Dass ausgerechnet Franz Beckenbauer das Treffen 33 Jahre nach dem grossen WM-Triumph verpasste, schmerzte die deutschen Weltmeisterhelden von 1990 besonders. «Diesen einmaligen Zusammenhalt in dieser Mannschaft hat Franz Beckenbauer geschaffen. Kein anderer. Ihm haben wir alles zu verdanken!», sagte Lothar Matthäus, der damalige Kapitän unter Teamchef Beckenbauer, der «Bild».
Beckenbauer liess sich allerdings schweren Herzens von seiner Ehefrau Heidi entschuldigen. «Franz kann aus gesundheitlichen Gründen leider nicht dabei sein. Es wäre einfach zu viel für ihn», sagte sie. Und so mussten die WM-Helden von 1990 im Luxushotel «Das Achental» in Grassau am Chiemsee ohne Beckenbauer in Erinnerungen schwelgen.
Aus der Öffentlichkeit hat sich Beckenbauer ohnehin mittlerweile nahezu komplett zurückgezogen. Die Zuschauer staunten jedenfalls nicht schlecht, als sie den 77-Jährigen im vergangenen August auf der Stadiontribüne erblickten. Ja, da schau her! Beckenbauer weilte nicht etwa beim Topspiel des FC Bayern gegen Borussia Mönchengladbach (1:1) in der Münchner Arena – wo er zuletzt im März 2021 bei der Partie gegen Stuttgart zu Gast war.
Stattdessen schaute er lieber beim Heimspiel von 1899 Hoffenheim gegen den FC Augsburg (1:0) vorbei. Beckenbauer, der als Freund und Vertrauter von Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp gilt, verfolgte die Partie in einer VIP-Loge und präsentierte sich dort mit Sonnenbrille und weissem Bart.
Er wirkte auffällig schlank und hager, wie schon bei seinen vergangenen öffentlichen Auftritten, die mittlerweile sehr selten geworden sind. Längst vorbei die Zeiten, in denen der «Kaiser» noch als Organisationschef der Heim-Weltmeisterschaft 2006 mit dem Helikopter durchs gesamte Fussballreich wirbelte und nicht selten am selben Tag gleich in mehreren Stadien gesichtet wurde.
Die dunklen Schatten, die sich über dem vermeintlichen Sommermärchen ausgebreitet haben, haben bekanntlich auch seine Strahlkraft erfasst. Die einstige Lichtgestalt des deutschen Fussballs führt mittlerweile ein Schattendasein. Er lebt nicht mehr in Kitzbühel, sondern zurückgezogen in Salzburg. Kommentare des früher noch omnipräsenten Cheferklärers der Fussballnation sind nun eine Rarität.
Das Feuer der Begeisterung für seinen FC Bayern, den er als Spieler, Trainer und Präsident wie kein anderer geprägt hat, lodert aber noch immer in ihm. So war es auch kein Zufall, dass sich der Ehrenpräsident des Klubs ausgerechnet durch den furiosen Start der Münchner in der vergangenen Saison doch mal wieder aus seiner Abgeschiedenheit locken liess.
Als die «Bild» ihn unmittelbar nach dem 6:1 der Bayern in Frankfurt mit einem Anruf überraschte, sagte er: «So eine Lust, so eine Leistung habe ich lange nicht gesehen. Die Erfolge mit Lewandowski sind die Vergangenheit, diese Mannschaft ist die Zukunft.» Für einen kurzen Moment war da mal wieder der alte Beckenbauer zu erahnen, dessen Wort in Fussballdeutschland noch vor nicht allzu langer Zeit das höchstmögliche Gewicht hatte.
Jeder, der auf ihn trifft, habe «natürlich erst mal Respekt vorm Franz – und ist dann angenehm überrascht über seine Freundlichkeit und unglaubliche Herzlichkeit, die er einem entgegenbringt», erzählt Klaus Eder t-online.
Der 69-Jährige arbeitete von 1988 bis 2018 als Physiotherapeut der deutschen Nationalmannschaft und ist nach wie vor sehr gut mit Beckenbauer befreundet. «Er gibt einem immer das Gefühl, sein allerbester Freund zu sein. Das war schon damals in Italien so, bei der Novanta, und hat sich bis heute fortgesetzt.»
Mit der Novanta meint Eder den historischen WM-Triumph der deutschen Nationalmannschaft 1990 mit Beckenbauer als Teamchef. Ob man das Finale miterlebt hat oder nicht: Die Szene nach dem Spiel, in der Beckenbauer gedankenverloren mit der Goldmedaille um seinen Hals baumelnd im römischen Stadio Olimpico allein über das Spielfeld spaziert, hat fast jeder vor Augen, als wäre er selbst dabei gewesen.
Mit der gesamten 90er-Mannschaft sei «eine ganz enge Beziehung entstanden, die bis heute geblieben ist», sagt Eder. Zum 30-jährigen Jubiläum fand 2020 das bislang letzte Weltmeistertreffen statt, bei dem Beckenbauer dabei war – in einem italienischen Luxusressort in Il Pelagone.
«Die 30 Jahre sind an keinem von uns spurlos vorübergegangen», erinnert sich Eder, «aber ansonsten war er fit und gut drauf. Wir haben zusammen Golf gespielt, viel gelacht und gefeiert.»
Ähnlich erlebte Eder seinen alten Weggefährten auch wieder im Juli 2022 beim 33. Kaiser-Cup, dem alljährlichen Golf-Charity-Turnier, dessen Einnahmen der Franz-Beckenbauer-Stiftung zugutekommen.
Nur knapp einen Monat später drehte sich Beckenbauers Gemütslage mit dem Tod von Uwe Seeler aber ins Gegenteil. Zumal er seinem Freund aufgrund von gesundheitlichen Problemen die letzte Ehre nicht persönlich erweisen konnte. Stattdessen schrieb ihm Beckenbauer einen emotionalen, offenen Brief zum Abschied.
An welchen körperlichen Beschwerden Beckenbauer aktuell genau leidet, ist nicht bekannt. Auch Eder hält sich zu Beckenbauers aktuellem Gesundheitszustand bedeckt. «Wir wissen ja alle, dass der Franz in letzter Zeit nicht mehr der Fitteste war, aber er hat alles gut weggesteckt. Jetzt hoffen wir, dass er wirklich in Ruhe genesen kann», sagt er nur. «So wie ich ihn kennengelernt habe, hat er noch nie die Öffentlichkeit gesucht, sondern es war immer genau umgekehrt.» Jetzt habe Beckenbauer «halt auch einen Grund, die Öffentlichkeit zu meiden».
2019 hatte Beckenbauer einen Eingriff an den Augen vornehmen lassen, zwei Jahre zuvor hatte er sich bereits zum zweiten Mal einer Herzoperation unterziehen müssen. Anlässlich seines 75. Geburtstags sagte er 2020 der «Bild», dass es ihm «den Umständen entsprechend» gehe. Er gab aber zu: «Mit all den Operationen und auch mit der Geschichte 2006. Das hat mich schon sehr mitgenommen.»
Die Vorwürfe, die im Zusammenhang mit der Vergabe der Fussball-WM nach Deutschland im Raum standen, sind mittlerweile juristisch verjährt. Aber nicht vergessen, erst recht nicht bei ihm selbst. «Ich sehe zwar, dass mittlerweile akzeptiert wird, dass da nichts war, aber die letzten Jahre waren schon hart», sagte Beckenbauer, deshalb wünsche er sich «inzwischen mehr Ruhe».
Bei seinem Jubiläumsehrentag sei es das erste Mal gewesen, dass er anfange, nachzudenken. «75 ist ein Alter, da kannst du das Ende erahnen», erzählte er offen: «Die Endlichkeit wird dir bewusst. Und das beschäftigt dich natürlich.»
Die Leiden und Wehwehchen nehmen offenbar auch bei dem deutschen Fussballer des vergangenen Jahrhunderts, der auch als Spieler 1974 Weltmeister sowie 1972 Europameister geworden war, mit zunehmendem Alter zwangsläufig zu.
Schon den Abschied von Rudi Völler, der sich im Mai 2023 feierlich aus dem operativen Geschäft bei Bayer Leverkusen und damit aus dem Bundesligageschäft zurückzog, hatte Beckenbauer deshalb schon verpasst.
Stattdessen besuchten ihn die 1990er-Weltmeister Völler, Lothar Matthäus und Andreas Brehme anschliessend in Salzburg. Solche Treffen finden nach wie vor regelmässig statt, wie eine der direkt daran beteiligten Personen t-online bestätigte.
Bereits im Jahr zuvor hatte sich mit Uli Hoeness, Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge eine 74er-WM-Delegation zu einer ähnlichen kaiserlichen Audienz aufgemacht. Gute Freunde kann eben niemand trennen.
Rummenigge war es auch, der bei t-online zuletzt forderte, «dass Franz den Stellenwert erhält, den er verdient. Er war als Spieler und als Trainer Weltmeister, er gehört in die Kategorie ‹Top of the Tops›, die jemals im Fussball existiert haben.» Beckenbauers «Lebensleistung für den deutschen Fussball kann man nicht hoch genug einschätzen», so Rummenigge, «dementsprechend sollte auch der DFB diese gebührend würdigen.»
Viel zu erzählen hat auch Beckenbauer über all diese Dinge noch immer. Auf Anfrage teilte sein Management allerdings mit, dass er dieser «bedauerlicherweise nicht nachkommen» könne.
Das galt nun auch für die Einladung zum Weltmeistertreffen. Die 90er-Helden hatten ohnehin vereinbart, den Zyklus dafür von zehn auf fünf Jahre zu verkürzen. Die nächste Zusammenkunft ist bereits wieder für Sommer 2025 geplant, nachdem es zum 33-jährigen Jubiläum einen zusätzlichen Termin gab. «Der Franz hat gesagt: ‹Wir müssen das noch ein bisschen verkürzen, uns nicht erst alle fünf Jahre treffen. Sondern müssen auch eine Schnapszahl dazu nutzen, um uns zu treffen›», sagte Weltmeister Olaf Thon zu t-online: «So ist er halt, der Franz.»
Nun konnte er sein eigenes Vorhaben aus gesundheitlichen Gründen doch nicht in die Tat umsetzen. In zwei Jahren hat Beckenbauer die nächste Möglichkeit dazu. Ob er die dann nutzen kann? Er würde sicher sagen: Schau'n mer mal.
Wie bitte??? Beckenbauer wurde 2006 von den Medien klar der Korruption überführt. Ein Prozess sollte stattfinden, Beckenbauer hat sich aber davor gedrückt wegen "gesundheitlichen Gründen", sodass der Fall verjährte. Die Sachlage ist und bleibt aber glasklar.
Kein Wunder, zeigt er sich nicht mehr in der Öffentlichkeit. Eine gescheiterte Fussball-Legende.
Ich wünsche ihm auch weiterhin alles Gute.