Das ominöse verflixte siebte Jahr. Ist es mehr als ein Mythos? Für Jürgen Klopp scheint sich in Liverpool derzeit eine Geschichte zu wiederholen, die der Fussballtrainer schon einmal erlebt hat. Obwohl er trotz der Resultatkrise überzeugt ist, das Ruder herumreissen zu können: «Absolut. Ich verliere das Vertrauen in die Jungs nicht.»
Bei Borussia Dortmund arbeitete der 55-Jährige zwischen 2008 und 2015 während sieben Saisons als Trainer. Er führte den BVB aus dem Mittelfeld der Bundesliga zurück an die Spitze, wurde 2011 und 2012 zwei Mal Meister, gewann den DFB-Pokal und erreichte 2013 den Final der Champions League.
Doch in der siebten Saison ging lange nichts mehr. Dortmund überwinterte auf dem zweitletzten Platz. Klopp und die Borussia einigten sich darauf, dass der Trainer Ende Saison gehen wird. Er führte das Team aus der Abstiegszone weg noch auf Platz 7.
Mit dem FC Liverpool ist der Absturz nun rangmässig nicht so verheerend wie damals mit dem BVB. Aber die «Reds» belegen kurz nach Saisonhalbzeit nur Rang 10 der Premier League. Auf die Champions-League-Plätze fehlen elf Punkte. Es ist Klopps siebte Saison, in der er allein für Erfolg und Misserfolg in Liverpool verantwortlich war. Das erste Jahr zählt nicht, weil er da erst während der Saison von Brendan Rodgers übernahm.
Mit Klopp gewann der Traditionsklub die beiden wichtigsten Trophäen: 2019 die Champions League und 2020 den englischen Meistertitel. Eine Ewigkeit von dreissig langen Jahren mussten die Fans darauf warten.
Es liegt an dieser Erfolgsbilanz und der Geduld der Verantwortlichen, dass Klopp noch nicht ernsthaft zum Thema wurde. Letzte Saison wurde er mit den «Reds» noch Zweiter, gewann den FA Cup und den Ligacup und erreichte in der Champions League den Final. Dennoch wurden Trainer andernorts trotzdem schon gefeuert, wenn das Team so schlecht dastehen würde wie Liverpool jetzt in dieser Saison – weil dort die Vergangenheit nichts zu zählen scheint und die Gegenwart alles ist.
Das 0:3 am Samstag bei den Wolverhampton Wanderers, einem Abstiegskandidaten, war der nächste, grosse Rückschlag für Liverpool. Aus den letzten vier Meisterschaftsspielen holte die Mannschaft nur einen Punkt.
Was Jürgen Klopp besonders ärgert, ist, dass Liverpools Spieler offenbar nicht bereit aus der Kabine kommen. «Ich kann mir das nicht erklären», sagte er in Wolverhampton, wo sein Team nach Abwehrfehlern schon nach zwölf Minuten 0:2 zurücklag. Das andere Problem, das er ausmachte, war die fehlende Kaltblütigkeit vor dem anderen Tor: «Wir hatten Chancen, könnten auf 1:2 verkürzen und dann wäre das Spiel bestimmt anders verlaufen, davon bin ich überzeugt.»
Nun ist es wohl die älteste Erkenntnis der Fussballwelt, dass es einem Team nicht läuft, das zu wenig Tore schiesst. Doch im Fall Liverpools ist es tatsächlich so, dass es nicht am Herausspielen der Torchancen liegt, sondern an der Abschlussqualität. Der xG-Wert, mit dem die Wahrscheinlichkeit eines Treffers berechnet wird, zeigt auf, dass Liverpool insgesamt Chancen für 41 Tore hatte. Aber die «Reds» trafen nur 34 Mal.
Dass der im Sommer für rund 80 Millionen Euro geholte Darwin Nuñez bisher nicht eingeschlagen hat (5 Tore in 15 Liga-Spielen), ist einer der Gründe dafür. Beim xG90-Wert, der die Torwahrscheinlichkeit während 90 Minuten angibt, ist der Uruguayer mit 0,91 nicht weit hinter Erling Haaland (1,03) zurück. Doch der norwegische Stürmer von Manchester City schoss mit 25 Treffern fünf Mal mehr Tore als Nuñez.
Liverpools Wintereinkauf Cody Gakpo ist auch noch kein Heilsbringer. Nach sechs Einsätzen wartet der 23-jährige Niederländer noch auf den ersten Treffer. Über ihn kann noch nicht geurteilt werden, aber vielleicht lag Liverpool mit seinen Transfers zuletzt daneben. «Ich sehe die Spieler nicht mehr sprinten, aber sie spielen immer noch mit dieser hohen letzten Linie», analysierte zuletzt Klub-Legende Jamie Carragher, und er urteilte: «Das ist keine Klopp-Mannschaft mehr.»
Dass mit Virgil van Dijk der Abwehrchef derzeit mit einer Oberschenkelverletzung ausfällt, ist natürlich auch keine Hilfe. Sehnlichst wird zudem auf die Rückkehr der seit Oktober verletzten Angreifer Diogo Jota und Luis Diaz gewartet. Aber als hauptsächliche Problemzone wurde das Mittelfeld ausgemacht. Dortmunds Jude Bellingham gilt seit Monaten als Transferziel Nummer 1, um den 19-jährigen englischen Nationalspieler soll das Team der Zukunft gebaut werden. Sofern er zu einem Team wechselt, das nächste Saison womöglich nicht in der Champions League spielt.
Jürgen Klopp reagierte nach der Niederlage in Wolverhampton dünnhäutig und liess seinen Frust an einem Journalisten aus. Er gebe ihm keine Antwort, er wisse, weshalb man verloren habe, sagte er ihm, und weiter, dass er die Frage nur beantworte, wenn sie ein anderer Reporter stelle.
“I would prefer NOT to speak to you!” 😳
— Hayters TV (@HaytersTV) February 4, 2023
Jurgen Klopp REFUSES to speak to a reporter after @LFC's humiliation at Wolves 😬 pic.twitter.com/XoxpQdzovM
Während der Spiele konnte zuletzt ein anderer Jürgen Klopp beobachtet werden als früher. War er einst ein emotionaler Trainer, der Spieler und Fans gleichermassen fesselte, so ist er nun ruhig. «Nun, da Niederlage auf Niederlage folgt, steht Klopp mit seinen Händen in der Tasche da, regungslos und nicht einmal dann mit einer erkennbaren Reaktion, wenn das gegnerische Publikum ‹Morgen wirst du entlassen› singt», schreibt der «Telegraph».
Ist der frustrierte Klopp müde geworden? Sollte das Feuer erloschen sein, wäre das bei einem Typen wie ihm besonders schlimm, gehört dieses Engagement als Antreiber doch zu seinen herausragenden Qualitäten. Der «Guardian» schrieb schon vom Ende einer Ära. In der Premier League scheint die Saison nur noch schwierig zu retten sein. Vielleicht können die «Reds» dafür in der Champions League zuschlagen. In den Achtelfinals wartet dort mit Real Madrid der Titelverteidiger. Für Liverpool ist das Aufeinandertreffen auch die Gelegenheit, sich für die 0:1-Niederlage im letztjährigen Final zu revanchieren.
Mit Real Madrid wurde auch Jürgen Klopp über die Jahre immer wieder in Verbindung gebracht. Sollten die «Königlichen» weder Meistertitel noch Champions League gewinnen, werden sie wohl kaum an Carlo Ancelotti festhalten. Geht Klopp von einem weltberühmten Klub zum nächsten? Was machen die Bayern, sollten sich unter Julian Nagelsmann die durchzogenen Leistungen fortsetzen? Und wie abwegig ist das Szenario eines kloppschen Sabbaticals, um nach der EM 2024 die deutsche Nationalmannschaft zu übernehmen, falls diese unter Hansi Flick so desaströs abschneidet wie an der WM in Katar? Noch sind das Fragen, die vermutlich die Fans mehr beschäftigen als Klopp selber.
Ohnehin steht als nächstes, noch bevor aus den Lautsprechern der Anfield Road die Champions-League-Hymne zu hören ist, ein brisantes Stadtderby auf dem Programm. Gegen den abstiegsbedrohten FC Everton gehört Liverpool zwar die Favoritenrolle. Aber die «Toffees» haben am Samstag überraschend Leader Arsenal besiegt und wollen diesen Schwung mitnehmen. Eine delikate Aufgabe für Jürgen Klopps Team.
Der Trainer verlangt vor allem anderen von seinen Spielern, dass sie von Anpfiff an konzentriert sind. «Wenn wir so starten wie zuletzt, verdienen wir es auch nicht, zu siegen. Wir müssen das sofort ändern. Denn Everton ist gerade gut drauf.» Ein Satz, der zuletzt auf sein eigenes Team nicht zutraf.
Jedes Mal wenn ich dem Typen zuschaue frage ich mich, wie so einer Profi werden konnte. Chancentod, Hitzkopf und den IQ eines Steins.