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EM-Blues, Schweiz, Angriff – das sind die Gründe für Italiens WM-Debakel

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Trauer bei Italien nach der Niederlage gegen Nordmazedonien.Bild: keystone

EM-Blues, die Schweiz, der Angriff – das sind die Gründe für Italiens WM-Debakel

Italien scheitert in den Playoffs zur WM-Qualifikation daheim in Palermo mit 0:1 gegen Nordmazedonien. Es gibt einige Gründe, weshalb Italien nach Russland 2018 nun auch die WM 2022 in Katar verpasst.
25.03.2022, 10:2525.03.2022, 12:02
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Es ist tatsächlich wieder passiert. Italien hat zum zweiten Mal in Serie die Teilnahme an der Fussball-WM verpasst. Für den vierfachen Weltmeister und aktuellen Europasieger ist das natürlich ein Desaster. Eines, welches bei einem genaueren Blick allerdings nicht mehr ganz so überraschend ist.

Die fehlende Qualität

Die italienische Zeitung «Il Mattino» fasste das Problem des italienischen Fussballs heute Morgen perfekt zusammen: «Die Fussballkrise, welche die EM versteckt hatte.»

Tatsächlich hat der EM-Titel im letzten Sommer über viele Probleme des italienischen Fussballs hinweggetäuscht. Natürlich wurde Italien verdient Europameister, doch das war hauptsächlich der überragenden Arbeit von Trainer Roberto Mancini, sowie dem starken Teamgeist geschuldet. Italien hatte einfach einen Lauf, den es während eines solchen Turniers braucht, um sich den Titel zu holen. Die besten Spieler hatte Italien schon damals nicht.

In Italiens Aufstellung beim 0:1-Desaster gegen Nordmazedonien standen zum Beispiel bloss drei Spieler, die sich international durchgesetzt haben: Marco Verratti, Jorginho und – mit Abstrichen – Torhüter Gianluigi Donnarumma. Der Rest konnte sich im Ausland nie durchsetzen (wie z.B. Ciro Immobile) oder wagte den Absprung aus der Serie A nie.

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Immobile und Dortmund: Das war keine Erfolgsgeschichte.Bild: EPA/DPA

Und diese Serie A steckt seit über einer Dekade mehrheitlich in der Krise. Einzig Juventus Turin konnte mit zwei Final-Teilnahmen in der Champions League (2015 und 2017) zwischendurch für Aufsehen sorgen. Die Turiner flogen jedoch zuletzt dreimal in Serie bereits in den Achtelfinals raus. In den letzten beiden Jahren schaffte es kein Team aus der Serie A mehr, zumindest die Viertelfinals der Königsklasse zu erreichen. Den letzten italienischen Klubtitel in einem europäischen Wettbewerb holte Inter Mailand 2010.

Italiens Mühe mit der internationalen Konkurrenz schlägt sich auch auf die FIFA-Fünfjahreswertung aus, dort wird man nach dieser Saison hinter Deutschland auf Rang 4 fallen. England und Spanien sind sowieso längst enteilt.

Der fehlende Torjäger

Die Qualitätsprobleme in Italiens Nationalmannschaft kann man vor allem auf einen Mannschaftsteil beschränken: Die Offensive. Es fehlt seit vielen Jahren ein richtiger Torjäger. Seit der goldenen Ära um Pippo Inzaghi (25 Tore von 1997 bis 2007), Alessandro Del Piero (27 Tore von 1995 bis 2008) und Christian Vieri (23 Tore von 1997 bis 2006), hat es bloss noch ein Italiener geschafft, die Marke von 20 Toren für die Nationalmannschaft zu erreichen: Es war der defensive Mittelfeldspieler Daniele de Rossi, der mittlerweile ebenfalls zurückgetreten ist und dem Staff der «Azzurri» angehört. In der abgelaufenen WM-Qualifikation war Ciro Immobile der beste italienische Torschütze – mit gerade mal zwei Treffern.

Dieser Ciro Immobile ist durchaus ein treffsicherer Stürmer, aber halt nicht auf höchsten Niveau. Der 32-Jährige hat auch in dieser Saison auf Klubebene wieder 26 Tore in 34 Spielen vorzuweisen. Flankiert wurde Immobile gegen Nordmazedonien von Domenico Berardi und Lorenzo Insigne. Berardi ist im Klub zwar ebenfalls überragend (27 Spiele, 28 Skorerpunkte), er hat es mit seinen 27 Jahren aber noch nicht weiter als zu Sassuolo gebracht.

Domenico Berardi lehnt gegen Nordmazedonien eine Einladung ab.Video: streamja

Lorenzo Insigne ist zwar der wohl am höchsten veranlagte Offensivspieler Italiens, der 30-jährige Neapolitaner ist aber zu wenig durchsetzungsstark und wird sich in seiner Karriere nicht mehr im ganz kompetitiven Ausland versuchen. Im Juli wird er von Neapel in die MLS zu Toronto wechseln.

Dahinter kommt bei Italien nicht viel, zumal mit Federico Chiesa ein ganz wichtiger Spieler mit einem Kreuzbandriss ausfällt. Gegen Nordmazedonien wurden in der Schlussphase zwei Stürmer eingewechselt. Der eingebürgerte Brasilianer João Pedro (Cagliari), der mit 30 Jahren zu seinem Nati-Debüt kam, und der 22-jährige Giacomo Raspadori (Sassuolo).

Italien fehlt ein Stürmer von Weltklasse-Format. Das war schon vor vier Jahren in der WM-Barrage gegen Schweden so (0:0 und 0:1), es war im letzten, entscheidenden Qualifikations-Gruppenspiel gegen Nordirland (0:0) und nun beim 0:1 in den Playoffs gegen Nordmazedonien nicht anders.

Die Schweiz

Die aufopferungsvollen Nordmazedonier haben Italiens WM-Traum beendet. Man findet kaum Worte, wie sensationell deren Leistung war, den aktuellen Europameister in dessen Heimat zu eliminieren.

Aber es war nicht nur Nordmazedonien, welches Italien die Teilnahme an der WM in Katar verhinderte. Einen mindestens so grossen Anteil hatte auch die Schweiz, die es schaffte, Italien über eine gesamte Qualifikation auszustechen. Einerseits verloren die Schweizer – im Gegensatz zum 0:3 an der EM 2020 – in zwei Partien gegen Italien nicht. Der Dank gebührt an dieser Stelle Jorginho (und Yann Sommer!), der in beiden Partien gegen die Schweiz einen Elfmeter verschoss.

Aber die Schweiz lieferte halt auch ab, als es gefragt war. Im Rückspiel in Italien hatte man zwar das Elfmeterglück, als Jorginho einen Roberto-Baggio-Gedenkschuss hinlegte, aber mit einem Rumpfteam auch eine hervorragende Leistung gezeigt und sich ein 1:1 geholt. Im Fernduell um Rang 1 in der Gruppe musste die Schweiz im letzten Gruppenspiel gegen Bulgarien einen hohen Sieg einfahren, um sich die direkte WM-Qualifikation zu sichern. Die Schweiz fegte mit 4:0 über Bulgarien hinweg, während sich Italien beim 0:0 gegen Nordirland vergeblich abmühte.

Auch wenn die Schweiz oft (zu) klein geredet wird. Italien hatte in der Gruppe mit unserer Nati einen starken Gegner, der sie überhaupt erst in die Playoffs schickte.

Der EM-Blues

Wie so oft nach grossen Erfolgen fallen Mannschaften in ein Loch. Nicht anders lief es Italien nach dem überraschenden EM-Titel im vergangenen Sommer. Seither hat die «Squadra Azzurra» in sieben Spielen nur noch zwei Siege geholt. Ein 5:0 in der WM-Qualifikation gegen Litauen und ein bedeutungsloses 2:1 gegen Belgien in der Nations League um Rang 3.

Die enttäuschenden Auftritte häuften sich im Herbst jedoch. Im Nations-League-Halbfinal gegen Spanien (1:2) gab's die erste Niederlage nach 37 Spielen, in der WM-Qualifikation kamen neben den zwei Unentschieden gegen die Schweiz auch enttäuschende Remis gegen Bulgarien (1:1) und Nordirland (0:0) hinzu.

Italy's Federico Chiesa lies on the pitch at the end of the UEFA Nations League semifinal soccer match between Italy and Spain at the San Siro stadium, in Milan, Italy, Wednesday, Oct. 6, 2021. ( ...
Der 6. Oktober 2021: Spanien fügt Italien die erste Niederlage seit über drei Jahren zu.Bild: keystone

Die Leichtigkeit und Spielfreude, welche Italien unter Roberto Mancini so stark machte, das Selbstbewusstsein, das Gefühl, unschlagbar zu sein – das alles war seit vergangenem Herbst plötzlich weg.

Das fehlende Glück

Wer gegen Nordmazedonien kein Tor schiesst, der scheidet aus. Das ist verdient und da braucht man auch nicht lange darüber zu lamentieren. Dennoch gewinnt Italien solch ein Spiel in 95 von 100 Fällen. Die drückende Überlegenheit der Italiener ist in sämtlichen Statistiken ersichtlich.

Ballbesitz: 65%
Abschlüsse: 32:4
Schüsse auf das Tor: 5:1
Ecken: 16:0

Dass der einzige nordmazedonische Schuss auf das Tor gleich ein Sonntagsschuss ist, hat auch mit Pech zu tun. Dass es in der 92. Minute passiert, ist doppelt bitter. Wie sagt ein berühmtes Fussballer-Sprichwort so schön: «Wenn du kein Glück hast, dann kommt auch noch Pech dazu.» Doch selbst wenn Italien das nötige Wettkampfglück gehabt hätte – es hätte trotzdem noch Portugal eliminieren müssen, was in der derzeitigen Verfassung ohnehin eine Mammutaufgabe geworden wäre.

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So jubelt Nordmazedonien über den Sieg gegen Italien
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So jubelt Nordmazedonien über den Sieg gegen Italien
Grenzenloser Jubel in den Strassen von Skopje: Nordmazedonien hat im Halbfinal der WM-Playoffs Italien mit 1:0 geschlagen. Das muss natürlich gefeiert werden.
quelle: keystone / boris grdanoski
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Andri Ragettli fährt Ski und jongliert gleichzeitig mit einem Fussball
Video: extern / rest
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41 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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THN
25.03.2022 10:59registriert August 2017
„Wänn sie vorne nöd machsch, chunsch sie hine über“ - jeder Juniorentrainer, immer.
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Shitty
25.03.2022 11:25registriert Juli 2020
Finde ich stark von Italien, die WM in Katar zu Boykottieren🤪🤪🤪🤪Sollte jeder so machen. Hut ab Italien🤭🤭
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Hans Doe
25.03.2022 12:53registriert Juni 2018
Gianluigi Donnarumma hätte den Schuss gestern vor seinem Wechsel zu PSG auch gehalten. Ich habe das Gefühl, dass dieser Wechsel für seine Entwicklung schlecht war. Als er noch bei der AC war nahm ich ihn einiges stärket wahr.
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