Er kann einem Zebra nicht die Streifen wegzaubern. Er kann auch nicht einen Esel in ein Rennpferd verwandeln. Aber Magie steckt gleichwohl in der Arbeit von Andy Schmid, der erst vor zehn Monaten den Job als Handball-Nationaltrainer übernommen hat. Jedenfalls legt er bereits seine Meisterprüfung ab, indem er die Schweiz an der WM in der schwierigsten Gruppe in die Hauptrunde führt.
30:28 gewinnt die Schweiz ihr drittes Gruppenspiel gegen Polen und kämpft in der Hauptrunde gegen Italien, Tunesien und Gastgeber Dänemark, das die letzten drei Weltmeisterschaften gewann, um den Einzug in die Viertelfinals. Wobei die Chancen der Schweizer äusserst gering sind, einen der ersten zwei Plätze in der 6er-Gruppe zu erreichen, weil sie mit drei Punkten weniger startet als Deutschland und Dänemark. Aber das ist momentan nicht das vordringliche Thema.
Eigentlich hatte Andy Schmid geplant, die vergangene Saison als Spieler zu beenden. Aber ein unmittelbar vor der EM 2024 erlittener Muskelfaserriss torpediert diesen Plan. Schmid gab seinen Rücktritt und beerbte vier Monate früher als geplant Michael Suter, seinen langjährigen Trainer im Nationalteam.
Vor Suter war die Nati ein Jahrzehnt lang eine bessere Hobbytruppe. Es gab nur vereinzelte Spieler wie Bundesliga-Star Schmid oder Torhüter Nikola Portner, die den Sport als ihren Beruf betrachteten. Die Leistungskultur war derart pitoyabel, dass Schmid zwischenzeitlich auf lustige aber ambitionslose Zusammenzüge verzichtete. Und die Nati war von einer Endrunden-Teilnahme so weit entfernt wie ein armenischer Skifahrer vom Lauberhorn-Sieg.
Suter gelang es, den Schweizer Handball aus dem Dämmerzustand zu befreien, den Mief des Feierabendsports zu vertreiben, führte die Mannschaft 2020 erstmals nach 13 Jahren an eine EM. Als er Schmid im Frühjahr 2024 übergab, war die Nati ein Team, das etwa zur Hälfte aus Auslandprofis bestand und durchaus die Qualität aufwies, sich regelmässig für Endrunden zu qualifizieren.
Schmid hat das Erbe indes nicht nur verwaltet, sondern weiterentwickelt. Dabei ist die aktuelle Mannschaft individuell nicht wirklich besser besetzt. Vor einem Jahr war Schmid selbst noch ein Spieler, der regelmässig zwischen sechs und zehn Tore erzielte. Aber nicht nur sich selbst musste der Trainer Schmid ersetzen – sondern auch sein Alter Ego Manuel Zehnder.
Zehnder hat für diese Mannschaft etwa die gleiche Bedeutung, wie sie Schmid als Spieler hatte. Er ist ein Genie, das aus aussichtslosen Situationen Tore erzielen kann. Einer auch, der Spiele quasi im Alleingang entscheidet. Doch 13 Tage vor dem WM-Auftaktspiel erleidet Zehnder einen Totalschaden im linken Knie.
Natürlich hadert Schmid und spricht davon, dass «sechs bis acht Wochen Arbeit für die Mülltonne» sind. Aber er sucht nach Lösungen und findet diese. Personell im erst 21-jährigen Felix Aellen und im 23-jährigen Mehdi Ben Romdhane. Taktisch, indem er dem Team ein variantenreicheres Angriffsspiel vermittelt, die Verantwortung breiter verteilt, jedem schier grenzenloses Vertrauen schenkt und er aus Lenny Rubin alles herauskitzelt, was in diesem 2,05-Meter-Hünen drinsteckt.
Ja, Rubin hat an dieser WM ein Erweckungserlebnis. In den drei Spielen gelingen ihm nicht nur 20 Treffer, er etabliert sich auch als Frontmann und Taktgeber. Aber nicht nur Rubin entzückt. Erstaunlich ist auch, wie schnell die vielen jungen Spieler – die Schweiz stellt das jüngste Team der WM – lernen. Ein Felix Aellen beispielsweise, der mit seinem Tempo und seiner Unerschrockenheit beeindruckt. Oder ein Gino Steenarts, 19, der im zweiten Spiel gegen Deutschland drei dicke Chancen versiebt, gegen Polen aber mit allen vier Abschlüssen erfolgreich ist. Oder ein Noam Leopold, 22, der auf dem linken Flügel als Nummer 2 in die WM startet, nun aber der abgezockteste Akteur des Schweizer Teams ist und gegen Polen fünf teils atemberaubende Tore erzielt.
Andy Schmid meint: «Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich sei ausschliesslich stolz auf die Spieler. Ein bisschen stolz darf ich auch auf mich und mein Trainerteam sein, weil wir mutig sind, während einer Partie Dinge verändern, die auch das Spiel zu unseren Gunsten verändern. Ja, ich kann sagen: Wir waren in allen drei Spielen die bessere Mannschaft. Auch gegen Deutschland.»