Für die «NZZ» ist er ein Visionär, ein Coach jedenfalls, der für die Erneuerung steht, andere haben Petkovic in jüngerer Vergangenheit auch schon mal Mutlosigkeit vorgehalten. Im Fall des eher introvertierten Tessiners sind sich die Beobachter selten einig, der Selektionär lässt sich in kein Schema pressen.
Er besitzt eine Gabe, die generell weder im Trainer-Lehrgang noch per Download im weltweiten Netz vermittelbar ist: Petkovic spürt die nonverbalen Signale seiner Akteure, er antizipiert den Verlauf, beseitigt innert Kürze Zweifel, liest die Partie exzellent. Sein feines Näschen für wirkungsvolle Wechsel ist auffallend. Der durch drei Joker begünstigte Umsturz kommt nicht von ungefähr.
Und Petkovic darf für sich in Anspruch nehmen, elf Monate nach dem missratenen Einstieg (0:2 gegen England und 0:1 in Slowenien) den Rhythmus der Equipe adaptiert zu haben. Er dämmt das zuweilen überbordende Temperament der Auswahl nicht ein. Im Gegenteil: Reizpunkte, neue Inputs, personelle Frischluftzufuhren sind Teil seines Repertoires.
Im fachlichen Bereich sind unberechenbare Züge erkennbar, obschon Petkovic durchaus exakte Pläne im Kopf hat und intern auch vehement auf die Umsetzung nach seinem Gusto pocht. Stammplatzgarantien besitzt keiner, auch der Captain nicht, der während der sechsjährigen Hitzfeld-Ära den Status des Unantastbaren genoss.
Vor polemischen Debatten fürchtet sich Petkovic nicht. Kritische Leitartikel schränken seinen Handlungsspielraum in seiner Kernkompetenz keinesfalls ein. Er coacht im Sinn der Sache, ohne erkennbaren Anspruch auf Applaus. Und er ist bereit, mit hohen Einsätzen zu spielen: Der Verzicht auf Gökhan Inler wäre ohne die späte Kehrtwende in der medialen Aufarbeitung vollumfänglich auf ihn abgewälzt worden.
Petkovic hat den Fortschritt im Fokus. Für die Show sind seines Erachtens nicht nur überragende Individualisten zuständig, sondern das gesamte Ensemble. Ihm schwebt vor, mit flexibler Ausrichtung die richtigen Lösungen zu finden. Er will von den starren Formen wegkommen, das Spektakel, das Unvorhersehbare gehört beim Schweizer Taktgeber zum Game-Plan.
Nicht alle im Team sind restlos begeistert, wenn Petkovic mal wieder vom «schönen Fussball» doziert. Dass er die Vorzüge einer verstärkten Offensive – beispielsweise mit Granit Xhaka im Zentrum – höher gewichtet als die Abschirmung der eigenen Zone, dürfte ziemlich deutlich von der Idealvorstellung des Juve-Stars Stephan Lichtsteiner abweichen.
Petkovic toleriert kritische Begleiterscheinungen. Partielle Unzufriedenheit, das Ausleben von Emotionen, der Umgang mit anderen Meinungen, steigende Ansprüche, schwelende Enttäuschung. Der ungefilterte Diskurs gehört für den früheren Sozialarbeiter zum profanen Teambuildingsprozess dazu.
Im Hintergrund unternimmt Petkovic fortwährend Anstrengungen, für die SFV-Interessengemeinschaft eine Basis zu legen. Zum einen soll eine Grundlage geschaffen werden, die der Vielfalt der Charakterköpfe gerecht wird. Andererseits ist der ranghöchste Networker im Nationalteam um ein Klima bemüht, das einen imponierenden Finish wie jenen am Samstag überhaupt erst zulässt. (pre/si)