Als er im letzten Jahr erstmals bei den Swiss Indoors Basel antrat, kam er mit der Referenz eines Turniersiegs in Stockholm. Holger Rune war ein aufregender Emporkömmling, unbeschwert, furchtlos, erfolgreich. Nun hat sich der 20-Jährige in der Weltspitze etabliert, macht aber zugleich seine erste sportliche Krise durch. Seit Wimbledon hat er nur noch eines von sieben Spielen gewonnen. Zudem kämpfte er mit kleineren Verletzungen.
Als Vorjahresfinalist steht Holger Rune in Basel dennoch im Mittelpunkt des Interesses. Nicht zuletzt wegen des Mannes, der seit wenigen Tagen und vorerst bis Ende der Saison sein Trainer ist: Boris Becker. Zwischen 2013 und 2016 eilte der 55-jährige Deutsche mit Novak Djokovic von Erfolg zu Erfolg, seither hat er kein Traineramt mehr inne und sorgte vor allem neben dem Platz für Schlagzeilen. 2022 war die ehemalige Nummer 1 der Welt wegen Steuerhinterziehung und Insolvenzdelikten zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Im Dezember 2022 kam er nach siebeneinhalb Monaten in britischer Haft wieder frei.
Boris Becker selber will sich in Basel nicht äussern. Dafür sprach sein neuer Schützling am Samstag vor Turnierbeginn über die Beziehung.
Sie standen im letzten Jahr im Finale. Mit welchen Gedanken gehen Sie Ihr zweites Swiss Indoors an?
Holger Rune: Ich habe schöne Erinnerungen an das letzte Jahr und bin gespannt, loszulegen. Natürlich ist es das Ziel, einen Schritt weiterzukommen.
Sie bestreiten hier Ihr erstes Turnier mit Boris Becker als Trainer. Können Sie uns verraten, wie es dazu gekommen ist?
Wir hatten in den letzten Jahren immer wieder Kontakt. Er hat mir auch schon davor immer wieder Ratschläge gegeben und Interesse an meiner Entwicklung gezeigt. Nun hat sich der Kontakt in den letzten Wochen intensiviert, wir haben auch gemeinsam eine Woche in Monte-Carlo trainiert. Ich bin gespannt, wie es laufen wird.
Welche Erinnerungen haben Sie an Becker als Spieler?
Ich war noch nicht geboren, als er gespielt hat. (Lacht.) Aber die Highlights sind grossartig. Ich habe viele Ballwechsel von ihm im TV gesehen. Er ist ein grossartiger Spieler, mit starkem Aufschlag und war sehr dynamisch auf dem Platz. Ich hoffe, dass ich beim Aufschlag und beim Return von ihm lernen kann. Dort kann ich mich verbessern.
Wie würden Sie ihn neben dem Platz beschreiben?
Er ist ein sehr netter Typ, sehr ruhig. Und es ist spannend, sich mit ihm zu unterhalten.
Becker war Trainer von Novak Djokovic. Kann er Ihnen Tipps geben, ihn zu besiegen?
Sicher. Es ist grossartig, von Spielern wie Novak, Rafael Nadal oder Roger Federer zu lernen und ihnen Dinge abzuschauen. Denn sie machen sehr viele Dinge richtig. Boris hat in den drei Jahren mit Novak unglaublich viel erreicht. Er hat diese Erfahrung als Trainer, aber eben auch als Spieler. Ich bin gespannt, wie er das alles sieht.
Sie haben bereits eine Woche mit Boris Becker in Monte Carlo trainiert. Was hat er Ihnen geraten?
Ich will nicht zu viel verraten, was mein Spiel betrifft. Er hat mir definitiv ein paar Dinge beigebracht, die sehr grundlegend und sehr wichtig für das Spiel sind.
Passen Sie und Boris Becker charakterlich gut zusammen?
Bisher schon. (Lacht.) Wir hatten ein paar gute Mittagessen zusammen, wo wir über Tennis und andere Dinge gesprochen haben. Ich mag ihn, er versteht mich als Spieler und als Mensch. Aber Boris ist nicht hier, um mich zu ändern. Er ist hier, um mich zu verbessern. Ich glaube, dass ihm das gelingt.
Boris Becker hat eine harte Zeit hinter sich. Nach seiner Verurteilung wegen Steuerhinterziehung kann er aktuell nicht in England einreisen. Haben Sie das bedacht, bevor Sie ihn engagiert haben?
Nein, aber ich kenne die Problematik. Ich denke, dass es kein Problem ist, wenn Boris in Wimbledon nicht in der Box sitzt, da er im Anschluss wieder 25 Turniere an meiner Seite sein kann. Auch wenn ich mir natürlich wünschen würde, wenn mein Coach immer live dabei ist.
Im letzten Jahr lief es grossartig. Doch seit Wimbledon haben Sie nur noch eines von sieben Spielen gewonnen. Was ist passiert?
Nichts eigentlich. Ich schaue nicht zurück, nur nach vorne. Was in der Vergangenheit liegt, können wir nicht kontrollieren. Ich mache das gleiche wie im letzten Jahr. Es geht darum, sich auf dieses Turnier zu konzentrieren und das Tennis zu spielen, das ich spielen will.
Also gab es keine Evaluation?
Doch, natürlich. Aber jetzt ist nicht der Zeitpunkt, zurückzublicken. Jetzt spiele ich die Swiss Indoors.
Sie hatten einige bemerkenswerte Aufeinandertreffen mit Stan Wawrinka. Er nannte Sie ein Baby, weil Sie sich auf dem Platz nicht gut benommen hatten, Sie revanchierten sich verbal beim nächsten Aufeinandertreffen. Wie ist die Beziehung zur Schweizer Nummer 1 unterdessen?
Eigentlich ziemlich gut. Wir trainieren später zusammen. (Lacht.) Daher würde ich nicht sagen, dass wir uns nicht leiden können. Die Sache ist abgeschlossen. Es gibt keinen Ärger zwischen uns. Auch hier gilt: Die Vergangenheit ist Vergangenheit.
Vor einem Jahr kamen Sie in Basel bis ins Finale, wo es einen Vorfall mit einer defekten LED-Bande gab. Sie fühlten sich gestört, doch der Punkt wurde nicht wiederholt und im Anschluss verloren Sie das Spiel. Gibt Ihnen diese Geschichte Extra-Motivation?
Nein. Ich ziehe meine Motivation eher aus anderen Dingen. Natürlich war das ein unglücklicher Vorfall. Aber ich will eh jedes Spiel gewinnen.
Sie sind erst 20 Jahre alt und sind auf dem Platz immer wieder aufbrausend. Können Sie uns beschreiben, wie Sie im letzten Jahr neben dem Platz gereift sind?
Um auf diesem Level Tennis zu spielen, darfst du mental nicht 20 Jahre alt sein. Da solltest du eher 30 sein. Du musst dich zwingen, frühreif zu sein, um auf und abseits des Platzes weise Entscheidungen zu fällen. Und trotzdem darfst du die Jugendlichkeit nicht zu fest unterdrücken, denn du hast noch ein Feuer in dir, das sich auch positiv auf dein Spiel auswirken kann. Es geht um die Balance. Die versuche ich zu finden. Und wenn ich sie finde, habe ich Erfolg. (bzbasel.ch)