ihr Buch gelesen. «Dass sie jetzt hier ist, freut mich riesig.» Und Elvira Herzog sagt: «Mit ihrer enormen Erfahrung wird sie uns auf allen Ebenen besser machen.» Genau das erhofft sich Sundhage, die Angerer als Winnertyp bezeichnet. «Sie ist eine Deutsche, die immer gewinnen möchte. Das überträgt sich.»
Wer die Nummer 1 wird im Schweizer Tor, ist noch offen. «Die jungen Goalies sollen zunächst Erfahrungen sammeln können», sagt Angerer. Doch die Zeit bis zur EM 2025 ist kurz. Die Chance, dass die Schweiz dann über einen sicheren Rückhalt verfügt, sind jedoch gestiegen. Denn Angerer weiss, wie man die Beste wird. (aargauerzeitung.ch)