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So liess Olympique Lyon die schwangere Sara Björk Gunnarsdóttir fallen

Turin, Italy, 27th October 2022. Sara Bjork Gunnarsdottir of Juventus looks on during the UEFA Womens Champions League match at Juventus Stadium, Turin. Picture credit should read: Jonathan Moscrop /  ...
Mittlerweile spielt sie bei Juventus Turin: Sara Björk Gunnarsdóttir.Bild: www.imago-images.de

Fussballerin Sara Björk Gunnarsdóttir wurde schwanger – und musste teuer dafür bezahlen

Es war eine Überraschung für Sara Björk Gunnarsdóttir, als sie herausfand, dass sie schwanger war. Die Geburt ihres Sohnes sollte eigentlich der glücklichste Moment ihres Lebens sein – doch sie veränderte alles. Nun hat sie erzählt, wie ihr Klub Olympique Lyon sie während der Schwangerschaft behandelte.
19.01.2023, 16:1419.01.2023, 17:41
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«Und dann wurde ich schwanger.»

Das schreibt Sara Björk Gunnarsdóttir bei The Players' Tribune. Denn in diesem Moment änderte sich für sie alles. Davor kam die Mittelfeldspielerin von Olympique Lyon in jedem Spiel zum Einsatz, häufig stand sie in der Startaufstellung. Beim Gewinn der Champions League in der Saison 2019/20 erzielte sie im Final gegen Wolfsburg den entscheidenden Treffer zum 3:1. Die Isländerin befand sich in ihrer sportlichen Blütezeit.

Aber dann, am 2. März 2021, bemerkte Gunnarsdóttir eben, dass sie ungeplant schwanger geworden war. Zunächst habe sie Glücksgefühle verspürt, «doch dann traf mich die Realität». Sie fragte sich: «Wie wird das Team reagieren?» Sie habe sich in gewisser Weise schuldig gefühlt, dachte, sie würde ihre Teamkolleginnen im Stich lassen. Doch zunächst behielt sie die eigentlich so positiven Neuigkeiten für sich – auch die Doktorinnen und Physiotherapeuten stimmten zu, dies erst einmal geheim zu halten.

«Ich hatte keinen Grund, zu denken, dass etwas schieflaufen könnte. Bis mein erster Lohn nicht kam.»
Sara Björk Gunnarsdóttir

Als sie sich dann aber während eines Trainings dreimal übergeben musste und der damalige Trainer Jean-Luc Vasseur sie fragte, ob er sie im Spiel einsetzen könne, konnte sie es nicht mehr verheimlichen. Also eröffnete sie dem Team, dass sie schwanger war. «Es war lustig, ihre Reaktionen zu sehen, weil einige von ihnen so schockiert waren», schreibt Gunnarsdóttir. Sie habe viele gemischte Gefühle wahrgenommen, weil es natürlich ein spezieller Moment sei, aber auch grosse Ungewissheit herrscht, wenn eine Mitspielerin ein Kind bekommt.

Für die zu dem Zeitpunkt 30-Jährige war aber klar, dass sie nach der Geburt ihres Kindes wieder zum Team zurückkehren und spielen wollte. Also arrangierte ihr Agent ein Gespräch mit Vincent Ponsot, dem Sportlichen Leiter. Darin habe Gunnarsdóttir darum gebeten, bis zur Geburt in ihr Heimatland gehen zu können, und Ponsot habe eingewilligt. Der Klub habe ihr gar beim Papierkram mit der Versicherung geholfen, bevor sie dann nach Island reiste. Sie habe keinen Grund gehabt, zu denken, dass etwas schieflaufen könnte. «Bis mein erster Lohn nicht ausgezahlt wurde.»

Zunächst habe sie gedacht, es sei einfach ein Fehler. Doch als auch die zweite Überweisung nicht kam, wurde sie stutzig. Ihr Agent schrieb dem Sportlichen Leiter Ponsot, doch bekam zweimal keine Antwort. Erst auf formelle Schreiben reagierte dieser, wie Gunnarsdóttir erzählt. Ponsot habe sich entschuldigt und zugesichert, dass die Spielerin ihren Lohn für die zwei Monate noch bekomme – mehr aber nicht. Sie würden sich damit an das französische Recht halten, nach welchem ab dem 3. Monat keine Lohnauszahlung mehr nötig sei.

«Wenn Sara damit zur FIFA geht, hat sie bei Lyon keine Zukunft.»
Vincent Ponsot, Sportlicher Leiter

Damit erklärte sich Gunnarsdóttir nicht einverstanden, sie pochte darauf, dass die Regeln der FIFA eingehalten werden. Doch selbst als die französische Spielervereinigung und dann auch FIFPRO, die Vertretung der Profifussballerinnen und -fussballer, sich einschalteten, wurde Gunnarsdóttir ihr Lohn nicht ausgezahlt. Als ihr Agent gegenüber Ponsot sagte, dass FIFPRO die Entscheidung Lyons bei der FIFA anfechten werde, war die Antwort für die Spielerin schockierend: «Wenn Sara damit zur FIFA geht, hat sie bei Lyon keine Zukunft.»

FOOTBALL : VfL Wolfsburg Womens vs Olympique Lyonnais - UEFA Ligue des Champions - Finale - 30/08/2020 SAN SEBASTIAN, SPAIN - AUGUST 30: Sara Bjork Gunnarsdottir of Olympique Lyon celebrates with team ...
Da war die Welt noch in Ordnung: Gunnarsdóttir jubelt nach ihrem Tor im Champions-League-Final 2020 mit ihren Teamkolleginnen.Bild: UEFA

Für Gunnarsdóttir ein Schlag ins Gesicht: «Ich fühlte mich verletzt. Wie kann ein Team damit davonkommen?» Es hätte der glücklichste Moment ihres Lebens sein sollen, doch stattdessen war sie wütend. Hatte sie gerade ihren Job verloren? «Ich war irritiert, gestresst und fühlte mich verraten.» Dabei arbeitete sie selbst während der Schwangerschaft hart für ihr Comeback. Täglich arbeitete sie mit einem persönlichen Trainer, den sie aus eigener Tasche finanzierte. Geld, von dem sie nun nicht mehr wusste, ob sie es je zurückbekommen würde.

Dies machte ihr zusätzlich zu schaffen – denn daneben beschäftigten sie auch die klassischen Fragen einer werdenden Mutter. In gewissen Momenten habe sie versucht, den Streit mit Lyon auszublenden, aber: «Ich konnte es nie komplett vergessen. Ich konnte nicht aufhören, zu denken: ‹Ich habe keine Zukunft im Klub.›»

Sie dachte gar über einen Rücktritt nach, wie die heute 32-Jährige schreibt. Damit wäre sie nicht die erste Fussballerin gewesen, die ihre Karriere frühzeitig beendet. 2015 erklärte die deutsche Nationalspielerin Celia Sasic ihren Rücktritt, um sich gemeinsam mit ihrem Partner den Kinderwunsch zu erfüllen. Sasic war zu dem Zeitpunkt 27 und hatte den 1. FFC Frankfurt gerade als Torschützenkönigin zum Champions-League-Titel geschossen.

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Sie wurde als Europas beste Fussballerin ausgezeichnet und trat im selben Jahr zurück: Celia Sasic.Bild: imago sportfotodienst

Aber für Gunnarsdóttir war das keine Option. Als ihr Sohn geboren war, reiste sie im Januar 2022 gemeinsam mit ihrem Partner und dem Kind zurück nach Lyon. Sie wollte sich mit harter Arbeit zurückkämpfen, doch es lief nicht wie geplant. Während ihrer Abwesenheit hatte sie weder von den Klub-Verantwortlichen noch vom Trainerstab etwas gehört. Einzig mit einigen Teamkolleginnen und dem Medizinstab sei sie in Kontakt geblieben. Als sie zurückkehrte, sei sie anders behandelt worden als zuvor. Obwohl der Trainerstab und auch die neue Cheftrainerin Sonia Bompastor der Isländerin ihre Unterstützung zusicherten.

«Sie gaben mir das Gefühl, dass es etwas Negatives war, dass ich ein Baby bekommen hatte.»
Sara Björk Gunnarsdóttir

Das Gegenteil war der Fall, wie Gunnarsdóttir berichtet. «Sie haben mir viele Dinge vorgeschrieben. So war es mir nicht erlaubt, mein Baby auf Auswärtsreisen mitzunehmen.» Das wollte die junge Mutter aber nicht akzeptieren, ohne ihren Sohn könne sie nicht zu Auswärtsspielen reisen, weil dieser noch so klein und abhängig von ihr war. Auch die Möglichkeit zweier «Testreisen» war keine Option für sie. «Ich wollte mich und meinen Sohn Ragnar nicht in diese Situation bringen, getestet zu werden.» Sie fühlte sich vom Klub nicht verstanden, die Verantwortlichen hätten ihr das Gefühl gegeben, «dass es etwas Negatives war, dass ich ein Baby bekommen hatte».

Als Präsident Jean-Michel Aulas während eines Treffens zwischen Gunnarsdóttir und Ponsot in den Raum lief und die Spielerin nicht einmal begrüsste, war ihr klar: «Es war etwas Persönliches.» Der Standpunkt des Klubs, sich an das französische Recht zu halten, veränderte sich nicht. Ponsot verneinte gegenüber Gunnarsdóttir, gesagt zu haben, dass sie keine Zukunft im Klub habe. Doch sie wurde kaum noch eingesetzt, kam nur noch zu vereinzelten Kurzeinsätzen. So war für die Mittelfeldspielerin klar, dass sie den Verein verlassen musste.

Das tat sie dann auch. Als ihr Vertrag im Sommer 2022 ausgelaufen war, unterschrieb sie bei Juventus Turin. Zu diesem Zeitpunkt war die Entscheidung im Rechtsstreit mit Lyon bereits gefallen. Das FIFA-Tribunal entschied, dass der Klub Gunnarsdóttir den gesamten Lohn, der nicht bezahlt wurde, schuldig ist. Dabei handelte es sich um rund 83'000 Euro. Der Entscheid war damit begründet, dass der Klub dazu verpflichtet ist, sich um die Spielerin zu kümmern. Dies sei Teil der im Januar 2021 eingeführten Regeln, welche von der FIFPRO angestossen wurden. Lyon habe dies jedoch nicht getan – sie hatten sich ja nicht einmal bei ihrer Angestellten gemeldet. Lyon entschied sich dazu, den Entscheid nicht anzufechten.

«Ich hatte während meiner Schwangerschaft und bis zum Beginn meines Mutterschaftsurlaubs Anspruch auf mein volles Gehalt, so wie es die FIFA vorschreibt. Das gehört zu meinen Rechten und kann nicht bestritten werden – auch nicht von einem so grossen Verein wie Lyon.» Dies sei der Grund, weshalb sie die Geschichte nun öffentlich mache. «Der Sieg geht über mich hinaus.» Er garantiere allen Spielerinnen, dass sie Rechte haben, wenn sie während der Karriere schwanger werden.

Sie sei glücklich in Turin, schreibt Sara Björk Gunnarsdóttir. Aber sie wolle sicherstellen, dass in Zukunft niemand mehr durchmachen müsse, was sie in den letzten beiden Jahren erlebte. Der Fussball der Frauen sei weit gekommen, beispielsweise bei den Trainingseinrichtungen, dem Niveau oder auch den Zuschauerzahlen. «Aber in Sachen Kultur? Da gibt es noch eine Menge zu tun.»

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84 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Kampfsalami
19.01.2023 16:52registriert November 2018
Immer diese Frauen! Werden einfach schwanger! Unerhört! Die Männer sind da schon viel besser! Die werden eigentlich nie schwanger!
Kommentare kann Ironie enthalten.
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der stoische Zyniker
19.01.2023 17:15registriert Juli 2021
Immer für sein Recht einstehen und kämpfen, gut so!
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sansibar
19.01.2023 16:34registriert März 2014
Auch wenn es grundsätzlich beschämend ist, wie sie behandelt wurde, wäre es trotzdem noch spannend zu wissen was im französische Gesetz und im Spielerinnen-Vertrag steht. Respektive die FIFPRO-Regeln genau besagen. Und schön dass es ihr und dem Kind anderswo gut geht 🙏
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