«Das Ende einer Ära» heisst ein Artikel zum österreichischen Nationalteam im Fachmagazin «Ballesterer», ein anderer ist mit «Das grosse Zaudern» betitelt. Im Schweizer Nachbarland herrscht keine Euphorie – was einigermassen erstaunlich ist.
Schliesslich zeigt ein Blick auf die Kaderliste, dass das Team zur grossen Mehrheit aus Spielern besteht, die in der deutschen Bundesliga beschäftigt sind. David Alaba, der nach unzähligen Titelgewinnen mit Bayern München zu Real Madrid wechseln wird, ist nach wie vor das Aushängeschild. Andere bekannte Namen sind Marcel Sabitzer, Martin Hinteregger, Marko Arnautovic, Julian Baumgartlinger, Sasa Kalajdzic oder der Ex-Basler Aleksandar Dragovic und Louis Schaub vom FC Luzern.
Doch in den Augen vieler Beobachter macht Nationaltrainer Franco Foda viel zu wenig aus dieser Ausgangslage. Der Deutsche wurde 2017, nach zwei Jahrzehnten als Spieler und Trainer bei Sturm Graz, ins Amt gehoben. «Er begreift Fussball als ein Spiel der Fehlervermeidung», hält Taktikexperte Philipp Eitzinger von «ballverliebt.eu» fest. Fodas Maxime laute: Wer weniger Fehler mache, werde eher gewinnen.
Marc Janko, der frühere Stürmer des FC Basel, konstatiert im «Ballesterer»: «Fussball ist für Franco Foda ein Ergebnis-Sport. Es ist nun einmal nicht immer ein Spektakel, und dafür wird er kritisiert. Aber er muss dahinterstehen, und das macht er.»
In erster Linie ist die ÖFB-Auswahl also auf Schadensbegrenzung aus. Es fehlt der Mut, etwas zu riskieren. Zentraler Mann im Spielaufbau ist mit Hinteregger ein Innenverteidiger – der gemäss Plan lange Bälle auf die Flügel schlagen soll. Kommt das Zuspiel an, gibt es keine grosse Strategie. Eitzinger: «Foda sieht in der Offensive die Verantwortung weniger bei sich, sondern bei den Kickern. Individuelle Ideen sind gefragt.»
Die Bundesliga-Auswahl hat jedoch Mühe mit diesen Vorgaben – weil sich die Spieler aus den Klubs einen ganz anderen Fussball gewohnt sind. Für den Taktikexperten ist das auch mit ein Grund dafür, weshalb Alaba und Sabitzer im Nationalteam oft weit weniger überzeugen als bei Bayern bzw. in Leipzig. «Beide leiden darunter, dass sie oft überhaupt erst einmal wahrnehmen müssen, wo sich Mitspieler befinden und wohin sie sich bewegen. Automatisierte Laufwege und klar etablierte Strukturen sind beim Nationalteam nicht vorhanden.»
Und so dümpelt das Team vor sich hin. Hat zwar meist viel Ballbesitz, weiss damit aber nur wenig anzufangen. Diese Art Fussball lockte auch vor Corona kaum einen ins Stadion, die Nationalmannschaft begeistert das Land derzeit nicht.
Welch ein Kontrast zur EM 2016 in Frankreich. Damals sprach Österreich unter dem Schweizer Trainer Marcel Koller offen davon, ein heisser Geheimtipp zu sein. Doch dann endete das Turnier sieglos schon nach der Gruppenphase. Deshalb spricht nun kaum jemand offen von grossen Zielen, Zurückhaltung ist angesagt. ÖFB-Präsident Leo Windtner nannte als Ziel dieses Mal das Überstehen der Gruppenphase «und 2016 damit endgültig vergessen machen. Wir hatten vor fünf Jahren einen Hype und überzogene Erwartungshaltungen.»
«Die höheren Ansprüche haben mit uns begonnen», erinnert sich Janko, der damals an der EM mit dabei war. «Wir haben das Selbstvertrauen der Fans gesteigert. Heute hat das Team noch mehr Legionäre, die bei ihren Vereinen eine wichtige Rolle spielen. Da erwartet man sich noch mehr.» Auch er hat indes festgestellt, dass gute Spieler noch kein Garant für eine gute Spielkultur sind.
Nationaltrainer Franco Foda gibt sich naturgemäss dennoch zuversichtlich. «Die Jungs brennen», sagte er nach der Vorbereitung. «Sie sind im Training sehr willig und engagiert, alle ziehen an einem Strang, die Einheit ist spürbar.» Ex-Stürmer Janko hat andere Informationen: «Ich weiss, dass die Stimmung intern alles andere als gut ist.»
Grosse Bedeutung kommt dem Startspiel zu. Sollte es gegen EM-Neuling Nordmazedonien drei Punkte geben, könnte dies der Stein sein, der etwas ins Rollen bringt. Danach warten Gruppenfavorit Niederlande und die Ukraine.
In Österreich hoffen sie vielleicht darauf, dass sich im Leben angeblich alles irgendwann ausgleicht. 2016 traf Alaba im ersten Spiel gegen Ungarn schon nach 32 Sekunden den Pfosten. Hätte, wäre, wenn. Dragovic sah später Gelb-Rot, Österreich verlor 0:2, trotzte danach Portugal ein 0:0 ab und schied nach einem 1:2 gegen Island aus. Die Nordländer wurden zur grossen Sensation des Turniers, erst im Viertelfinal war für sie Schluss. «Die Isländer haben die Rolle eingenommen, die wir uns für Österreich erhofft hätten», gibt Präsident Windtner heute zu.
Nun traut man der Austria-Auswahl weniger zu als vor fünf Jahren, obwohl die Spieler nominell besser geworden sind. «Mir ist es lieber, wir haben nicht im Vorfeld die Euphorie – sondern vielleicht als Nachhall zur EM», sagte Windtner zur Nachrichtenagentur apa. Wenn man es so deuten will, kann man festhalten: Zumindest ein bisschen Zuversicht herrscht im ÖFB-Lager also doch.