Fast exakt 20 Jahre ist es her: Wir schreiben den 19. November 1995: Parma-Trainer Nevio Scala plagen Personalsorgen, sein Torwart Luca Bucci fällt ausgerechnet für das Spitzenspiel gegen die AC Milan aus. Die Bredouille von Scala entpuppt sich jedoch schnell als Segen – der 17-jährige Gianluigi Buffon kommt zu seinem Profidebüt und beginnt mit dem Meisseln seines eigenen Denkmals.
Dieser Teenager, der von sich selbst sagt, dass es seine grösste Lust ist, den Torschrei der gegnerischen Fans im Hals ersticken zu lassen, hat nur etwas im Kopf. Sein verdammtes Tor zu schützen. Mit Leib und Leben. Als wäre es eines seiner Kinder, welches er angegriffen sieht. Dabei ist er doch selbst noch ein halbes Kind.
Bevor Buffon sein Debüt gibt, darf der damalige Primavera-Torhüter eine Woche mit der ersten Mannschaft trainieren. Trainer Scala erinnert sich zurück und sagt gegenüber goal.com:
Auch Parmas Torhütertrainer Vincenzo di Palma war von der ersten Sekunde hin und weg vom 17-jährigen Buffon: «Dieser Junge ist ein Phänomen». Buffon wusste selbst am besten, dass er aussergewöhnlich ist und was von ihm erwartet wird. Vor seinem Debüt gegen Milan sagte er gar zu Teamkollege Alessandro Melli:
Kommen solche Worte aus dem Mund von Buffon, glaubt man sofort, dass sie ernst gemeint sind. Für ihn war es immer selbstverständlich, der beste der Welt zu werden. Buffon wusste um sein Talent, worauf also warten, um es zu zeigen? «Ich bin aus reinem Narzissmus Torwart geworden, weil ich immer die Hauptrolle wollte», sagte Buffon 2014 in einem Interview mit «Tuttojuve».
Die Debüt-Partie gegen die AC Milan endete übrigens 0:0 – dank einem überragenden Gianluigi Buffon im Tor von Parma.
Buffon wurde bei Parma schnell zum Stammtorhüter, gewann 1999 den UEFA-Pokal und die Coppa Italia. Auf die überragenden Leistungen von Buffon schneite es jährlich Millionenofferten ein, Parma lehnte jedoch strikt ab. Bis Juventus Turin im Sommer 2001 umgerechnet 53 Millionen Euro in die Emilia Romagna überwies. Buffon ist damit bis heute der teuerste Torhüter aller Zeiten.
Bei Juventus wird Buffon zum absoluten Überflieger. Zwischen 2002 und 2006 holt Buffon mit Juventus viermal die italienische Meisterschaft – und wird in dieser Zeit dreimal zum Welttorhüter gewählt.
Doch der «Superman» hat ein Kryptonit – es heisst Depression. In Buffons 2008 erschienenen Biografie «Numero Uno» schreibt der Torwart, dass er Ende 2003 an einer schweren Depression erkrankte.
Darauf hat Buffon begonnen, sich eine kulturelle Basis anzulesen, Kunstausstellungen zu besuchen, sich mehr für die Welt zu interessieren. «Drei Monate später zeigten sich die ersten Früchte meiner ganz persönlichen Renaissance», so der Italiener zur «La Repubblica». Heute liest Buffon jeden Tag zwei Tageszeitungen und hat auf Reisen immer ein Heft bei sich, schreibt darin Gedanken und Begriffe auf, die er nicht kannte. Weil er reden können will.
Aufgrund des Manipulationsskandals, dem «Calciopoli», wurden Juventus die Meistertitel der Jahre 2005 und 2006 aberkannt. Für Buffon kam es noch schlimmer, er stand unter Verdacht, illegal auf Partien der Serie A gewettet zu haben – er wurde aber freigesprochen. Buffos Ex-Frau Seredova behauptet sogar, dass Buffon bereits mehrere Millionen Euro bei Sportwetten verloren hat.
Doch typisch Buffon war auch die Reaktion nach dem «Calciopoli»: Er führte Italien 2006 mit unfassbaren Leistungen zum ersten Weltmeistertitel seit 1982. Die Wahl zum besten Torhüters des Turniers war die logische Konsequenz.
Zu fast schon gottähnlichem Ansehen – zumindest bei Juve-Fans – kam Buffon dank seiner Treue zu den «Bianconeri» während der Zwangsrelegation im Sommer 2006: Gigi war zusammen mit Alessandro Del Piero der erste, welcher sich hinter die «Alte Dame» stellte und den Gang in die Serie B mitmachte – als amtierender Welttorhüter und frischgebackener Weltmeister.
Das einzige Mal, als ich Gianluigi Buffon persönlich getroffen habe, war nicht nach einem Spiel in den Katakomben oder auf dem Trainingsgelände. Es war in Singapur. In einem Spielcasino. Beim Roulette. Er hat am gleichen Tisch wie ich gespielt, allerdings mit Einsätzen, die mein Monatsgehalt um ein vielfaches überschreiten. Und er hat ziemlich viel Geld gewonnen, zumindest während einer Phase.
Gianluigi Buffon ist geschieden, ist an Depressionen erkrankt und spielsüchtig. Doch genau die Tatsache, dass er kein Saubermann ist, macht ihn so nahbar und menschlich.
Gigi Buffon ist ein Mix aus den von Schauspieler David Duchovny verkörperten Figuren: Mal brillant und kontrolliert wie FBI-Agent Fox Mulder aus Akte X, dann lässt er sich wieder von seinen Trieben leiten wie Hank Moody in Californication.
Mit seinen Lastern kann Gianluigi Buffon mittlerweile aber ganz gut leben. «Die Perfektion hat mich immer gestört. An Fehlern wächst man.» Gianluigi Buffon ist daran gewachsen – zum grössten Torhüter der Fussballgeschichte. Dafür lieben wir ihn.
Diese Loyalität ist gerade im heutigen geldgeprägten Fussball eine Seltenheit.
Auf sportlicher Ebene mein absolutes Vorbild. ;-)
«Gli Azzurri »