Mit Rechts hält sie voll drauf, der Ball verfehlt das Tor so knapp, dass kurz die Goalmusik läuft. Iman Beneys frecher Volleyschuss in der Partie gegen Island wurde beinahe zum Tor des Turniers. Es wäre die Belohnung eines mutigen, frechen Auftritts gewesen der 18-Jährigen, die an dieser EM bisher das beste aller Toptalente im Schweizer Team ist.
Sie ist ballsicher und dribbelstark. Immer wieder geht sie in Eins-eins-Duelle, nach einer Flanke schraubt sie sich im Strafraum hoch und köpfelt den Ball gefährlich aufs Tor.
Dabei hätte sie schon viel früher für die Schweiz im Rampenlicht stehen sollen. Es ist ein warmer Sommertag 2023, die Schweizerinnen bereiten sich in Yverdon auf die Weltmeisterschaft vor. Schüchtern erzählt sie auf französisch von ihrer fussballverrückten Familie.
Ihr Vater Nicolas ist langjähriger Super-League-Goalie. Ihr Bruder Roméo ist damals noch ein Talent im FCB-Nachwuchs, inzwischen spielt er in der 1. Mannschaft. Und ihre Tante Noémie war selber Nationalspielerin, bestritt 45 Länderspiele für die Schweiz.
Beney spricht leise, sie ist freundlich, aber zurückhaltend. Viele Medientermine ist sich die 16-Jährige noch nicht gewohnt. Sie erzählt, dass sie es zunächst als Goalie versucht habe. «Wegen meines Vaters wollte ich auch Torhüterin sein, aber ich habe dann immer viele Tore bekommen, das hat mich genervt. Also habe ich angefangen, mit meinem Bruder auf dem Feld zu spielen.»
Wenn sie im Garten spielten, ging Vater Nicolas ins Tor, Iman und Roméo schossen aufs Tor. War es schwierig gegen den Vater, den ehemaligen Profigoalie zu treffen? «Nein, das war einfach», sagt Iman Beney lachend.
Nur wenige Tage nach diesem Gespräch bestreitet sie gegen Sambia ihr erstes Länderspiel. Auf dem Platz in Biel ist von der Schüchternheit bei der Schweiz-Brasilianerin nichts mehr zu sehen. Mit einem Hackenzuspiel bereitet sie ein Tor vor, sie ist beim 3:3-Unentschieden die beste Natispielerin.
Ramona Bachmann staunt: «Wenn man überlegt, dass sie erst 16 Jahre alt ist. Chapeau!» Beney schafft es in das WM-Aufgebot – als mit Abstand jüngste Schweizerin. Doch im letzten Training vor dem Abflug, in der letzten Übung im letzten Zweikampf passiert es: Sie reisst sich das vordere Kreuzband im rechten Knie. Die WM-Träume sind futsch.
Zwei Jahre sind seit dem Kreuzbandriss vergangen. Viel im Leben einer 18-Jährigen. Zunächst ist es schwierig. Ausser Physio hat sie nichts zu tun, sie sitzt im Wallis zu Hause und beginnt vor Langeweile Mandalas auszumalen.
Ihre Eltern haben in jener Zeit Mühe, herauszufinden, wie es ihrer Tochter geht. Mutter Cléo sagt in der «NZZ am Sonntag»: «Iman ist sehr introvertiert, es ist manchmal schwierig, in sie reinzuschauen. Als sie sich verletzt hat, haben wir oft gefragt: Geht es dir gut? Sie hat stets gesagt: Jaja. Aber sie ist in letzter Zeit offener geworden.»
In Bern geht es wieder aufwärts für Beney. Sie arbeitet auf der YB-Geschäftsstelle, wo sie ihre KV-Lehre absolvierte – und nun abgeschlossen hat. Zurück auf dem Feld ist sie schnell wieder so gut, dass sie auch für Pia Sundhage wieder zum Thema wird.
Doch wo sie ihren Platz in der Nati finden soll, da ist sich die Schwedin nicht sicher. Die Konkurrenz in der Offensive ist gross, Beney wird zur Aussenverteidigerin umgeschult.
Nach dem Sieg gegen Island sagt sie: «Ich bin eine Offensivspielerin, natürlich fühle ich mich wohler, wenn ich auf dem Flügel spiele. Aber ich gebe dort mein Bestes, wo mich die Trainerin aufstellt.» Sundhage sagt: «Ob das wirklich ihre beste Position ist? Wahrscheinlich nicht, aber es geht darum, wie wir als Team am besten sind.»
Während Iman Beney an der EM im Hoch ist, vermisst sie ihre beste Freundin Naomi Luyet. Eigentlich war die andere Nati-Spielerin aus Savièse im Unterwallis lange die grosse Figur der YB-Frauen. Im Herbst wurde sie zur besten Spielerin der Liga gewählt, gegen Frankreich schoss sie ein Traumtor für die Nati. Danach verletzte sie sich und schaffte es trotz Einsatz im Playoff-Final der Super League nicht in das EM-Kader.
Iman Beney und Naomi Luyet verbindet eine tiefe Freundschaft. Sie lernen sich auf dem Fussballplatz kennen. Luyet ist 9, Beney 8, sie kicken im Bubenteam des FC Savièse. Ab der Mittelstufe sind sie an derselben Schule, sitzen nebeneinander im Klassenzimmer und kicken am Abend zusammen. 2018 kommen beide ins Ausbildungszentrum des Schweizerischen Fussballs in Biel, leben gemeinsam im Internat.
Jeden Sonntag fahren sie mit dem Zug von Sion nach Biel. 2021 wechseln sie zu YB, in Bern wohnen sie in einer WG. Nach der EM trennen sich die Wege. Luyet wechselt nach Hoffenheim, Beney nach Manchester.
Das Turnier mit ihrer besten Freundin hätte sich Beney sehr gewünscht. «Ich weiss, wie sie sich fühlt», sagt sie. «Naomi hatte die Hoffnung, es noch schaffen zu können. Es ist schwierig, ein so grosses Turnier zu verpassen.»
Wenn Iman Beney jetzt vor die Medien tritt, ist sie entspannter als damals mit 16. Spricht sie auf Französisch, blüht sie auf. Auf deutsche Fragen antwortet sie gekonnt und sorgt für Lacher. Am Freitag wird sie an einer Medienkonferenz gefragt, welcher Aspekt Geld beim Wechsel zu Manchester City gespielt habe. «Hauptsache, kein Schule mehr», sagt sie.
Auf die Frage, ob die jungen Spielerinnen im Team mehr Material tragen müssten als die alten, sagt sie: «Wir sind zwar die jungen Spielerinnen, aber alle tragen Sachen aus dem Bus ... Aber wir Jungen machen schon etwas mehr.»
Heute Abend will sie wieder etwas mehr machen, diesmal auf dem Platz gegen Finnland. In Genf will sie ihren Anteil dazu beitragen, dass die Schweizerinnen zum ersten Mal überhaupt in das EM-Viertelfinal einziehen. Und vielleicht klappt es doch noch mit dem Tor des Turniers. Noch wartet Iman Beney auf ihren ersten Treffer für die Schweiz. Der Zeitpunkt dafür könnte nicht besser sein.