Die Fachwelt diskutiert gern über den Sinn oder Unsinn von Testspielen Mitte November. Oder jenen im März oder im August. Gerade Petkovic aber hätte es den Anfang der Amtszeit im Sommer erleichtert, wenn er mehr Zeit gehabt hätte, die Breite des Kaders einem Formcheck zu unterziehen.
Seine Aussage, gern mehr Länderspieldaten zur Verfügung zu haben, ist allein deshalb nachvollziehbar. Statt Tests im Vorfeld gab es für den Nachfolger von Ottmar Hitzfeld gegen England einen Kaltstart, ohne dass die Mannschaft die Ideen und die Taktik ihres neuen Coaches davor in einem Ernstkampf je hätte umsetzen zu können.
Das 4:0 gegen Litauen hat den schwachen Start in die EM-Qualifikation relativiert. Das Team hinterliess in St. Gallen den Eindruck, als habe es den Auftrag verstanden und danach in die Tat umgesetzt. «Ohne diese Befreiung, vor allem ohne diese letzte halbe Stunde, die aussah wie ein Werbefilm für Petkovic-Fussball, wären er und seine Ideen viel zu früh in Frage gestellt worden», hiess es im gestrigen Kommentar der NZZ dazu.
In Niederschlesien, wohin die Reise mit noch 20 Spielern an Bord heute Nachmittag geführt hat, geht es darum, dass sich weitere Akteure mit Petkovics Philosophie ausserhalb des Trainings vertraut machen können und müssen. «Ich werde die eine oder andere Option prüfen», sagte der Coach. Im Tor wird nach Yann Sommers Abreise ein Debütant stehen, das war sowieso klar. Dieser Neuling heisst Roman Bürki, ist die Nummer 2 der Hierarchie und spielt bei Bundesligist Freiburg einen wichtigen Part. «Ich bin sehr froh, dass ich für meine Leistungen mit dem Länderspiel gegen Polen belohnt wurde», sagte der Berner am Tag vor dem Debüt in der A-Nationalmannschaft.
Auf der Position von Stephan Lichtsteiner, der wegen seines hohen Pensums mit Juventus Turin ebenfalls die Freigabe für die Rückkehr zum Klub erhielt, dürfte Michael Lang als rechter Aussenverteidiger zum ersten Einsatz unter Petkovic kommen. Es ist auch davon auszugehen, dass Valon Behrami und Fabian Schär, die am Sonntag wie Johan Djourou mit dem Training ausgesetzt haben, höchstens eine Halbzeit bestreiten werden.
Die starken Belastungen hinterlassen regelmässig Spuren. Neben Bürki und Lang dürften auch die gegen Litauen nicht berücksichtigten Steve von Bergen, Fabian Frei, Pajtim Kasami, Valentin Stocker und womöglich ein weiterer Goalie-Debütant (Hitz) zu Einsatzminuten kommen.
Welche Erkenntnisse erhofft sich Petkovic vom ersten Test in seiner viereinhalbmonatigen Amtszeit? «Es geht um das Resultat, um Prestige und darum, den erspielten Goodwill nicht zu verspielen. Wichtig ist, über 90 Minuten Leidenschaft zu zeigen und Leistung zu bringen.» Defensiv wird die SFV-Auswahl stärker gefordert sein. «Es wird interessant sein, zu sehen, wie die Spieler damit umgehen, wenn sie mehr unter Druck sind», so Petkovic, der ein Duell zweier offensiv ausgerichteter Teams erwartet.
Nicht nur die Schweiz, auch Polen wird den Test im Miejski-Stadion bei weitem nicht in Bestbesetzung bestreiten. Doch auch die 1b-Auswahl der Gastgeber ist wesentlich stärker einzuschätzen als der letzte Gegner Litauen. In der EM-Qualifikation führt Polen, die Nummer 44 des FIFA-Rankings, nach vier Spieltagen mit zehn Punkten und einem Torverhältnis von 15:2 die Gruppe D an.
Unter anderem setzte sich die Mannschaft von Adam Nawalka beim 2:0 erstmals in seiner Verbandsgeschichte gegen Weltmeister Deutschland durch. «Das ist ein anderes Kaliber», sagte Vladimir Petkovic. Der letzte Schweizer Gegner des Jahres hat 2014 nur eines von neun Spielen verloren: einen Test im März gegen Schottland. (si/dsi/cma)