Nach der Niederlage im Manchester-Derby am letzten Wochenende kam plötzlich vermehrt Kritik an Erling Haaland auf. Der Stürmer von Manchester City legte einen furiosen Start in der Premier League hin und pulverisierte jegliche Rekorde. Nun wartet er allerdings seit zwei Ligaspielen auf einen Treffer und hat in diesem Jahr in drei Einsätzen noch gar kein Tor erzielen können. Der Norweger erlebt für seine Verhältnisse eine wahrliche Torkrise, was manchen Experten bereits dazu veranlasst, zu hinterfragen, wie gut Haaland überhaupt ins Team passt.
Beispielsweise meldete sich der ehemalige ManCity-Spieler Dietmar Hamann auf Twitter zu Wort. Dort schreibt der Deutsche: «Manchester City war ohne Haaland ein besseres Team, auch wenn er diese Saison 40 Tore schiesst.»
Man City was a better team without Haaland, even if he scores 40 goals this season
— Didi Hamann (@DietmarHamann) January 14, 2023
Auch das Magazin «FourFourTwo» schrieb vor der Saison: «Julian Alvarez dürfte auf dem Papier viel mehr Pep Guardiolas Spielertyp sein.» Und so wird an verschiedenen Stellen aktuell heiss diskutiert, ob das Team ohne den Sturmhünen tatsächlich besser wäre.
In der Tat gibt es auch einige Argumente dafür, das so zu sehen. Schliesslich wurde Manchester City in der letzten Saison ohne Haaland englischer Meister und kam in den Champions-League-Halbfinal. Nach 18 Spielen in der letzten Saison hatte City fünf Punkte mehr auf dem Konto und stand an der Tabellenspitze. Ausserdem hat City aktuell mit drei Niederlagen schon so viele Spiele verloren wie in der gesamten letzten Saison. Bei all diesen Niederlagen stand der Norweger über 90 Minuten auf dem Platz und erzielte keinen Treffer.
Dass die «Citizens» es ohne Haaland auch ziemlich gut können, bewiesen sie unter anderem im FA-Cup gegen Chelsea. Dort siegte die Mannschaft von Pep Guardiola gegen die «Blues» deutlich mit 4:0.
In diesem Spiel wurde vor allem eins offensichtlich: wie variabel City ohne einen Erling Haaland im Sturm ist. Die Flüssigkeit im Wechsel der Positionen im Angriff zwischen Phil Foden, Riyad Mahrez und Julian Alvarez liess an ein Manchester City vor Erling Haaland erinnern. Ein Manchester City, welches offensiv völlig unberechenbar war, bei welchem es unzählige Positionswechsel gab und ein Team, welches, wenn es ins Rollen kam, kaum zu stoppen war.
Zudem hat die Zeit gezeigt, dass in das System von Pep Guardiola auf Dauer kein grosser und physisch starker Stürmer passt. Ein gewisser Zlatan Ibrahimovic konnte bei Barcelona unter Guardiola nie sein volles Potenzial ausschöpfen. Barcelonas Spiel wurde plötzlich viel zu berechenbar.
Anders sah es später bei Bayern München aus, dort hatte Guardiola im Sturmzentrum Spieler wie Mario Mandzukic und Robert Lewandowski zur Verfügung. Beides Stürmer, welche sich auch in den Spielaufbau mit einbinden lassen, bereit sind weite Wege zu gehen, sich tief fallen zu lassen und so den Spielfluss fördern. Diese passten deshalb trotz ihrer Grösse perfekt in das System des Spaniers. Mario Gomez dagegen wurde noch im ersten Sommer des Star-Coachs in München verkauft und das, obwohl er eine gute Vorsaison spielte.
Weil Haaland nicht so stark in das für Guardiola typische Kombinationsspiel eingebunden ist, scheint er zunächst nicht wie ein passender Spieler für ein Team des katalanischen Trainers zu wirken. Er macht das Spiel für den Gegner berechenbarer, ähnlich wie dies bei Ibrahimovic in Barcelona der Fall war.
Aber wie kann ein Spieler, der so absolut gar nicht in das System des Trainers zu passen scheint, dennoch so viele Tore schiessen? Ganz einfach: Haaland macht das Spiel der «Citizens» vielleicht berechenbarer, doch nur ganz wenige Verteidiger auf der Welt können es mit ihm aufnehmen.
Seine Dynamik, seine Physis und sein enormer Drang zum Tor suchen im Fussball ihresgleichen. Kaum ein Verteidiger findet da ein Mittel gegen. Nicht umsonst steht Haaland bereits bei 21 Treffern in der Premier League. Nur zwei Tore weniger, als Heung-min-Son und Mohamed Salah in der letzten Saison erzielten, um die Torschützenliste anzuführen.
Besonders beeindruckend ist der Blick auf die Statistiken: Haaland hatte in dieser Saison bisher einen Wert von 14,6 zu erwartenden Toren. Diesen übertrifft er um mehr als sechs Treffer. Hinzu kommt, dass der Norweger an 50 Prozent der Tore der «Skyblues» direkt beteiligt war.
Zudem ist Haaland immer noch erst 22 Jahre jung und wird sich in den nächsten Jahren weiter entwickeln. Solange ein Stürmer an seinen Toren gemessen wird, dürfte Erling Haaland mit seinen aktuellen Statistiken überhaupt nicht kritisiert werden. Der ehemalige Dortmunder trifft im Schnitt 1,24 Mal pro Spiel, so häufig wie kein anderer Spieler in der Premier League.
Und um noch auf die Aussage von Didi Hamann einzugehen: Als City in der Saison 2017/18 mit 100 Punkten Meister wurde, war Kevin de Bruyne der überragende Mann im Team von Manchester City. Ein Jahr später verpasste er die Hälfte der Spiele in der Premier League, Bernardo Silva übernahm seine Rolle und City holte trotzdem 98 Punkte und wurde Meister.
Dies zeigt, dass bei Manchester City kein Spieler unersetzbar ist, egal wie gut er auch sein mag. Bei City ist jeder Spieler nur Teil des Systems und Haaland nur eine weitere Waffe in einem funktionierenden Konstrukt.