Jan Åge Kristensen, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Norwegischen Sporthochschule in Oslo, hat im Februar seine vierjährige Forschungsarbeit publiziert. Er kommt zum Schluss, dass viele Nachwuchsathleten ihren Sport trotz Verletzungen ausüben und damit die eigene Gesundheit riskieren. Er hat dabei mehrere beunruhigende Tendenzen entdeckt.
Die von Antidoping Norwegen und dem nationalen Eishockeyverband unterstützte Untersuchung zeigt auf, dass junge Sportlerinnen und Sportler zunehmend Risiken eingehen, um es in ihrer Sportart ganz an die Spitze zu schaffen. Diese Gefährdung umfasst leider auch die eigene Gesundheit. Kristensen hat nachgewiesen, dass unter anderem junge Eishockeyspieler Verletzungen und Krankheiten zugunsten von Spieleinsätzen ignorieren.
Eishockey ist eine Sportart mit relativ hohem Verletzungsrisiko. Frühere Studien sagen aus, dass sich bis 46 Prozent aller Spieler im Verlauf einer Saison mindestens einmal verletzen. Wo aber liegen die Gründe, wieso Talente so wenig Vernunft walten lassen und nicht genug auf ihre Gesundheit achten? Oft spüren sie sozialen Druck aus ihrem Umfeld. Dieser kann vom Trainer, aber auch von Mitspielern oder gar den Eltern ausgehen.
«Wir sehen, dass es in einer Sportart wie Eishockey einen sozialen Druck gibt, der besagt, dass man Schmerzen ignorieren und trotz Verletzungen trainieren und an Wettkämpfen teilnehmen soll. Das macht die Athleten anfälliger dafür, es selbst so zu tun», sagt Kristensen. Er hat 186 Spieler der norwegischen U18- und U20-Nationalmannschaft zum Thema befragt.
Der frühere Eishockeyspieler stellte dabei fest, dass viele Jugendliche in diesem fatalen Verhalten mehr Vorteile als Nachteile sehen – es dadurch quasi salonfähig wird und das eigene Tun nicht kritisch reflektiert wird. Der Wissenschafter kritisiert die stereotype Einstellung im Sport, die verlangt, «ein Krieger zu sein, Schmerzen zu ignorieren und über die Schmerzgrenze hinauszugehen. Das kann fatale Folgen haben, weil dadurch die Probleme erst gelöst werden, wenn sie schon da sind», sagt Kristensen.
Eine weitere beunruhigende Tendenz der Untersuchung ist, dass je leistungsorientierter und selbst mehr unter Druck das sportärztliche Umfeld der Spieler war, umso häufiger wurden gesundheitliche Aspekte ignoriert. Dabei wurde vereinzelt auch der Einsatz von verbotenen Substanzen in Betracht gezogen.
Generell zeigt er sich besorgt über den Gebrauch von schmerzstillenden Mitteln im Jugendsport. Eine der weltbesten Handballerinnen gab an, täglich Voltaren zu verwenden, um den sportlichen Alltag bewältigen zu können.
Kristensen hat auch den Gebrauch von Nahrungsergänzungsmitteln bei insgesamt 600 Absolventen in acht verschiedenen Spitzensport-Gymnasien in Norwegen untersucht. Auch hier entdeckte er einen bedenklichen Zusammenhang.
Denn je grösser die Akzeptanz bei Sportlerinnen und Sportlern, solche Substanzen zu sich zu nehmen, desto anfälliger waren sie auch, Grenzen zu überschreiten. Die Bereitschaft, auch zu unerlaubten Mitteln der Leistungssteigerung zu greifen, nahm bei grösserem Konsum von Supplementen zu. «Nicht dass der Gebrauch an sich auf den einzelnen Auswirkungen hat, aber das setzt psychologische Effekte in Gang, die zur Folge haben können, dass man eher über die Grenze geht», erklärt Kristensen.
Welche Anregungen gibt der Wissenschafter dem Sport als Fazit seiner Arbeit mit auf den Weg? «Trainer müssen für ein Sportumfeld sorgen, das den sozialen Druck reduziert, und versuchen, die Bedeutung des Siegens richtig einzuordnen», sagt Kristensen. «Die Sportler müssen sich bewusst sein, dass es Schmerzen und Verletzungen zu respektieren gilt und dass sie eine langfristige Perspektive auf die Gesundheit einnehmen sollten. Es gibt auch ein Leben nach dem Spitzensport», sagt Kristensen. (aargauerzeitung.ch)