Die Ernüchterung war beim FC Basel nach dem 1:3 in Zürich am Sonntag gross. Nach der Startniederlage gegen St. Gallen und dem Ausscheiden aus dem Europacup gegen Tobol Kostanay hat der FCB auch gegen GC eigentlich keine Chance. Und das gegen ein Team, das mit 15 Abgängen und 12 Neuverpflichtungen einen noch grösseren Umbruch zu bewältigen hat als der FC Basel (aktuell 9 Abgänge, 10 Zuzüge) und auf dessen Bank der vom FCB ausgeliehene Bradley Fink mit 1048 Minuten der zweiterfahrenste Super-League-Spieler war. Folgende sieben FCB-Probleme sorgen aktuell dafür, dass Anspruch und Wirklichkeit auch in der neuen Spielzeit nach wie vor weit auseinanderliegen:
Sechs Stammspieler, 42 Prozent aller Spielminuten der abgelaufenen Saison und 54 Prozent aller Skorerpunkte haben den FC Basel in diesem Sommer bereits verlassen. Die forsche Aussage von Präsident David Degen vor der Mitgliederversammlung im Mai, 90 Prozent des Kaders beisammenbehalten zu wollen, ist nur noch ein frommer Wunsch.
Wenn man bedenkt, dass das Team in der Liga mit Ach und Krach am letzten Spieltag noch Rang fünf erreichte, ist es jetzt nur logisch, dass die aktuelle Mannschaft schlechter dasteht. Denn diese wurde bisher nur mit den Perspektivspielern Thierno Barry, Jonathan Dubasin und Finn van Breemen ergänzt, die alle aus zweiten Ligen zum FCB und in ein neues Land wechselten. Lediglich von Dominik Schmid darf erwartet werden, dass er sofort funktioniert, da der Rheinfelder Klub und Liga kennt.
«Fehlende Körpersprache, kein Wille»: So lautete die Kernbotschaft der Standpauke von FCB-Trainer Timo Schultz am Sonntag. Öffentlich wollte er es zwar nicht so sagen, aber auch der Deutsche weiss, dass einige seiner Spieler aktuell mit den Gedanken nicht zu 100 Prozent beim FC Basel sind. «Klar, wäre es mir lieber gewesen, wenn der ein oder andere Spieler noch da wäre, und klar ist das in der Kabine ein Thema», sagt Marwin Hitz. Und dass die umworbenen Wouter Burger (Stoke City), Riccardo Calafiori (unter anderem AC Milan) oder Dan Ndoye (unter anderem Bologna) aktuell auch noch andere Gedanken hegen und einen Wechsel prüfen, ist ja nur menschlich. Gut möglich auch, dass viele ähnlicher Meinung sind wie Andy Pelmard, der seinen Wechsel in dieser Zeitung damit begründete, dass er keine Lust auf den nächsten grossen Umbruch hatte.
Neuzugang Jonathan Dubasin verletzte sich wie auch der aufstrebende Junior Leon Avdullahu schon in der ersten Saisonwoche. Taulant Xhaka ist in der Liga gesperrt und meldete sich dann vor dem kapitalen Rückspiel in Kostanay krank. Marwin Hitz laborierte an einer Achillessehnenreizung und Thierno Barry schaffte das Kunststück, in den ersten beiden Spielen vom Platz zu fliegen.
Nicht nach Kasachstan fliegen konnte der sich plötzlich unwohl fühlende Sergio López, und auch Michael Lang (angeschlagen), Jean-Kévin Augustin (Kniebeschwerden), Wouter Burger (angeschlagen), Arnau Comas (angeschlagen) und Riccardo Calafiori (Gelbrot, angeschlagen) verpassten schon Spiele und Minuten. Gegen GC mussten so fünf verschiedene Innenverteidiger ran, und gegen Kostanay war der eigentlich schon aussortierte Abwehrspieler Nasser Djiga die beste Option als Sturmtank in der Schlussphase.
Marwin Hitz schenkte St. Gallen beim Auftaktspiel das 1:0. Thierno Barry Kostanay zwei Elfmeter und seinem Team zweimal eine längere Unterzahl. Riccardo Calafioris Platzverweis gegen Kostanay zeugt ebenfalls nicht von Cleverness. Finn van Breemen offerierte den Kasachen im Hinspiel und auch GC ein nahezu identisches Tor, und Mirko Salvis unbedachter Ausflug nach einer Ecke führte zu einem Elfmeter. Von neun Gegentoren hat der FCB vier direkt aufgelegt und sich durch weitere Undiszipliniertheiten zusätzlich selbst geschwächt. «Aktuell können wir diese Dinge nicht kompensieren», erklärt Fabian Frei nach dem Ausscheiden in Kostanay. Denn dem FCB fehlt es schlicht an Qualität.
Timo Schultz nannte es eine Luxussituation. Er konnte sich monatelang auf die Aufgabe in Basel vorbereiten. Doch was nützt die ganze Vorbereitung, wenn das Team, das er beispielsweise Ende April in Florenz brillieren sah, dermassen auseinanderfällt und die neue Mannschaft erst nach dem 5. Ligaspieltag stehen wird? Die Vorfreude ist schnell der Ernüchterung gewichen. Zwar gibt sich Schultz kämpferisch: «Unser Anspruch muss es sein, dass wir mit den Jungs, die da sind, deutlich besser spielen. Alles andere ist irrelevant.» Aber man muss schon schmunzeln, wenn Sportdirektor Heiko Vogel nach dem Ausscheiden in Kasachstan erklärt, man hole jetzt in jeder Linie ausser auf der Torwartposition noch eine Verstärkung.
Die Frage drängt sich auf: Warum erst jetzt? Die Antwort kann man zumindest teilweise mit dem Markt erklären. Die Schweiz startet verhältnismässig früh in die Saison, und dass die grösseren Fische erst gegen Ende des am 1. September schliessenden Transferfensters zu holen sind, ist offenkundig. Diese Erklärung nennt auch Verwaltungsrat Andreas Rey. In einem am Samstag veröffentlichten Statement schreibt er zum FCB-Transferkonzept: «Spieler, die wir möchten, haben in der Regel mehrere Angebote und sich Anfang Juli noch nicht entschieden.» Vom Verkaufsdruck getrieben – Präsident David Degen sagte: «Das Jahr 2023 wird finanziell das schwierigste in der Geschichte des FC Basel» – hat der FCB verhältnismässig früh Millionenverkäufe getätigt. Dafür zahlt er jetzt sportlich die Quittung.
Marwin Hitz, Michael Lang, Fabian Frei oder auch Taulant Xhaka sollen das Team mit ihrer Erfahrung führen. Doch die Routiniers spielen aktuell, wenn sie denn nicht gesperrt sind, auch nicht so, wie sie sich das selber wünschen. Ohne funktionierende Achse tun sich auch die neuen Spieler und hochgezogenen Junioren schwer.
Vielen Problemen liegt die finanzielle Situation zugrunde. Das strukturelle Defizit beläuft sich gemäss CEO Chris Kauffmann im Jahr 2023 immer noch auf rund 15 Millionen Franken. Zwar erklärt der für die Finanzen zuständige Verwaltungsrat Andreas Rey: «Dank den Transfers im Sommer 2023 wird der FCB Stand heute in diesem Jahr auch ohne Teilnahme an der Conference League plus minus durchkommen.» Er betont aber auch, dass weiter gespart werden muss. Denn anders als in Lugano, Genf oder Zürich wollen die Verantwortlichen in Basel das Defizit nicht aus der eigenen Tasche zahlen.
Rey kündigt deshalb an: «Der grosse Apparat, der in der Vergangenheit aufgebaut wurde, muss noch weiter optimiert werden.» Doch in einem regressiven Umfeld ist es schwer, sportlich erfolgreich zu sein. Ohne das Schaufenster Europacup ist zudem die Wertsteigerung der Spieler geringer, was dann im Geschäftsjahr 2024 Konsequenzen haben könnte.
Bei allen Problemen gibt es aber aus folgenden drei Gründen Anlass zur Hoffnung, dass der FCB die sportliche Talsohle erreicht hat und es schon bald aufwärtsgeht.
David Degen und seine neuen Mitstreiter haben in den vergangenen zwei Jahren jeden Stein umgedreht und sämtliche Schlüsselpositionen im Klub mindestens einmal ausgetauscht. Jetzt ist man gewillt, Konstanz reinzubringen. Rey erklärt: «Wir sind überzeugt, dass wir bis Ende 2024 den Klub so aufgestellt haben werden, dass alle Fehler der Vergangenheit aufgeräumt sind. Dann kommt der Klub wieder dahin, wo er hingehört.» Die Frage ist nur, wie lange die Geduld der Verantwortlichen ist, wenn sich der sportliche Erfolg nicht bald einstellt.
Rund 35 Millionen Franken hat der FC Basel in diesem Sommer an Ablöse eingenommen. Und auch, wenn für Neuverpflichtungen, Kaufoptionen und Weiterbeteiligungen bereits die ein oder andere Million wieder ausgegeben wurde, hat der FCB immer noch Gelder übrig, um Verstärkungen zu verpflichten. Diese sollen gemäss Trainer Schultz die Abgänge gleichwertig ersetzen. Dem Trainer obliegt dann die Herkulesaufgabe, die Verstärkungen in den vorhandenen Kader zu integrieren und eine erfolgreiche Mannschaft zu formen.
Erstmals seit 2020 hat der FC Basel die Gruppenphase eines Europacups verpasst. Das gibt Trainer Timo Schultz Zeit, mit seinem Team am Spiel zu feilen und sich zu finden. Zeit, welche die Trainer vor ihm nicht hatten. In der Saison 2018/19 verpasste der FCB ebenfalls die Gruppenphase. Im Dezember revoltierte das Team gegen Marcel Koller, doch sechs Monate später feierte man zusammen den Cupsieg, den bisher letzten Titel in Basel.