
WM-Boykotteure protestieren in Frankreich gegen die Qatar 2022.Bild: keystone
Die umstrittene WM in Katar einfach nicht schauen, um der FIFA-Kasse zu schaden: Das ist die Strategie der WM-Kritiker. Doch das funktioniert nicht.
Dominic Wirth / ch media
Schaust du die WM in Katar, oder schaust du sie nicht? Die Frage gibt gerade einiges zu reden, zumindest in Europa.
Es gibt in der Sache, grob skizziert, zwei Lager: jene, die doch einschalten, vielleicht etwas widerwilliger als sonst. Erste Zahlen zu den WM-Einschaltquoten zeigen, dass dieses Lager in vielen Ländern überwiegt, auch in der Schweiz. Und dann gibt es das zweite Lager, jenes der Boykotteure. Gerade in Deutschland sind sie zahlreich.
«Ein Boykott dient dem eigenen Seelenfrieden.»
Christoph Breuer
Wer den Fernseher nicht einschaltet, der tut das, weil er ein Zeichen senden will. Gerichtet ist es an die FIFA. Der Fussball-Weltverband ist verantwortlich dafür, dass die WM gerade in Katar stattfindet. Und der Boykott soll ihm dort weh tun, wo er empfindlich ist. Das ist er vor allem an einer Stelle: im Portemonnaie.
Die Boykott-Gleichung funktioniert ungefähr so: Weniger Zuschauer gleich weniger Fernsehquote gleich weniger Interesse an den Fernseh- und den Sponsoringrechten. Bedeutet unter dem Strich: weniger Geld für die FIFA. Und die achtet dann künftig auf Themen wie Menschenrechte und Nachhaltigkeit, weil sie auf eines nicht verzichten kann und will: Geld eben.
Doch geht die Gleichung auch auf?
Nein, sagt ein Mann, der sich mit der Materie auskennt. Sein Name: Christoph Breuer, Professor an der Deutschen Sporthochschule in Köln, Fachgebiete: Sportökonomie und Sportmanagement. Sein prägnantester Satz: «Ein Boykott dient vielleicht dem eigenen Seelenfrieden, aber ökonomisch wird ihn die FIFA allenfalls sehr marginal zu spüren bekommen.»
Die WM ist die Cash-Cow der FIFA
An dieser Stelle ist ein kleiner Exkurs zu den FIFA-Finanzen notwendig. Die wichtigste Zahl ist jene der Einnahmen in einem vierjährigen WM-Zyklus. Der bisher letzte abgeschlossene Zyklus endete 2018, im Jahr der WM in Russland. Die FIFA wies damals Einnahmen in der Höhe von 6,42 Milliarden Dollar aus, eine Rekordsumme, die vor allem dank des Verkaufes von Übertragungs- und Sponsoringrechten zustande kam. 75 Prozent der Einnahmen generierte die FIFA so.

Je mehr Geld fliesst, desto besser für Infantino.Bild: Twiter
Die WM wiederum ist mit Abstand das wichtigste Produkt der FIFA. Die Austragung in Russland spülte ihr 5,36 Milliarden Dollar in die Kassen. Das sind 83 Prozent aller Einnahmen. Satte 3,53 Milliarden blieben als Gewinn übrig – Geld, auf das FIFA-Präsident Gianni Infantino angewiesen ist, weil er es verteilen kann und so seine Macht wahrt, wie Sportwissenschafter Breuer erklärt. «Es ist die Erwartungshaltung der Verbände, dass immer mehr Geld zu ihnen fliesst, davon machen sie abhängig, wen sie wählen», sagt er.
Geld ist wichtig für Infantino und die FIFA, und ohne die WM geht für die FIFA-Kassen gar nichts: Das alles spricht eigentlich dafür, dass die WM-Boykotteure durchaus den erhofften Effekt erzielen könnten.

Christoph BreuerBild: zvg
Professor Breuer nennt eine Reihe von Gründen, warum es eben doch nicht so ist. Zusammenfassen lassen sie sich etwa so: Der Mensch vergisst schnell, der Westen ist nicht mehr so wahnsinnig wichtig – und die WM sowieso ein Produkt, das kaum totzukriegen ist.
Und nun noch etwas detaillierter. Die FIFA verkauft ihre Fernsehrechte jeweils Jahre im Voraus. Schlechte Quoten für die aktuelle WM haben keinen Einfluss auf ihre Einnahmen. Und auch die Rechte für 2026, wenn die WM in Kanada, den USA und Mexiko stattfindet, seien zu einem Grossteil schon verkauft, so Breuer. «Dazu kommt, dass sich dann viele der aktuellen Fragen – etwa jene der Menschenrechtssituation - nicht mehr stellen werden», sagt er.
Westeuropa verliert als Markt an Bedeutung
Und dann ist es auch so, dass die WM in Katar vielleicht in gewissen westeuropäischen Staaten kritisch beäugt wird. Aber das sei in Nordamerika und Japan schon weniger Fall, und «im Rest der Welt erst recht nicht», sagt Breuer. Und genau dieser Rest der Welt – China, Indien und andere Märkte – wird für die FIFA immer wichtiger. Westeuropa dagegen verliert für die FIFA zusehends an Bedeutung.
Das zeigt sich nur schon daran, dass vor 20 Jahren fast alle Hauptsponsoren Unternehmen aus westlichen Ländern waren – an der diesjährigen WM kommen von den sieben Hauptsponsoren zwei Firmen aus Katar, eine aus China und eine aus Südkorea. Experte Breuer spricht in diesem Zusammenhang «von der Globalisierung des Sports». Vor diesem Hintergrund ist laut Breuer auch die harte Haltung der FIFA im Streit um die One-Love-Binde zu betrachten: Westeuropa ist ganz einfach nicht mehr so wichtig für sie.
Und dann ist die WM eben nach wie vor ein Event, wie es keinen anderen gibt, «ein Aufmerksamkeitsprodukt von weltweitem Interesse, und als solches ein sehr knappes Gut», so formuliert das Experte Breuer.
Er glaubt, dass die FIFA künftig noch mehr Geld verdienen wird mit ihrem Flaggschiff, völlig unabhängig davon, ob hier und da ein Fan die WM in Katar boykottiert hat. Für den Katar-Zyklus hat FIFA-Präsident Infantino vor der WM übrigens schon mal eine Umsatz-Ankündigung gemacht: 7,5 Milliarden Dollar, trotz Pandemie ein Plus von einer Milliarde. Und das ist natürlich: Rekord. (aargauerzeitung.ch)
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