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Marokkos WM-Wundermacher – das sind fünf unverzichtbare Helden

Morocco's goalkeeper Yassine Bounou, left, celebrates with his teammate Morocco's Achraf Hakimi their team victory over Portugal during the World Cup quarterfinal soccer match between Morocc ...
Es ist geschafft: Goalie Bono und Verteidiger Hakimi freuen sich über den Sieg gegen Portugal.Bild: keystone

Marokkos Wundermacher – das sind die Helden, über die sich ein ganzer Kontinent freut

Marokko steht im Halbfinal der WM, als erstes afrikanisches Team überhaupt. Diese Männer haben es möglich gemacht.
13.12.2022, 16:53
Dominic Wirth / ch media
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Ein wenig ins Taumeln geraten sie irgendwann schon, die marokkanischen Fussballer. Aber sie fallen nicht, weil stets einer auftaucht, der den Teamkollegen stützt. Da ist immer ein Fuss, ein Bein, ein Kopf. Bis tief in die Nachspielzeit ist das so. Die Marokkaner klammern sich in diesem WM-Viertelfinal an ihre 1:0-Führung. Sie tun das mit allem, was sie haben, mit Herz und Kraft und taktischem Geschick.

Dann, endlich, nach acht endlosen Minuten Nachspielzeit, pfeift Schiedsrichter Facundo Tello ab. Und es ist geschafft. Marokko besiegt Portugal, steht im WM-Halbfinal, als erstes afrikanisches Team überhaupt. Die Nordafrikaner schreiben Geschichte, und sie tun das mit einer Kollektivleistung, über die man noch lange sprechen wird.

Als alles vorbei ist, werfen die marokkanischen Fussballer ihren Trainer Walid Regragui in den katarischen Nachthimmel. Sofiane Boufal, der verspielte Flügelstürmer, tanzt mit seiner Mutter. Cristiano Ronaldo, der portugiesische Weltstar, ist da längst schluchzend im Bauch des Stadions verschwunden.

Es sind verrückte, bunte Szenen, die sich nach Marokkos Sieg abspielen. Im Al-Thumama-Stadion von Doha. In den Strassen der katarischen Hauptstadt, wo Marokko längst das Team der Herzen ist. Und auch an vielen anderen Orten in Afrika, der arabischen Welt und überall dort, wo es grosse marokkanische Gemeinschaften gibt, in London oder Paris etwa.

Marokko feiert in aller Welt den Einzug in den WM-Halbfinal

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Marokko feiert in aller Welt den Einzug in den WM-Halbfinal
Rabat (Marokko).
quelle: keystone / jalal morchidi
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Nach dem Sieg gratulieren unter anderem: Samuel Eto'o und Didier Drogba, zwei der ganz grossen afrikanischen Fussballer dieses Jahrtausends. Der jordanische Kronprinz Hussein. Der irakische Premierminister. Der katarische Emir.

Marokko spielt an dieser WM nicht nur für sich, es spielt für einen Kontinent, für einen Teil der Welt sogar, die arabische. Das ist umso bedeutender, weil die WM in Katar die erste in einem arabischen Land ist.

Das sind fünf Köpfe, ohne die es diese Geschichte nicht gäbe.

Walid Regragui: der Architekt

epaselect epa10359700 Morocco's head coach Walid Regragui (up) and his players celebrate after winning the FIFA World Cup 2022 quarter final soccer match between Morocco and Portugal at Al Thumam ...
Bild: keystone

Eigentlich heisst es ja stets, dass Fussballmannschaften Zeit brauchen, bis sie zusammenwachsen. Walid Regragui setzt dieses Gesetz gerade auf spektakuläre Art ausser Kraft. Er ist im August noch ein Trainer ohne Job. Und jetzt, nur vier Monate später, hat er ein Team geformt, das den Begriff Kollektiv schon fast neu definiert.

Gegen Portugal fehlen den Marokkanern mit Nayef Aguerd und Noussair Mazraoui zwei Verteidiger, die eigentlich nicht zu ersetzen sind, weil sie für West Ham (Aguerd) und sogar für Bayern München (Mazraoui) spielen. Als dann der Abnützungskampf gegen Portugal tobt, muss auch noch Roman Saïss raus. Auch er ist Verteidiger - und der marokkanische Captain.

Drei Viertel der Abwehrreihe fehlen nun, der Captain auch, doch das alles stecken die Marokkaner weg - weil jeder haargenau weiss, wo er zu stehen hat und was zu tun ist. Das ist das Verdienst von Trainer Regragui, diesem blendenden Organisator. Nach dem Spiel sagt er, Marokko habe Geschichte für Afrika geschrieben, es habe sein Kapital genutzt, sei ein Team gewesen, habe Mentalität gezeigt.

Immer war das nicht so. Es gab in Marokko früher Grabenkämpfe zwischen jenen Spielern, die in der Heimat gross geworden sind und jenen, die als Kinder von marokkanischen Immigranten im Ausland aufwuchsen. Regragui sagt: «Jeder Marokkaner ist ein Marokkaner, wir gehören alle zusammen.» Diese Botschaft hat er seinen Spielern eingeimpft, sie in kurzer Zeit zu einer Familie gemacht. So hat das Achraf Hakimi, der Aussenverteidiger, während der WM formuliert. Dazu passt, dass der Verband die Angehörigen der Spieler nach Doha eingeladen hat.

Marokkos Boufal feiert Halbfinal-Einzug mit der Mutter

Video: twitter/@ZAJD01

Regragui hat 44 Länderspiele für Marokko bestritten und während seiner Profikarriere vor allem in Frankreich gespielt. Bei Grenoble traf er einst auf einen gewissen Olivier Giroud, der es zum französischen Rekordtorschützen bringen sollte. Nun kommt es am Mittwoch im Halbfinal zum Wiedersehen.

Marokkanischer Nationaltrainer wurde Regragui, weil sich der Verband mit seinem Vorgänger, Vahid Halilhodzic, zerstritt. Diesen Sommer hatte der 47-Jährige mit Wydad Casablanca den marokkanischen Meistertitel und die afrikanische Champions League gewonnen, war danach aber zurückgetreten. An der WM hat er sich auch einmal dazu geäussert, wie schwer es für arabische Trainer ist, in Europa einen guten Job zu erhalten. Vielleicht ändert sich das dank ihm.

Bono, der Unbezwingbare

epa10359644 Goalkeeper Yassine Bounou of Morocco reacts after the FIFA World Cup 2022 quarter final soccer match between Morocco and Portugal at Al Thumama Stadium in Doha, Qatar, 10 December 2022. EP ...
Bono, der marokkanische Goalie, wurde bisher erst von einem eigenen Mann bezwungen.Bild: keystone

Eigentlich heisst er Yassine Bounou, doch bekannt ist er unter seinem Spitznamen, Bono. Und dieser Bono weint am Samstagabend, so sehr rührt ihn der grosse Sieg gegen Portugal. Normalerweise, sagt der marokkanische Goalie danach, wolle er sich nicht so emotional zeigen. Aber diesmal geht es halt nicht anders.

Das Marokko immer noch in diesem Turnier dabei ist, hat viel mit dem Mann zu tun, der hinten im Tor steht. Wenn die vielbeinige marokkanische Abwehr doch einmal etwas durchlässt, dann ist da immer noch Bono, 31 Jahre alt, Goalie des FC Sevilla.

Im Achtelfinal gegen Spanien pariert Bono im Penaltyschiessen zwei Mal. Gegen Portugal hält er, was es zu halten gibt - wie schon in der Gruppenphase, als er sein Tor gegen Kroatien rein hält. Im ganzen Turnier hat ihn erst einer bezwungen, und das war erst noch ein Mitspieler, Verteidiger Aguerd im Spiel gegen Kanada.

Achraf Hakimi, der Star

epa10359042 Achraf Hakimi of Morocco warms up prior to the FIFA World Cup 2022 quarter final soccer match between Morocco and Portugal at Al Thumama Stadium in Doha, Qatar, 10 December 2022. EPA/Fried ...
Achraf Hakimi, der Aussenverteidiger, der gerne stürmt.Bild: keystone

24 Jahre ist Achraf Hakimi, der rechte Verteidiger von Marokko, erst alt. Doch in seinem Lebenslauf finden sich schon viele bemerkenswerte Stationen. Hakimi hat für Real Madrid gespielt, für Borussia Dortmund, für Inter Mailand - und jetzt steht er bei Paris Saint-Germain unter Vertrag, dem Verein von Lionel Messi und Neymar und Kylian Mbappé. Dort ist er hinten rechts gesetzt.

Hakimi hat einen Marktwert von 65 Millionen Euro, er ist der namhafteste marokkanische Fussballer und jener, der sich am ehesten das Etikett «Weltklasse» anheften darf. Und er steht mit seiner Biografie für ein Merkmal dieses marokkanischen Teams. Denn wie 13 andere Spieler im Kader wurde er nicht in Marokko geboren, sondern im Ausland.

Es gibt jene, die in Frankreich zur Welt kamen, der Captain Saïss etwa, der Flügel Boufal und der Trainer Regragui. Andere, die in den Niederlanden gross wurden, wie Hakim Ziyech oder Sofyan Amrabat, der Chef im Mittelfeld. Achraf Hakimi wird in Madrid geboren, dort wächst er auf und wird beim grossen Real ausgebildet.

Natürlich wird auch der spanische Verband aufmerksam auf diesen Verteidiger, der mit so viel Schwung angreift. Er will ihn für seine Jugend-Nationalteams gewinnen. Doch Hakimi winkt ab, er spielt lieber für Marokko, das Land seiner Eltern, weil er sich in Spanien, wie er einmal sagt, nie richtig heimisch fühlt. In Katar geht es in den Achtelfinals dann ausgerechnet gegen Spanien - und Hakimi erlaubt sich eine besondere Pointe: Den entscheidenden Penalty verwandelt er mit einem Panenka-Lupfer.

Sofyan Amrabat, der Aufräumer

Spain's Sergio Busquets, left, challenges for the ball with Morocco's Sofyan Amrabat during the World Cup round of 16 soccer match between Morocco and Spain, at the Education City Stadium in ...
Knallharter Zweikämpfer: Sofyan Amrabat, Marokkos Sechser.Bild: keystone

Wirklich, wirklich, wirklich unglaublich sei das alles, das sagt Sofyan Amrabat als Erstes, als er nach dem Sieg gegen Portugal zum Interview gebeten wird. Und dann, dass sich das alles anfühle «wie in einem Traum», dieser Einzug in den WM-Halbfinal.

Dass der Traum immer weiter geht für Marokko, hat viel mit Amrabat zu tun. Der räumt im defensiven Mittelfeld auf, was es eben so aufzuräumen gibt. Er jagt Bälle, gewinnt Zweikämpfe, bringt das marokkanische Umschaltspiel ins Rollen. Jede Minute hat er bisher auf dem Platz gestanden und dafür gesorgt, dass sich schon manche Mittelfeld-Berühmtheit gegen Marokko kein bisschen entfalten konnte. Zum Beispiel der Belgier Kevin de Bruyne. Oder der Kroate Luka Modric. Oder Pedri und Gavi, die spanischen Wunderkinder. Oder zuletzt die Portugiesen Bernardo Silva und João Felix.

Noch spielt Amrabat bei Fiorentina in der Serie A. Das könnte sich nach dieser WM, die kaum ein Mittelfeldspieler prägt wie er, rasch ändern. Unter anderem soll sich Liverpool für ihn interessieren.

Hakim Ziyech, der Kreative

epa10359554 Hakim Ziyech of Morocco reacts as he leaves the pitch during the FIFA World Cup 2022 quarter final soccer match between Morocco and Portugal at Al Thumama Stadium in Doha, Qatar, 10 Decemb ...
Hakim Ziyech war zwischenzeitlich schon aus der Nationalmannschaft zurückgetreten.Bild: keystone

Wenn es Hakim Ziyech nicht gäbe, dann stünde Marokko wahrscheinlich nicht in den WM-Halbfinals. Und das hat zwei Gründe.

Zum einen ragt Ziyech heraus aus dem marokkanischen Team, weil er in diesem disziplinierten, wunderbar organisierten und kämpferisch starken Team für das Besondere steht. Ziyech hat einen linken Fuss, der für tolle Schüsse gut ist und präzise Flanken. Er ist dazu noch schnell und dribbelstark. Kurzum: Ziyech, das ist Kreativität und Spielfreude. An dieser WM hatte er bei zwei der fünf marokkanischen Tore seine Füsse im Spiel.

Zum anderen hat es viel mit Ziyech zu tun, dass der marokkanische Trainer an dieser WM Walid Regragui heisst - und nicht Vahid Halilhodzic. Der Bosnier hatte Marokko erfolgreich durch die WM-Qualifikation geführt, sich dabei aber auch mit Kreativgeist Ziyech überworfen und ihn beim Afrika-Cup im letzten Winter nicht aufgeboten. Halilhodzic, der für seine harte Hand bekannt ist, war nicht zufrieden mit der Einstellung des Mittelfeldspielers, der bei Chelsea unter Vertrag steht.

Der trat daraufhin unter Getöse aus der Nationalmannschaft zurück, was wiederum in Marokko Fans und Medien missfiel, weil Ziyech eben Ziyech ist: ein Unikat. Und am Ende gewann der Mittelfeldspieler den Machtkampf. Im August entliess der marokkanische Verband Halilhodzic. Bei Nachfolger Regragui geniesst Ziyech einen Sonderstatus. Weil er, wie der Trainer während der WM sagte, eben kein Spieler wie alle anderen ist. (aargauerzeitung.ch)

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Fans aus aller Welt an der Fussball-WM 2022 in Katar
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Marokkos Boufal feiert Halbfinal-Einzug mit der Mutter
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