Der kalte Winter in einem Alpenland scheint nicht die ideale Umgebung für Beachvolleyballerinnen zu sein. Den klimatischen und geografischen Gegebenheiten zum Trotz stellt die Schweiz bei den Frauen in diesem Sport aber momentan drei Duos, die an der Weltspitze mitspielen. Eines davon besteht aus Joana Mäder und Anouk Vergé-Dépré.
Starten wir gleich mit der Frage aller Fragen, wenn es um Beachvolleyball geht. Was macht ihr eigentlich im Winter?
Anouk Vergé-Dépré: Im europäischen Winter machen wir meistens einen Monat Pause. Dieses Jahr fiel diese Pause auf den Dezember. Im Januar haben wir dann die Vorbereitung wieder aufgenommen in der Beach-Halle in Bern. Das ist das Leistungszentrum, in dem alle Beachvolley-Nationalteams trainieren. Aber wir gehen dann jeweils im Training auch schnell wieder nach draussen. Momentan sind wir in einem Trainingslager auf Teneriffa. Hier können wir unter idealen Bedingungen draussen auf Natursand trainieren.
Weshalb ist es wichtig, draussen zu trainieren, wenn es ja in Bern extra eine professionelle Beach-Halle gibt?
Vergé-Dépré: Drinnen sind die Orientierung, die Ballgeschwindigkeit und die Windbedingungen ganz anders. Es ist wichtig, dass wir auch draussen trainieren, weil etwa Teams aus Brasilien das ganze Jahr über draussen trainieren können. Deshalb gehen wir auch ins Trainingslager, wenn es in der Schweiz zu kalt ist, um draussen zu spielen.
Joana Mäder: Aber es gibt ja auch Turniere, die überdacht sind, da haben wir vielleicht ein bisschen einen Vorteil, weil wir auch in der Halle trainieren. Aber draussen zu trainieren, macht mir einfach auch viel mehr Spass.
Verbringt ihr eigentlich so viel Zeit am Strand, wie man sich das als Aussenstehende vorstellt?
Mäder: (lacht) Ja, wenn wir draussen trainieren, sind wir tatsächlich oft am Strand. Das ist ja auch das Schöne an unserem Sport.
Ist Beachvolleyball mit diesem speziellen Setting also mehr als nur ein Sport, vielleicht sogar ein Lifestyle?
Vergé-Dépré: Ja, das würde ich schon sagen. Es ist schon speziell, wenn man am Morgen am Strand trainiert und die Sonne spürt. Im Hallen-Volleyball ist das natürlich anders. Zudem ist Beachvolleyball auch individueller als das klassische Volleyball, weil wir ein kleines Team sind.
Mäder: Es ist ja nicht nur Spass und man kann nicht einfach den ganzen Tag am Strand herumsitzen. Wenn man ganz vorne dabei sein will, bedingt dies sehr hartes Training. Aber ja, auch an den Turnieren herrscht jeweils eine schöne Atmosphäre und es geht auch um den Spass.
Apropos ganz vorne mit dabei sein. Wie sehen eure Aussichten für Olympia aus? Mit den anderen beiden Nationalteams Nina Brunner/Tanja Hüberli und Esmée Böbner/Zoé Vergé-Dépré ist ja die Konkurrenz gross.
Vergé-Dépré: Ja, es ist toll, dass wir in einem so kleinen Land so viele Top-Spielerinnen haben. Wir haben uns jetzt nach der Verletzung von Joana wieder eine Ausgangslage geschaffen, in der alles drin liegt. Wir müssen uns aber unseren Platz bis zum Cut-Off im Juni wieder erkämpfen.
Mäder: Ich schaue das Ranking gar nicht an, weil es mich früher mehr gestresst hat, als dass es mir geholfen hat. Ich weiss ja, welche Leistung ich auf dem Court zeige. Wir geben alles und wären natürlich schon sehr enttäuscht, wenn wir es nicht schaffen. Welche Athletin wäre das nicht?
Warum ist die Schweiz im Frauen-Beachvolleyball so gut aufgestellt?
Mäder: Das hat sicher auch mit dem neuen Leistungszentrum zu tun. Seit Jahren läuft die Arbeit bei den Frauen ausgezeichnet. Seit 2016 hatten wir immer zwei Teams an Olympia, was für ein so kleines Land nicht selbstverständlich ist. Die Infrastruktur hat sich stark verbessert und es wird hervorragende Arbeit geleistet, deshalb erstaunt mich der Erfolg eigentlich nicht.
Vergé-Dépré: Ich denke, dass mit den Laciga-Brüdern* eine Tradition im Schweizer Beachvolleyball begonnen hat. Es ist toll, dass wir in diesem Sport so präsent sind. Damit das so bleibt, muss auch im Nachwuchs weiterhin gut gearbeitet werden.
*Das Brüder-Duo bestehend aus Paul und Martin Laciga übernahm in den 1990er-Jahren im Schweizer Beachvolleyball nicht nur eine Pionierrolle, es ist auch eines der erfolgreichsten Schweizer Beachvolleyball-Teams aller Zeiten.
Auch bei Amateurinnen scheint der Sport immer beliebter zu werden.
Mäder: Ja, Beachvolleyball wird auch auf Amateur-Basis immer beliebter, weil die Kombination zwischen Spass und Fitness bei diesem Sport ideal ist. Und man kann auch als Amateur schnell einmal drauflos spielen.
Vergé-Dépré: Und es ist ja auch noch eine vergleichsweise junge Sportart, deshalb gibt es wohl nach wie vor einen Boom.
Man hat das Gefühl, dass im Beachvolleyball Frauen und Männer – anders als zum Beispiel im Fussall – genau dieselben Bedingungen vorfinden. Täuscht dieser Eindruck?
Vergé-Dépré: Nein, wir haben die gleichen Turniere an denselben Orten. Auch die Bezahlung ist identisch. Von dem her sind wir im Beachvolleyball weiter als in anderen Sportarten. Da könnten sich andere definitiv eine Scheibe abschneiden.
Auch in der Kleiderordnung ist Beachvolleyball weiter als andere Sportarten. Ihr dürft anziehen, was ihr wollt.
Mäder: Es ist schön, dass wir diese Möglichkeit seit einigen Jahren haben und beispielsweise Anouk mit Leggins spielen kann, wenn ihr kalt ist und ich trotzdem den Bikini tragen darf. Jede Spielerin darf das tragen, was sich im Moment richtig anfühlt.
Vergé-Dépré: Es geht darum, dass wir uns, je nachdem, wie wir uns körperlich gerade fühlen, frei entscheiden können. Und es gibt auch allen Kulturen Zugang zum Sport.
Bei einem Turnier in Doha, Katar, kam es 2022 zu Diskussionen, weil der Veranstalter nicht wollte, dass die Spielerinnen im Bikini antreten.
Mäder: Genau. Es ging uns einfach darum, dass wir frei entscheiden möchten, was wir anziehen. Die Veranstalter haben klar gesagt, dass sie nicht möchten, dass wir im Bikini spielen, und sie wollten, dass wir uns bedecken, weil wir Frauen sind.
Aber die meisten tragen trotz freier Kleiderwahl einen Bikini. Ist es einfach bequemer, so zu spielen?
Vergé-Dépré: Wir sind es uns gewohnt, im Bikini zu spielen, und wenn es heiss ist, will man meistens auch nicht mehr tragen. Es ist ein Sport, der aus der Badi kommt. Wir haben mit vielen anderen Beachvolleyballerinnen darüber gesprochen und es stört eigentlich niemanden, im Bikini zu spielen. Wir machen das gerne und wir mögen unsere Bikinis (lacht).
Mäder: Ich hatte noch nie das Bedürfnis, Shorts zu tragen. Ich spiele seit Jahren im Bikini und fühle mich nicht unwohl.
Joana, du kommst von einer Schulterverletzung zurück. Wie geht es dir?
Mäder: Es brauchte fast eineinhalb Jahre, bis ich sagen konnte, dass ich mich nicht jeden Tag fragen muss, ob es funktioniert, ob ich die Koordination habe. Ich bin froh, wieder mehr Normalität zu haben. Es war nicht einfach zu akzeptieren, dass es jeden Tag ein bisschen anders ist. Der Körper sagt es einem, aber der Kopf muss lernen, es zu akzeptieren, und als Sportlerin ist das nicht immer einfach, weil man so schnell wie möglich wieder zurückkommen möchte.
Eine Verletzung verändert den Körper ...
Mäder: Ja, man muss sich gleich zu Beginn von der Vorstellung verabschieden, dass alles wieder «normal» wird. Es wird nie mehr wie vorher. Wenn man operieren muss, verändert sich der Körper für immer, eine Schwachstelle bleibt. Ich werde im betroffenen Gelenk nie mehr dieselbe Beweglichkeit haben wie vorher. Ich brauchte Zeit, mein Spiel an die neuen körperlichen Gegebenheiten anzupassen.
Und was hat das mit euch als Team gemacht?
Mäder: Für Anouk war es nicht einfach, weil sie ja meinen Körper nicht spürt und sich wohl manchmal fragte, warum ich mich von einem auf den anderen Tag wieder so komisch bewege.
Vergé-Dépré: Als Teampartnerin weisst du manchmal nicht, wo die andere steht. Das war das Schwierigste am Ganzen. Ich kann sie natürlich fragen, aber ich werde niemals fühlen, was sie fühlt. Aber wir haben einen guten Weg gefunden.
Und was hat Anouk gemacht, als Joana verletzt war?
Mäder: Gechillt (lacht). Nein, natürlich nicht.
Vergé-Dépré: Ich habe zuerst Turniere mit einer jüngeren Spielerin gespielt, habe dann aber die Saison auch beendet, weil es uns punktemässig zu stark zurückgeworfen hätte. Ich habe viel trainiert, aber es war keine einfache Zeit. Man wartet, man ist eigentlich fit, gleichzeitig will man der Partnerin die nötige Zeit geben. Da wird man schon ungeduldig, das war eine Challenge.
Ihr seid 31 und 32 Jahre alt. Spielt das Alter bei einer Verletzung eine Rolle?
Mäder: Der Körper braucht sicher ein bisschen länger, um sich zu erholen. Gleichzeitig kennt man, wenn man älter ist, seine Grenzen besser. Aber ich habe mir bei der Verletzung schon gesagt: Ich will nicht, dass meine Karriere so endet. Deshalb habe ich sehr viel investiert, um wieder zurückzukommen.
Vergé-Dépré: Ich habe das Gefühl, dass man mit 30 ruhiger mit Verletzungen und anderen Herausforderungen umgehen kann als mit 20. Man kennt seinen Körper, man ist eher mal bereit, im Training zu sagen: So, meine Grenze ist erreicht.
Ihr verbringt sehr viel Zeit zusammen. Wie würdet ihr eure Beziehung zueinander beschreiben?
Mäder: Das ist schon unsere achte gemeinsame Saison.
Vergé-Dépré: Dafür sollten wir eigentlich einen Award erhalten (lacht).
Mäder: Wir verstehen und kennen uns gut, gehen auch mal zusammen essen, aber ich würde uns nicht als beste Freundinnen bezeichnen. Wir haben beide unser eigenes Umfeld. Wenn wir unterwegs sind, haben wir auch unsere eigenen Zimmer, weil wir auch Zeit für uns selbst brauchen. Wir haben eine sehr gesunde Beziehung, die es uns ermöglicht, gut zusammenzuarbeiten.
Vergé-Dépré: Am Anfang hat man immer ein bisschen eine Honeymoon-Phase, danach wird es schwieriger, weil man sich kennenlernen muss. Aber jetzt wissen wir genau, wie die andere funktioniert. Wir sind sehr eingespielt. Der ehrliche Austausch ist enorm wichtig, damit sich Dinge nicht anstauen.
Gibt es auch Beziehungen zwischen Spielerinnen, die nicht funktionieren?
Mäder: Es kommt schon vor, dass zwei Spielerinnen als beste Freundinnen starten und irgendwann keine Freundinnen mehr sind. Im Sport arbeiten wir ständig am Limit und da ist nicht immer alles rosig.
Vergé-Dépré: Die Freundschaft ist nicht die erste Priorität, sondern die Zusammenarbeit. Man muss eine gemeinsame Basis und gemeinsame Ziele haben, die Kommunikation muss funktionieren. Aber wenn man so viel Zeit miteinander verbringt, lernt man sich natürlich auch sehr gut kennen. Es schweisst zusammen.
Was schätzt ihr aneinander?
Vergé-Dépré: Ich schätze an Joana, dass sie so ehrlich ist und ihre Ziele hartnäckig verfolgt.
Mäder: Anouk hat ein bisschen Guadeloupe-Vibes (lacht). Sie hat mir Lockerheit und Leichtigkeit gegeben. Und sie arbeitet hart für unsere Ziele, deshalb konnten wir auch schon so viel zusammen erreichen.
Ihr habt ja mit Zoé Vergé-Dépré und Adrian Heidrich beide Geschwister, die auch als Profis im Beachvolleyball unterwegs sind. Könntet ihr euch vorstellen, mit ihnen zu spielen?
Vergé-Dépré: Ich habe einmal eine EM mit meiner Schwester gespielt. Das hat Spass gemacht. Man kennt die Person halt bis ins kleinste Detail und man kann übereinander lachen. Aber ich weiss nicht, ob ich mit meiner Schwester, wenn wir länger zusammenspielen würden, vielleicht etwas weniger Geduld hätte.
Mäder: Bei mir stellt sich diese Frage gar nicht, weil es ja keine Mixed-Teams gibt. Wir spielen auch hobbymässig nie zusammen, weil es zeitlich meistens gar nicht möglich ist.
Ihr seid beide über 1,85 m gross. Hat man als kleinere Spielerin überhaupt eine Chance, im Beachvolleyball vorne mitzuspielen?
Vergé-Dépré: Es gibt noch einige kleine Spielerinnen, aber die müssen athletisch extrem gut sein, um so hoch springen zu können, und sie müssen cleverer spielen. Es gibt schon die Tendenz, dass es immer schwieriger wird für kleinere Spielerinnen.
Und was muss man allgemein mitbringen, um im Beachvolleyball erfolgreich zu sein?
Vergé-Dépré: Man muss sehr athletisch sein, auf koordinativer Ebene viel mitbringen. Und natürlich ein Gespür für den Ball haben.
Mäder: Und es ist einfach auch sehr anstrengend, sich im Sand zu bewegen. Das merkt man ja, wenn man mal am Strand joggen geht.
Ihr durftet schon einige Erfolge feiern. Welcher war der schönste?
Vergé-Dépré: Das ist klar: die Bronze-Medaille an den Olympischen Spielen.
Mäder: Ja, es war für mich ein Kindheitstraum, eine Olympiamedaille zu gewinnen. Die Olympischen Spiele haben im Beachvolleyball auch einen hohen Stellenwert.
Vergé-Dépré: Manchmal denke ich zurück und denke: Ja, das haben wir wirklich geschafft (lacht).
Wo bewahrt ihr die Medaille auf?
Mäder: Ich habe sie im Wohnzimmer aufgehängt.
Vergé-Dépré: Bei mir liegt sie auf dem Fernsehmöbel (lacht).