Frühlingsgefühle ist man sich in diesem Winter in der ganzen Schweiz gewohnt. In Bern kommen sie allerdings noch etwas ausgeprägter vor. YB lässt die Herzen wieder höher schlagen, 20'270 Saisonkarten hat der Verein verkauft – das sind so viele wie noch nie, Rekord.
Als Dank dafür erhalten alle Jahreskartenbesitzerinnen und Besitzer im ersten Heimspiel dieses Jahres, am 29. Januar gegen Winterthur, ein Gratis-Getränk. Auf ein anderes Geschenk an jenem Sonntag könnten die Fans hingegen gerne verzichten: die Ehre, Fabian Rieder ein letztes Mal live im YB-Trikot bestaunen zu dürfen.
Es wäre vermessen, zu behaupten, die Genialität von Fabian Rieder sei allein dafür verantwortlich, dass YB so beliebt ist wie noch nie. Aber einen beträchtlichen Anteil hat der 20-Jährige schon am Berner Spass-Fussball. Und darum wird in der Hauptstadt diese Frage eben genauso intensiv diskutiert wie jene, wann die nächste Meisterfeier stattfindet: Bleibt Fabian Rieder wirklich bis im Sommer bei YB?
Ende Januar schliesst das Transferfenster. Bis dahin müsste ein Wechsel vollzogen sein. An der WM hat sich Rieder erstmals im ganz grossen Schaufenster präsentieren dürfen. Und das gleich beim Nati-Debüt. Auch wenn er sich gegen Kamerun und Brasilien nicht gleich in den Fokus des gesamten Weltfussballs gespielt hat, so haben sich die Interessenten gleichwohl gemehrt.
Frage an Sportchef Steve von Bergen: Wie viele konkrete Angebote für Fabian Rieder hatte YB bereits auf dem Tisch? Antwort von Bergen: «Zwei.» Frage: Wie viele Millionen müsste dieser Klub zahlen? Antwort von Bergen: «Wir nennen selbstverständlich keine Zahl.» Frage: Aber YB-Rekordtransfer müsste er schon werden? Antwort von Bergen, ein dezentes Lächeln aufgesetzt: «Ich kenne diese Zahlen nicht, schliesslich bin ich ja erst seit kurzem im Amt.»
Da hat Steve von Bergen natürlich Recht. Seit Sommer leitet er die sportlichen Geschicke von YB. Seit sich Christoph Spycher zum «Delegierten Sport» in den Verwaltungsrat wegbefördert hat. So ein Rekordtransfer gleich im ersten Jahr, es wäre für Sportchef von Bergen gewiss eine schöner Eintrag in seine Vita.
Wobei man nun, derweil die Aficionados den Verkaufspreis eines gewissen Seydou Doumbia nachschlagen (18 Millionen Franken, ZSKA Moskau), gleich den Mahnfinger heben muss: wann auch immer der Transfer von Fabian Rieder über die Bühne geht, er wird ein Produkt von Teamwork sein. Das betont von Bergen selbst. Das betont Spycher. Das betonen alle. So sehr, dass es fast schon verdächtig wirkt. Bei YB aber gilt die Unschuldsvermutung.
Eines betonen die Protagonisten im «Fall Rieder» ebenfalls unisono: Geplant ist, dass Rieder bis im Sommer bei YB bleibt. Weil ein Transfer mitten in der Saison nicht zwingend ein Zeugnis von langfristigen Plänen des Käufers ist. «Aber eben», sagt von Bergen, «wer weiss schon, was Ende Januar ist? Vielleicht bekomme ich in zwei oder drei Stunden schon das entscheidende Telefon.»
Ein paar Monate ist es erst her, seit der FCZ seinen Shootingstar Willy Gnonto in letzter Sekunde nach Leeds verkaufte. Gewiss, dieser Fall liegt anders, Gnontos Vertrag wäre im kommenden Sommer ausgelaufen, es war die letzte Gelegenheit Geld zu verdienen für den FCZ, das erklärt die nicht eben üppige Transfersumme von viereinhalb Millionen Franken. Doch nun ist Gnonto Stammspieler bei Leeds, obwohl erst «last minute» verpflichtet. Und der FCZ darf sich auf Bonuszahlungen freuen.
Rieder selbst gibt sich ziemlich entspannt. Er sagt: «Ich habe an der WM viele Erfahrungen machen dürfen, habe diese in den Ferien auf mich wirken lassen – und nun abgehakt. Mein Fokus liegt voll auf YB. Ich möchte im Sommer den Meistertitel gewinnen.»
Nun weiss aber auch Rieder, wie schnelllebig das Geschäft ist. Der Transfermarkt hat eben erst so richtig Fahrt aufgenommen. Einen Wechsel ausschliessen mag deswegen auch er selbst nicht: «Wir werden jedes Angebot prüfen – auch jetzt, nicht erst im Sommer.» Zusammen mit seiner Berateragentur hat er einen Karriereplan ausgearbeitet. Er sieht vor, auf dem Weg in die Weltspitze einen Zwischenschritt einzulegen. Ähnlich, wie dies Granit Xhaka (Mönchengladbach) oder Manuel Akanji (Dortmund) getan haben.
Ein Wechsel in die Bundesliga scheint realistischer als nach Italien. Rieders kreative Anlagen und sein genialer linker Fuss sind prädestiniert für den Fussball in Deutschland. Auch Bayer Leverkusen, Hoffenheim oder oder Frankfurt wären neben Mönchengladbach und Dortmund reizvolle Destinationen.
Klar ist auch: Für Sportchef Steve von Bergen ist das Geld nicht die einzige Währung, die zählt. «Es liegt auch im Interesse von uns, dass Fabian Rieder nach einem Transfer bei seinem neuen Verein durchstartet. Schliesslich wird er ein YB-Testimonial sein.»
Noch ist Rieder ein echter YB-Spieler. Noch heisst sein Trainer Raphael Wicky. Auch dieser hat bemerkt, dass Rieders Selbstvertrauen noch etwas grösser geworden ist nach der WM, «das darf es auch, entscheidend ist einfach, dass bei ihm nicht das Gefühl entsteht, er müsse gewisse Dinge anders machen als zuvor. Er muss weiter hungrig bleiben.»
Eine kleine Warnung? Vielleicht. Wer Wickys Ausführungen indes weiter folgt, erkennt alsbald mehr Lob als etwas anderes. «Seine Einstellung gefällt mir. Ich sehe seine Lust in jedem Training. Jeder einzelne Pass ist ihm wichtig.»
Ob mit oder ohne Rieder, vor dem Restart der Super League sieht es danach aus, dass die Frühlingsgefühle in Bern noch anhalten werden. 10 Punkte beträgt der Vorsprung auf den ersten Verfolger. Es deutet alles darauf hin, dass der Meistertitel nach einem Jahr Pause wieder in die Hauptstadt geht. Es wäre ein schöner Schlusspunkt für Rieder vor einem Wechsel in die grosse Welt.