Statt im Meisterrennen Druck auf den FC Basel zu machen, erleben die Berner Young Boys am Sonntagnachmittag in Luzern ein fast schon historisches Debakel. 18 Spiele in Folge hatte der FC Luzern nicht mehr gegen YB gewinnen können und nun fegten die Zentralschweizer den amtierenden Meister gleich mit 5:0 aus dem eigenen Stadion.
«Es ist schwierig, nach so einem Auftritt die richtigen Worte zu finden», hadert YB-Goalgetter Christian Fassnacht nach dem Schlusspfiff. Bei ihnen sei einfach alles falsch gelaufen, was hätte falsch laufen können. «Wir hatten zu Beginn noch die Chance, wo wir vielleicht mit 1:0 in Führung hätten gehen können. Danach haben wir das Spiel komplett aus der Hand gegeben und sind wie Schulbuben auf dem Platz herumgerannt», suchte Fassnacht nach Erklärungsansätzen.
«Wir hatten heute zu wenig Intensität und zu wenig Qualität auf dem Platz», resümierte Giorgio Contin, der ähnliches sah, seine dritte Super-League-Niederlage als Trainer der Berner. Man müsse jetzt die eigenen Ziele revidieren. «Wir wurden hier ganz klar abgewatscht. Es war von uns eine Nicht-Leistung von A bis Z – mit Ausnahme der ersten 15, vielleicht 20 Minuten.»
Tatsächlich gestaltete YB die Anfangsphase ausgeglichen, waren die Berner dem Führungstreffer durch Chris Bedia (8.) sehr nahe. Doch mit dem Matchplan der Luzerner, nach Ballgewinn schnell umzuschalten und «hinter die Kette» zu kommen, wie es FCL-Trainer Mario Frick formulierte, kam der Meister überhaupt nicht zurecht. Immer wieder liessen sich die weit aufgerückten Gäste auskontern. Selbst die Kabinenansprache brachte keine Besserung. Nur eine Minute nach Wiederanpfiff liefen die Gäste den Innerschweizern erneut ins Messer – die Vorentscheidung.
Nach dem desaströsen Saisonstart und der famosen Aufholjagd sah es zuletzt so aus, als könne der Meister doch noch einmal ins Titelrennen einsteigen. Nun kassierten die Berner nach dem Unentschieden im Wankdorf gegen Yverdon den zweiten Dämpfer innert Wochenfrist. Vom Meistertitel wollten nach dem Spiel weder Trainer Contini noch Goalie Marvin Keller etwas wissen. Letzterer sagte: «Wir haben nie vom Titel geredet. Nach so einem Spiel wäre es falsch, das aufzugreifen. Heute haben wir eine inakzeptable Leistung gezeigt, es war ein Kollektivversagen.»
Ganz anders war die Gefühlslage selbstredend auf der Gegenseite. Frick sprach von einer «extremen Last», die vor dem Anpfiff abgefallen sei. Durch das Remis zwischen Lugano und St. Gallen stand bereits vor der Partie fest, dass die Luzerner nach der Teilung der Liga in der Championship Group um die Europacup-Plätze spielen werden. «Nun könnt ihr es geniessen, gewinnt für eure Liebsten», habe er in der Kabine das Wort an seine Mannschaft gerichtet.
Letzte Woche hätte Frick seine Truppe nach der desolaten Leistung in Zürich gegen die Grasshoppers «am liebsten zu Fuss nach Hause geschickt», nun zeigte sein Team die beste Leistung der Saison. Verrückter Fussball. (abu/sda)