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Leben als Fussballer – erst die grosse Karriere, dann der tiefe Fall

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Wie schon zu seiner Aktivzeit gerät Jermaine Pennant auch nach seinem Karriereende immer wieder in die Negativ-Schlagzeilen.bild: imago-images.de

Leben als Fussballer – erst die grosse Karriere, dann der tiefe Fall

Es klingt wie ein Märchen: Fussballstars sind gefeierte Helden, verdienen Millionen und müssen sich um nichts kümmern. Doch wenn die Karriere vorbei ist, beginnt oft erst das Lebensdrama. 
06.12.2020, 16:55
Benjamin Zurmühl / t-online
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t-online

Und plötzlich ist alles vorbei. Gestern noch, am 30. Juni 2016, war er ein gefeierter Fussball-Star. Einen Tag später, am 1. Juli, ist er «nur» noch ein Ex-Profi: Die Rede ist von Emile Heskey. Mit dem Tag, an dem seine Karriere vorbei war, war der Engländer auf sich allein gestellt. «Ich war dafür bereit, dass meine Fussballkarriere vorbei war. Ich war aber nicht darauf vorbereitet, was danach kommen sollte. Ich hatte keinen Plan», sagt der Brite gegenüber t-online.

Inzwischen ist er als TV-Experte und als Botschafter von Leicester City im Einsatz, macht dazu einen Master-Studienkurs für Nationalspieler bei der UEFA. Doch nicht jeder schafft es, sich nach der Karriere zu fangen, berichtet der 42-Jährige: «Im Fussball wird dir gesagt, was du wie zu tun hast. Wenn du den Fussball verlässt, musst du anfangen, selbst zu denken. Das wird dir nicht beigebracht.»

Was für «normale» Bürger unglaubwürdig klingt, ist die Wahrheit. Hinter den grossen Stars, die man im Stadion oder im Fernseher anhimmelt, stecken Menschen, die alles andere als perfekt sind, die auch ihre Ängste und Sorgen haben. Doch im Fussball müssen sie funktionieren, vor allem auf dem Top-Level wie der Premier League oder der Bundesliga. Alles ist auf die Leistung ausgerichtet. Deswegen sollen alle anderen Aufgaben, sei es Wäsche waschen oder Essen machen, minimiert werden. 

Heskey bestätigt das: «Nehmen wir das Zubereiten von Frühstück. Das ist das Simpelste überhaupt und ist trotzdem für einige Ex-Profis eine schwierige Aufgabe. Sie mussten es ja vorher nie machen.»

«Man kann nach dem Karriereende in ein tiefes Loch fallen»

Das Zubereiten von Frühstück ist aber noch das kleinste Problem, mit dem der ein oder andere ehemalige Fussballer zu kämpfen hat. «40 Prozent der Ex-Profis gehen innerhalb von vier Jahren nach dem Karriereende bankrott. In der NFL (der grössten Liga im American Football, Anm. d. Red.) sind es sogar 70 Prozent. Dazu geht bei einem Drittel innerhalb von einem Jahr die Ehe kaputt», sagt Heskey und verweist damit auf Studienergebnisse, die bereits seit vielen Jahren vorliegen. Dazu kommen weitere Gefahren wie Depression und Burnout, mit denen einige Ex-Spieler zu kämpfen haben.

Und das sind keine Probleme, die nur auf den englischen Fussball zutreffen. Auch in Deutschland ist das Alltag. «In Gesprächen mit Ex-Kollegen höre ich häufig Aussagen wie: ‹Krass, wie viele Spieler sich nach der Karriere von ihrer Partnerin trennen beziehungsweise umgekehrt›», sagt Jan Rosenthal, langjähriger Bundesliga-Profi und Mittelfeldspieler von Hannover 96, dem SC Freiburg und Eintracht Frankfurt gegenüber t-online.

May 27, 2017 - Hong Kong, Hong Kong SAR, China - Emile Heskey signs autographs and poses for selfies. PlayonPros vs KCC Veterans.2017 Hong Kong Soccer Sevens at the Hong Kong Football Club Causeway Ba ...
Emile Heskey muss noch immer für Fan-Fotos posieren.Bild: imago sportfotodienst

Und der 34-Jährige hat auch eine Erklärung dafür parat: «Man kann nach dem Karriereende in ein tiefes Loch fallen, und es kommen ganz andere Seiten des eigenen Wesens ans Tageslicht, sobald der durchgetaktete Fussball-Alltag aufhört und die körperliche Spannung abfällt. Für die Partnerin ist das alles verständlicherweise oft schwer nachvollziehbar. Sie hat auch gewisse Erwartungen an den Partner, nachdem man ihn jahrelang unterstützt und selbst zurückgesteckt hat. Dann ist es für die Frau nicht einfach, die notwendige Geduld aufzubringen, dass der Partner in seinem neuen Leben ankommt. Oder der Partner schafft dies auch einfach nicht. Daran zerbrechen einige Beziehungen.» 

In solch ein tiefes Loch ist Benedikt Höwedes, der im Juli 2020 seine Karriere als Fussballprofi beendete, zwar nicht gefallen. Doch er hat es bei anderen Ex-Teamkollegen miterlebt: «Als Fussballer wird man während seiner Karriere weitestgehend angehimmelt. Man hat eine stetige Aufmerksamkeit. Ist permanent Thema in den Medien und bekommt auch auf den Social-Media-Plattformen viel Feedback. Wenn die Karriere vorbei ist, endet das ziemlich abrupt. Der Applaus hört auf, niemand skandiert mehr deinen Namen. Das ist ein komisches Gefühl, auf das man meines Erachtens Spieler vorbereiten sollte», so er deutsche Weltmeister von 2014.

Plötzlich Hartz IV

Zerbrechende Beziehungen sind das eine, finanzielle Schwierigkeiten das andere. Immer wieder berichten selbst hochkarätige Ex-Fussballer von Schulden oder gar der Pleite. Der ehemalige deutsche Nationaltorhüter Eike Immel zum Beispiel zog sogar ins Dschungelcamp ein , um aus dem Minus zu kommen, berichtete vor wenigen Jahren die «Bild». Ausseredem soll er auch Hartz IV beantragt haben.

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Eike Immel feierte in diesem Herbst seinen 60. Geburstag.Bild: DPA

Auch Jan Rosenthal kennt Spieler, die nach ihrer Karriere finanzielle Probleme bekamen: «Dein Lebensstil ist so ausgelegt, dass monatlich viel Geld auf das Konto kommt. Das ist nun nicht mehr der Fall, und es ist für die meisten Ex-Spieler schwierig, ihren Lebensstil entsprechend anzupassen und die Ausgaben runterzuschrauben.»

Ein Zustand auf den Benedikt Höwedes ebenfalls aufmerksam macht: «Nach der aktiven Fussball-Karriere haben Spieler noch 30, 35 Jahre vor sich, die sinnvoll bis zur Rente genutzt werden können und sollten. Nur Wenige haben finanziell ausgesorgt. Gerade Fussballer, die in der 2. oder 3. Liga gespielt haben. Nicht jeder möchte für den Rest seines Lebens nur auf dem Sofa hocken.»

Ein mahnendes Beispiel aus England

All diese Bereiche, Finanzen, Beziehungen und Depressionen, sind im Fussball noch zu selten Thema. «Es wird kaum darüber gesprochen. Man baut einen Schutz um sich herum auf und will nicht darüber reden, was passiert», erklärt Emile Heskey.

Dabei hängen an diesen Problemen die Schicksale zahlreicher Spieler. Denn auch wenn sie gerne nur als «Millionäre» betitelt werden, sind Fussballprofis in erster Linie nur eines: Menschen. Gerade im jungen Alter sind sie mit Summen und Veränderungen konfrontiert, die für den gewöhnlichen Bürger kaum vorstellbar sind. Als Beispiel nennt Emile Heskey den ehemaligen englischen Junioren-Nationalspieler Jermaine Pennant.

Die hohen Erwartungen an seine Karriere konnte Pennant nie erfüllen. Zu einem Einsatz in der englischen Nationalmannschaft kam es nicht, auch wenn damit zu Beginn seiner Karriere alle Experten und Journalisten fest rechneten. «Er ist mit 15 Jahren zu Arsenal gewechselt. Er zog als Kind nach London, um dort zu leben. Plötzlich verdiente er statt 200 Pfund pro Woche 15'000 Pfund pro Woche. Wer hat ihm in solch einer Situation geholfen?» Die Antwort gibt Heskey selbst: niemand. Und das möchte er ändern.

«Wer hat Deisler geholfen?»

Denn vor wenigen Wochen gründete Emile Heskey zusammen mit weiteren Premier-League-Legenden wie Gaizka Mendieta, Stilian Petrov oder Neil Meredith eine Organisation namens «Player4Player», die Fussballspielern genau bei diesen Problemen helfen will. Sei es bei der Finanzplanung, privaten Probleme – oder der Planlosigkeit nach der Karriere, mit der auch Heskey zu kämpfen hatte. «Es wird immer davon geredet, dass alle Trainer werden wollen. Was, wenn du lieber Analyst werden willst? Oder Sportdirektor? Genau da setzen wir an und leisten Hilfe. Nur, weil du Fussball gespielt hast, hast du nicht automatisch Ahnung davon. Du musst dich weiterbilden und lernen.»

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Nicht jeder ist ein Gennaro Gattuso.Bild: keystone

In erster Linie will «Player4Player» den Spielern aber nichts abnehmen, sondern sie begleiten und betreuen, die Selbstständigkeit fördern. Als Ex-Profis seien sie vertrauensvoller als manch windige Finanzberater, die Spieler nur ausnutzen wollen, so Heskey. In vielen Fällen geht es aber auch einfach darum, ein offenes Ohr für die Klienten zu haben.

Ängste sollen ausgesprochen werden. Das fällt leichter bei Personen, die das gleiche durchgemacht haben, meint Heskey. «Ich musste an Sebastian Deisler denken. Ich habe mehrmals gegen ihn mit der Nationalmannschaft gespielt. Er war in meinem Alter, bekam Depressionen. Wer hat ihm in seiner aktiven Zeit geholfen, ihn jeden Tag begleitet, war für ihn da? Genau das hat ihm doch gefehlt. Als Fussballer lebst du in einer Blase, aus der du nicht herauskommst. Manchmal musst du aber raus, damit dein Kopf mal eine Pause machen kann und du auf andere Gedanken kommst. Wenn du dich die ganze Zeit nur auf Fussball fokussiert, zerfrisst dich das.»

Sebastian Deisler of German Bundesliga club FC Bayern Munich gestures after a press conference in Munich, Germany, Tuesday, 16 January 2007. German international Deisler announced his immediate retire ...
Wegen Depressionen trat Sebastian Deisler bereits mit 27 Jahren zurück.Bild: EPA

Sind auch die Klubs in der Pflicht?

Aktuell fokussiert sich «Player4Player» auf die Premier League. Noch ist die Organisation erst in England aktiv. Doch auch in Deutschland laufen bereits die Planungen für ein solches Konzept. An der Spitze: Jan Rosenthal. «Ich möchte in eine ähnliche Richtung für Profis in Deutschland gehen und bin dazu bereits mit einigen Leuten in Kontakt. Ich möchte Spielern helfen, ihr Leben nach der Karriere auf einem soliden Fundament aufzubauen. Viele Berater beraten ihre Profis solange, wie sie von wirtschaftlichem Nutzen sind. Das hört mit dem Karriereende auf. Dabei werden besonders danach eine gute Begleitung und Beratung wichtig.»

Auch Rosenthal ist offen für Unterstützung, so wie bei «Player4Player»: «Ehemalige Spieler, die Interesse haben, an so einem Projekt mitzuwirken, können sich gern bei mir melden.»

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Jan Rosenthal will helfen.Bild: imago sportfotodienst

Doch nicht nur externe Organisationen können bei der Problemlösung helfen. Auch die Vereine könnten die Situationen für die Spieler vereinfachen, sie für einige Themen sensibilisieren. Dieser Ansicht ist zumindest Benedikt Höwedes: «Ich fände es sinnvoll, wenn es Fortbildungs-Angebote in Klubs gäbe, um sich freiwillig auf die Zeit danach vorzubereiten. Das können klassische Bildungs-Themen sein, Sprachen, Fernstudien, die in Kooperation mit der DFL stattfinden. Oder aber auch im Bereich Finanzen, um Bewusstsein dafür zu schaffen, dass irgendwann erst mal kein regelmässiges Gehalt kommt – und man entsprechend bewusst darauf vorbereitet ist.»

Denn nur wenn diese grundlegenden Probleme angegangen werden, kann der tiefe Fall vieler Fussballer abgefedert werden. 

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7 Kommentare
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schneeglöggli
06.12.2020 17:12registriert Februar 2016
In der Schweiz gibt es ja mit dem Athletes Network von Beni Huggel, Severin Blindenbacher und Niels Hintermann ja schon so etwas ähnliches. Nicht nur für Fussballer, sondern für alle Athleten. Sie habe auch Partnerschaften z.B. mit dem EV Zug.
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Liebu
06.12.2020 18:48registriert Oktober 2020
Geht vielen, die Pensioniert werden, auch so. Arbeiten bis zum letzten Tag, haben danach auf einmal viel Zeit und keine Hobbys.
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RandomToaster
06.12.2020 18:47registriert April 2020
Habe das Buch von Deisler gelesen. Ist extrem eindrücklich und jedem zu empfehlen, den
das Thema interessiert.
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