Eigentlich hätte der Auswärtssektor im Kybunpark am vergangenen Montag leer bleiben müssen. Dies, weil es vor knapp einem Jahr Ausschreitungen gab, als der FC St.Gallen beim FC Luzern spielte. Doch es kam anders: Weil zwischen 500 und 800 Fans der Zentralschweizer anreisten – viele von ihnen mit einem Ticket für den Sektor neben dem Auswärtsblock, wo in der Regel viele Familien sitzen –, öffnete die Polizei den Gästesektor, um zu verhindern, dass Luzerner Fans auf St.Galler Zuschauer treffen.
Sie befeuerte damit eine Debatte, die gerade ohnehin ziemlich heftig tobt. Nämlich die, wie man hierzulande mit Fussballfans umgehen soll.
Und bei alledem war es einem, als hätten die Fans im ständigen Katz-und-Maus-Spiel mit den Behörden nun obsiegt. Im Sinne von: Auch wenn der Gästesektor gesperrt wird, müssen nur ein paar hundert Fans trotzdem kommen, dann wird der Sektor geöffnet. Hat man in St.Gallen also vor den Fans kapituliert?
«Nein», sagt die St.Galler Stadträtin Sonja Lüthi (GLP), welche die Direktion Soziales und Sicherheit führt und damit letztlich verantwortlich ist für das, was sich am späten Montagnachmittag im Westen der Stadt abspielte. Sie sagt: «Ziel von solchen Massnahmen ist es ja, dass Fussballspiele in einem sicheren Rahmen stattfinden können. Da macht es wenig Sinn, an einer Massnahme festzuhalten, die in dieser konkreten Situation zu einer Gefährdung von Dritten führen würde.»
Lüthi erklärt zudem, wie es zur Öffnung des Gästesektors kam. Da und dort wurde gemutmasst, sie habe längst festgestanden, schliesslich sei sofort der Imbissstand des Gästesektors in Betrieb genommen worden. Laut Lüthi aber ist der Entscheid erst um 16.12 Uhr gefällt worden, 18 Minuten vor Anpfiff also. Sie bestätigt, dass es der FC St.Gallen war, der «um eine Freigabe des Gästesektors ersucht» habe, was sie hinsichtlich der Sicherheit als «vernünftig und verhältnismässig» erachtete.
Lüthi ist keine Hardlinerin, sie machte sich in der Vergangenheit für den Dialog mit den Fans stark. Reden statt Repression. Heute sagt sie:
In erster Linie sei der Fussballclub für die Sicherheit im Stadion verantwortlich. «Welche Massnahmen das konkret sind, diskutieren wir in einem ersten Schritt nun mit den Verantwortlichen des FC St.Gallen.»
Der FC St.Gallen seinerseits meldet sich erst am frühen Dienstagabend zu Wort – in Form einer Stellungnahme, die der Klub auf seiner Website veröffentlicht. Darin verteidigt er sich dafür, den Gästesektor geöffnet zu haben: Das Aufeinandertreffen im Februar habe gezeigt, «dass auch Ticketrestriktionen nicht verhindern können, dass Gästefans Tickets in anderen Sektoren erwerben».
Damals kauften die St.Galler Fans in Luzern Tickets vom Sektor neben dem Gästeblock und unterstützten ihr Team von dort aus. Der Klub hält ausserdem fest:
Bei der besagten Faninformation handelt es sich um ein Schreiben, das sich an die Fans der Luzerner richtete. «Keine geschlossene Anreise von mehr als zehn Personen», schrieb die Stadtpolizei zum Beispiel. «Werden diese Punkte nicht eingehalten, behalten wir uns weitere Massnahmen vor.»
Laut FC St.Gallen hat der Montag vor Augen geführt, «dass Sektorschliessungen, speziell in Stadien mit einer hohen Auslastung, keine wirkungsvollen Massnahmen zur Förderung der Sicherheit aller Fans im Stadion darstellen». Der Klub zählt auf: unklare Reisewege, ungewisse Anzahl an Gästefans, nicht vorhersehbares Fanverhalten, all das erschwere die Trennung der Fangruppe innerhalb und ausserhalb des Stadions.
Die Vorkommnisse in St.Gallen kommen zu einem heiklen Zeitpunkt. Mitte März wurde bekannt, dass die Swiss Football League (SFL), welche die 22 Profiklubs vereint, beim sogenannten Kaskadenmodell, das zur neuen Saison eingeführt werden soll, nicht mehr mitmachen will. Den Klubs ist vor allem ein Dorn im Auge, dass zunehmend Sektoren geschlossen werden sollen – so, wie das nun in St.Gallen angedacht war.
Ursprünglich sollte das Kaskadenmodell ein Gemeinschaftswerk der SFL und der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) sein - mit dem Ziel, durch schweizweit einheitliche Massnahmen friedliche Fussballspiele durchführen zu können. Die KKJPD will das Modell auch ohne die Klubs durchsetzen. Es sieht vier Stufen vor, darunter Sektorsperren und Geisterspiele.
Was sagt die KKJPD nun zu den Vorkommnissen in St.Gallen? Die Fragen dazu beantwortet sie mit einer allgemeinen Stellungnahme. Man habe «zur Kenntnis genommen», dass Luzerner Fans trotz Sektorsperre nach St.Gallen gereist sind. «Wir bedauern dies und gehen davon aus, dass weitere Massnahmen folgen werden.»
Welche Massnahmen das sein könnten, dazu sagt die KKJPD auf Nachfrage nichts, weil das Sache der jeweiligen Bewilligungsbehörde sei. Sie sei es, die Massnahmen anordnen könne, nicht die KKJPD, welche gegenwärtig am Feinschliff des Kaskadenmodells arbeitet. «Allfällige Erkenntnisse aus aktuellen Ereignissen wie beispielsweise dem Spiel in St.Gallen werden dabei berücksichtigt.»
In Luzern ist man jedenfalls wenig überrascht vom Vorgehen der Gästefans in St.Gallen. Markus Krienbühl, Mediensprecher des FC Luzern, sagt:
Laut Fabian Achermann, Stellenleiter der Fanarbeit Luzern, deckt sich dieses Verhalten «mit den schweizweiten Erfahrungen der letzten Monate und Jahre von Spieltagen unter einschränkenden Massnahmen.»
Weiter sagt Achermann, dass Sperrungen von Gästesektoren ein Unsicherheitsfaktor seien. Auch er lobt den Entscheid der Stadtpolizei St.Gallen sowie die Verantwortlichen des FC St.Gallen. Beide Parteien hätten mit ihrem Entscheid Augenmass, Verantwortungsbewusstsein und Vernunft bewiesen.
Die Fanarbeit St.Gallen wählt weniger klare Worte. Sie versichert auf Anfrage aber, dass sie Wert darauf lege, «die aktuell verworrene Situation aufgrund der von den nationalen Bewilligungsbehörden ausgesprochenen Massnahmen» mit Politik, Polizei, Fans und Verein ausgiebig zu diskutieren und aufzuarbeiten. Die Fanarbeit St.Gallen werde sich in den nächsten Tagen zu den möglichen weiteren beschlossenen Massnahmen äussern.
Gewinner gibt es an diesem Ostermontag eigentlich keine, auch nicht die Luzerner Fans. Die haben zwar ihre Macht demonstriert, aber eben auch viel Unverständnis geerntet. Zu denen, die am wenigsten verloren haben, gehört die SFL. Sie muss sich zwar wieder einmal damit herumschlagen, dass es im Zusammenhang mit einem Fussballspiel negative Schlagzeilen gibt. Aber in ihrer Ablehnung des Kaskadenmodells dürfte sie sich durchaus bekräftigt sehen.
Claudius Schäfer ist der CEO dieser SFL. Als er Mitte März in Bern begründete, warum die Schweizer Klubs das Kaskadenmodell ablehnen, zerpflückte er dieses regelrecht – als unverhältnismässig, nicht zielführend, einseitig auch. Jetzt gibt er sich betont zurückhaltend. Schäfer sagt, er kenne die Details zum Spiel in St.Gallen nicht. Die generelle Haltung der SFL bezüglich behördlich verfügter Sektorsperrungen sei aber bekannt. Und: «Ich möchte kein Öl ins Feuer giessen.»
In jener Version des Kaskadenmodells, die ab der nächsten Version definitiv eingeführt werden soll, ist bei Sektorensperrungen auch vorgesehen, dass der Ticketverkauf sofort gestoppt wird. Das soll verhindern, dass Fans wie in St.Gallen auf andere Sektoren ausweichen. Ob sie sich so davon abhalten lassen, anzureisen, ist eine andere Frage.
Sicher aber ist: Für die Klubs könnte das teuer werden. Der Entscheid, die Sektoren der Gästefans bei Spielen zwischen dem FC St. Gallen und dem FC Luzern zu sperren, fiel bereits im Mai 2023 - und damit weit vor dem Beginn des Vorverkaufs. SFL-CEO Schäfer sagt dazu:
Wie gut das Kaskadenmodell greift, wird sich dann nächste Saison definitiv zeigen. Handfeste Zweifel sind spätestens seit dem Ostermontag angebracht. Bleibt noch eine andere Frage: Wie das alles weitergeht in dieser Saison, in der sich die Situation gefühlt immer weiter zuspitzt. Droht eine Eskalation vonseiten der Fans, vonseiten der Behörden?
Claudius Schäfer gibt den Zweckoptimisten. Er glaube, sagt Schäfer, dass «letztendlich die Vernunft gewinnen» werde. Und meint damit einerseits die behördlichen Massnahmen. Und andererseits, dass die Fans sich wieder «dem Positiven zuwenden», sprich: der Hochspannung im Titelrennen, im Kampf um Plätze in der Championship Group und gegen den Abstieg.
Weg mit diesen unfähigen Entscheidungsträgern, im speziellen Karin Kayser-Frutschi, die ausgebildete Gärtnerin (kein Witz!).
- Jährlich sinkende Gewalt rund um Fussballspiele (vor allem im Stadion)
- Deutlich weniger Vorfälle, stabile bis steigende Zuschauerzahlen
Wissenschaft sagt:
- Kaskadenmodell und Kollektivstrafen sind kontraproduktiv
Fanarbeit sagt:
- Kaskadenmodell und Kollektivstrafen sind kontraproduktiv, bisherige Weg mit Dialog führte zu viel Erfolg und starker Reduktion von Gewalt
Clubs & Liga sagen:
- Kaskadenmodell und Kollektivstrafen sind kontraproduktiv und treffen die falschen
KKJPD:
- Nicht interessiert an Fakten, Meinungen oder Lösungen, nur an Populismus und Polemik.