Frankreich hat gerade die höchste Terror-Alarmstufe ausgerufen. Nach dem jüngsten Anschlag in Moskau hat die Sicherheit bei den Olympischen Spielen in Paris (26. Juli bis 11. August) absolute Priorität.
Noch vor Olympia steigt in Deutschland die Fussball-Europameisterschaft. Los geht's am 14. Juni. Und wie im westlichen ist auch im nördlichen Schweizer Nachbarland die Stimmung angespannt: Die Deutsche Innenministerin Nancy Faeser hat zum Turnier bereits Grenzkontrollen angekündigt.
Wie (un)sicher sind Stadien und Fanmeilen in Deutschland? Müssen sich Nati-Fans, die das Team vor Ort unterstützen, Sorgen machen? Ein Interview mit Benjamin Jendro, Sprecher der Berliner Polizeigewerkschaft.
Nach dem Anschlag in Moskau, vor der EM in Deutschland – was kann man über das Sicherheitskonzept in Deutschland sagen?
Benjamin Jendro: Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Das klingt besorgniserregend. Aber die Sicherheitsbehörden werden bestmöglich in die Europameisterschaft gehen. Die Vorbereitungen laufen seit der Vergabe und werden stetig auch mit Blick auf gesetzliche und technische Möglichkeiten, aber auch globale Ereignisse wie Terror- oder Amoktaten angepasst. Das ist der grundsätzliche Rahmen. Dennoch reden wir über dynamische Lagen, die auch während der Spiele immer wieder eine flexible Sicherheitsarbeit erfordern.
Was versteht man unter einer «dynamischen Lage»? Und wie geht die Polizei damit um?
Jede Versammlungs- und Veranstaltungslage ist dynamisch, weil niemand vorhersehen kann, was genau Menschen machen, wie sie sich verhalten und bewegen. Wir brauchen uns nicht in Tasche lügen: Du kannst es nur bedingt verhindern, wenn sich Terroristen auf der Fanmeile unter Fans mischen. Das erfordert flexible polizeiliche Massnahmen, schnelle Handlungs- und Reaktionsfähigkeit. Die komplette EM wird uns vor Herausforderungen stellen, die sich im Turnierverlauf völlig anders darstellen können, als man es sich jetzt ausmalt.
Haben Sie ein Beispiel?
Es gibt ganz einfache Faktoren: Wie ist das Wetter? Wie weit kommt die deutsche Nationalmannschaft? Welche Paarungen ergeben sich aus dem Spielplan? Das kann Auswirkungen auf unsere Arbeit haben. Aber auch: Gibt es einen Anschlag in einem anderen europäischen Land, hat das ebenfalls Einfluss auf die EM.
Welche Rolle spielen die Konflikte in der Ukraine, deren Team an der EM dabei ist, und in Israel?
Wenn Herr Putin was Neues aus dem Köcher holt oder sich die Lage in Gaza durch ein plötzliches Ereignis ändert, kann das auch Auswirkungen haben. Dann haben wir vielleicht andere Versammlungen in Berlin und womöglich noch andere Lagen. Das Leben jenseits des Fussballs wird von Juni bis Juli ja nicht Pause machen. Es kann in der Theorie vieles passieren: eine Zuspitzung des Konflikts zwischen zwei Clans, eine populistische Politiker-Forderung, ein grosser Stromausfall. Die Polizei Berlin ist erfahren genug, um auf etwaige Szenarien bestmöglich zu reagieren und Antworten auf Lagen zu finden.
Und wie findet der Terroranschlag bei Moskau Berücksichtigung?
Leider war das ja kein neues Szenario. Wir haben den Anschlag im Bataclan erlebt, wir hatten schon Bombendrohungen auch für ein Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft. Fussballspiele sind wie Konzerte weiche Anschlagsziele, weil du auf engem Raum viele Menschen hast und das für Terroristen oder Amoktäter so einfacher ist, binnen kurzer Zeit möglichst viele Menschen zu töten. Deshalb gibt die UEFA als Veranstalter auch Sicherheitsmassnahmen vor. Zum Beispiel, dass Plätze, an denen Fantreffs sind, durch Überfahrtenschutz wie Poller gesichert werden. Grundsätzlich ist es ein enger Austausch zwischen Veranstalter und Sicherheitsbehörden, die beraten und auch aus ihrer staatlichen Aufgabe heraus Massnahmen ergreifen.
Ist die Fanmeile in diesem Jahr unsicherer als in anderen Jahren?
Wir sprechen von objektiver und subjektiver Sicherheitswahrnehmung. Objektiv haben wir anders als 2006 heute ganz andere terroristische Bedrohungsszenarien. Wir haben einen Krieg mitten in Europa, in Afghanistan haben sich die Taliban wieder ausgebreitet, die Lage in Gaza ist weiterhin ein Pulverfass, das sich auch auf deutschen Strassen wiederfindet. Es gibt schon globale Phänomene, die wir mit Sorge betrachten. Aber die Polizei wird ihr Bestmögliches tun, um Grossereignisse wie die Fanmeilen optimal zu schützen, damit wir alle die EM 2024 als das erleben können, was wir uns alle wünschen – ein tolles verbindendes Sportereignis mit einem Gastgeber als Turniersieger.
Wie sicher sind die deutschen Stadien zur EM?
Erst einmal sind deutsche Fussballstadien in einem guten baulichen Zustand, was nicht in jedem Land so ist. Die Sicherheitsmassnahmen werden noch mal höher sein als bei einem Bundesligaspiel. Die Spiele werden sicher sein.
Wer unterstützt die Polizei bei der EM?
Die Polizei Berlin ist insbesondere mit Blick auf die EM mit den anderen Landespolizeien, dem BKA, der Bundespolizei, der Justiz, dem Verfassungsschutz, den Bezirken und Nachrichtendiensten im Austausch, natürlich auch mit Politik, UEFA und anderen Beteiligten. Natürlich wird im Olympiastadion ebenso wie bei Side-Events und Veranstaltungen auch Sicherheitsdienst vor Ort sein.
Geplant sind Grenzkontrollen zur EM. Was bringen die wirklich?
Die bringen schon was bei einem interkontinentalen Ereignis. Wir leben in einer Welt, in der man schnell von A nach B kommt. Das gilt auch für Straftäter und Extremisten.
Frankreich fährt die Sicherheitsmassnahmen jetzt vor Olympia hoch. Sollte es Deutschland vor der EM genauso machen?
Frankreich ist unser engster Verbündeter, aber wir müssen nicht alles so machen wie Frankreich. Wenn Präsident Macron Kenntnisse über konkrete Gefährdungslagen seines Volkes hat, also konkrete Hinweise auf geplante Anschläge, muss er so handeln. Nach unserer Kenntnis gibt es die momentan in unserem Land nicht.
Steht Berlin als Metropole nicht ohnehin im Fokus?
Ja, na klar. Wir haben in einer internationalen Metropole wie Berlin eine hohe abstrakte Gefahr. Wir konnten in der Vergangenheit, zum Beispiel nach den verheerenden Anschlägen in Frankreich oder auch bei uns sehen, dass ähnliche Massnahmen in Deutschland ergriffen werden. Aktuell sollte man aber auch wissen, dass Frankreich allein aufgrund der Bevölkerungszusammensetzung, der eigenen Kolonialgeschichte und Historie nochmal eine ganze andere Bedrohung durch islamistische Terroristen hat als wir. Schaut man sich die Anschläge in den letzten Jahren an, sieht man Täter, die allesamt in Frankreich gross geworden sind oder lange dort gelebt haben.